Von Max Friedhoff/SP-X
Nichts kann einen auf das Tempo vorbereiten, das dieses Auto vorlegt – gar nichts. Bei seinem Antritt werden Naturgewalten neidisch und gestandene Rennfahrer kriegen feuchte Hände. Die Rede ist vom rund 285.000 Euro teuren Porsche 911 GT2 RS, dem stärksten Elfer, der je die Produktionshallen der Zuffenhausener verlassen hat. Spitzname: King Kong. Doch nicht genug der Superlative, die zweite Generation des Über-RS ist aktuell außerdem auch das schnellste Serienfahrzeug auf der Nürburgring-Nordschleife. Exakt 6.47,3 Minuten benötigte Werksrennfahrer Lars Kern bei seiner Runde Ende September für den 20,8 Kilometer langen Eifelkurs – Rekord. Selbst der mit modernster Hybridtechnik vollgestopfte 918 Sypder muss sich nun hinter dem Elfer anstellen: Einem Auto, dem seit Jahrzehnten nachgesagt wird, einem völlig falschen Konzept mit dem Motor an der völlig falschen Stelle zu folgen. Wie macht Porsche das? Andreas Preuninger, Projektleiter GT-Straßenfahrzeuge in Weissach, erklärt das Ganze mit einem Drei-Punkte-Plan. Die Zutaten scheinen verblüffend einfach: Leichtbau, Leistung und Fahrbarkeit. Doch alle drei Kategorien haben ihre Tücken.
Als Basis hatte man die Wahl zwischen dem GT3 RS und dem Turbo S. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, schließlich entschied man sich für den schwereren Turbo S. Schließlich ist es ja viel schöner, ein Minus vor die Gewichtsangaben der neuen Komponenten zu schreiben. Insgesamt speckte der GT2 RS gegenüber dem Turbo S also um rund 115 Kilogramm ab. Ein Zentner fällt dabei allein auf den fehlenden Allrad zurück, der RS treibt nämlich nur die Hinterachse an, was ihm durchaus Parallelen zum legendären 930 Turbo "Witwenmacher" verleiht. Außerdem sind unter anderem die Fronthaube, die vorderen Kotflügel, die Radhausentlüftungen, die hinteren Lufteinlässe und die Vollschalensitze aus Carbon gefertigt, das Dach aus Magnesium. Die hinteren und seitlichen Scheiben sind darüberhinaus aus "Gorilla-Glas", das man vor allem vom Display moderner Smartphones kennt – leicht und stabil.
Wer zu dem Neupreis von 285.220 Euro noch 30.000 Euro mehr locker macht, greift außerdem zum sogenannten "Weissach-Paket". Dieses spart unter anderem durch ein besonders dünnes Carbon-Dach (minus wenige hundert Gramm), einen Titan-Überollbügel (minus neun Kilo), Stabis und Koppelstangen aus Carbon (minus fünf Kilo) und Magnesium-Felgen (minus elf Kilo) noch einmal rund 30 Kilogramm. Wer jetzt denkt, der Preis für das Paket würde viele Kunden abschrecken, der irrt: Aktuell ordern rund 90 Prozent der Kunden ihren GT2 RS mit dem Weissach-Upgrade. Insgesamt kommt der RS so auf ein Gewicht von 1.470 Kilogramm. Wem das noch zu schwer ist, der kann tiefer in die Trickkiste greifen und – immerhin aufpreisfrei – Infotainment und Klimaanlage abbestellen. Bringt noch einmal 19 Kilo, kostet aber Schweiß und Nerven.
Höllenmaschine namens "Modor"
Sobald sich der GT2 RS auf sein Idealgewicht runtergehungert hatte, widmete man sich in Weissach Punkt Zwei der Tagesordnung: Der unglaublichen Höllenmaschine, die man im Schwabenland schlicht "Modor" nennt. Dabei ist das Sechszylinder-Boxer-Triebwerk im Heck des RS keineswegs ein aus dem Turbo S geklautes Aggregat mit einfachem Chiptuning. Zwar bleibt der Hubraum bei 3,8 Liter, Kurbelgehäuse, Kolben, Turbolader, Luftführungen und Filter sowie die neue Abgasanlage aus Titan verhelfen dem Aggregat zusammen mit einem wassergekühlten Ladeluftkühler (fünf Liter destilliertes Wasser plus zwei Sprühdüsen) auf wahnwitzige 515 kW / 700 PS. Drückt man die Zugewinne in Zahlen aus, wird die Marschrichtung noch deutlicher: 1,55 statt 1,3 bar Ladedruck, 25 Prozent größerer Durchmesser beim Krümmer und 15 Prozent mehr Luft durch den neuen Filter. Dabei hält der Motor sein maximales Drehmoment von 750 Newtonmeter extrem linear und nahezu bis zum Erreichen des Drehzahlbegrenzers bei 7.200 Umdrehungen pro Minute. Es lohnt sich also, diesen Turbo mal so richtig auszuquetschen. Bevor man allerdings zu viel Zeit im stakkato-artigen Begrenzer verliert, reicht ein Zug an der rechten Schaltwippe für den Wechsel in den nächsthöheren Gang. Der 991 GT2 RS ist der erste GT2 RS mit einem Doppelkupplungsgetriebe. Eine handgeschaltete Variante hätte schlicht nicht zum Rennsportcharakter des Fahrzeugs gepasst. Und mal ehrlich: Wer hat bei diesen Leistungs- und Drehmoment-Werten schon noch das Zeug, selbst mit Armen und Beinen für den nächsten Gang zu arbeiten? Das PDK-Getriebe stammt teilweise vom Turbo und wurde mit 918-Komponenten auf Vordermann gebracht. Dank einer sehr kurzen Übersetzung der ersten Gänge geht es in nur 2,8 Sekunden auf Tempo 100 – mit Heckantrieb, wohlgemerkt! Bei 340 km/h ist dann Schluss mit lustig. Aber nicht, weil der GT2 RS nicht gerne noch weiterrennen würde, sondern weil die Reifen einfach nicht für höhere Geschwindigkeiten ausgelegt sind.
Porsche GT2 RS
BildergalerieDoch 1.470 Kilo und 700 PS allein reichen nicht aus, um den schnellsten Sportwagen am "Ring" zu stellen. Getreu dem Motto "Power is nothing without control" hat man sich bei Porsche auch richtig viel Mühe gegeben, den GT2 RS so gut es ging fahrbar zu machen. Dazu hielt ein Alu-Leichtbau-Fahrwerk mit verstellbaren Domlagern Einzug, das zusammen mit den ausnahmslos in Uniball-Kugelgelenken gelagerten Fahrwerksteilen ein unglaublich direktes Fahrgefühl vermittelt. Als Bonus gibt es außerdem eine waschechte Rennsport-Geräuschkulisse obendrauf, wenn die Gelenke leicht metallisch mahlen und die Semislick-Reifen im kalten Zustand über die Asphaltdecke rumpeln. Mit 100 Newton an der Vorder- und 160 Newton an der Hinterachse sind weiterhin die Federraten deutlich härter als bei bisherigen GT-Fahrzeugen von Porsche. Dafür fällt der Stabilisator unter dem Vorderwagen weicher aus als bisher, was dem RS ein beinahe Cupfahrzeug-artiges Einlenkverhalten beschert. Einen direkten Bezug zum Porsche-Markenpokalrenner stellt außerdem der Diffusor an der Frontstoßstange dar, der 1:1 aus dem Rennwagen übernommen und mit drei Stahlseilen an der Schürze befestigt wurde. Zusammen mit dem großen Spoiler auf dem Heckdeckel verspricht Porsche Abtriebswerte von 312 Kilo im Straßen-Trimm und deren 416 im Rennstrecken-Setup.
Gänsehaut vorprogrammiert
Jetzt aber genug der Theorie – die Stuttgarter haben schließlich nicht umsonst die Berg-und-Tal-Bahn im portugiesischen Portimao für die Präsentation des Nordschleifen-Rekordhalters gewählt. Wenn man sich in die wunderschönen und sehr bequemen Vollschalensitze (perfekte Sitzposition ist Ehrensache bei Porsche) mit fixierter Rückenlehne fallen lässt und den Motor porschetypisch mit einem Schlüsseldreh auf der linken Seite des Lenkrads weckt, erwacht dieser mit einem dunklen Bellen aus seinem Dornröschenschlaf. Wie bei modernen Sportwagen üblich ist die Titan-Abgasanlage mit einer Klappensteuerung versehen. Drückt man also den Spaß-Knopf auf der Mittelkonsole, liegen zwischen Krümmer und Endrohrblende lediglich 60 ungedämpfte Zentimeter. Die daraus resultierende Geräuschkulisse erinnert mehr an einen wild schnaufenden 935 aus den 80er-Jahren als an einen Sportwagen im Jahr 2017, die Gänsehaut ist vorprogrammiert.
Raus auf die Strecke: Zuerst gilt es, die Semislick-Reifen vom Typ Michelin Cup2 und die Carbon-Keramik-Bremsscheiben auf Temperatur zu bringen. Wer es im kalten Zustand mit dem RS übertreibt wird, sofort und unbarmherzig bestraft. Zwar agieren ESP und Traktionskontrolle zusammen äußert souverän, aber es kostet eben Zeit, wenn man sie braucht. Nach wenigen Runden ist überall Betriebstemperatur eingezogen und beim Einbiegen auf die Start-Ziel-Gerade heißt es zum ersten Mal: Vollgas. Wow. Der GT2 RS schiebt an als gäbe es kein Morgen mehr. Null bis 200? 8,3 Sekunden. 100 bis 200? Zu schnell, um mitzuzählen. Dabei brüllt der Motor aus dem Heck, als wolle er die Boxenanlage Jericho-artig niederreißen.
Erst mal durchatmen, bevor es durch die kommenden schnellen Rechtskurven geht. Hier offenbart sich beim ersten scharfen Einlenken die gesamte Genialität, die in Chassis und Fahrwerk steckt. Jeder, der mal ein "echtes" Rennauto gefahren ist, wird beeindruckt sein, wie nah der RS einem solchen kommt. Enge Rechtskurve, ausholen, dann geht es steil links den Berg hinauf. Hier gerät der GT2 RS auf der Kuppe leicht ins Untersteuern – ein Elfer eben. Das lässt sich aber mit einem sanften Druck aufs Gaspedal ausgleichen und der RS schießt über die nächste Gerade. Der kommende Anbremspunkt ist besonders fordernd: Aus vollem Tempo im fünften Gang geht es steil bergab und hinunter auf Innenstadt-Tempo. Gar kein Problem für die hervorragend dosierbare Bremsanlage. Die restliche Runde ist wie Achterbahnfahren. Nur, dass man hier eben selber schauen muss, dass man nicht von der Piste segelt. Der GT2 RS verlangt dir am Limit alles ab und gibt dir dafür noch mehr zurück. Er ist mitteilsam, zugänglich und trotzdem eine Naturgewalt. Roh und doch geschliffen. Kein Wunder, dass alle maximal 2.500 gebauten Fahrzeuge schon vorverkauft sind. Die Glücklichen.