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Debatte: Autobranche vor Dieselgipfel unter Druck

02.08.2017 08:56 Uhr
Vor Beginn des Dieselgipfels setzen Länder und Kommunen auf Zugeständnisse der Autokonzerne.
© Foto: picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa

Wie werden Diesel in Deutschland so sauber, dass es keine Fahrverbote geben muss? Das ist die Frage beim Dieselgipfel in Berlin. Den Eindruck eines «Kuschelkurses» will die Politik unbedingt vermeiden.

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Vor Beginn des Dieselgipfels setzen Länder und Kommunen auf Zugeständnisse der Autokonzerne. "Der politische Druck ist so enorm, dass die deutsche Autoindustrie mehr zu verlieren hat als ein paar Diesel-Autos", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe letztlich um den Wirtschaftsstandort Deutschland. "Deswegen wird die Industrie weiter gehen, als sie bislang gesagt hat." Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte, man werde die Auto-Industrie "in die Pflicht nehmen". Sie erwartet ein Sofortprogramm der Hersteller.

Bei dem Spitzentreffen von Bund, Ländern und Autobranche geht es um Nachbesserungen bei der Abgasreinigung von Millionen Diesel-Autos in Deutschland und die Förderung eines abgasarmen Verkehrs in den Städten. Die Verpflichtung der Hersteller zu Updates an der Motorsoftware gilt als sicher.

Das Umweltbundesamt (UBA) geht davon aus, dass Diesel-Autos die Luft in vielen deutschen Städten auch in diesem Jahr stark belasten. Im vergangenen Jahr seien in mehr als 80 Orten EU-Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickstoffdioxide überschritten worden, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). Aus den bisherigen Messergebnissen lasse sich bereits jetzt schließen, "dass die Stickstoffdioxid-Belastung in 2017 ähnlich hoch wie im letzten Jahr sein wird." Hauptursache für die schlechte Atemluft in den Städten seien eindeutig Diesel-Autos.

Die von den Autokonzernen vorgeschlagenen Software-Updates könnten einen Beitrag zu saubereren Diesel-Pkw leisten, sagte Krautzberger. Deutlich mehr erwarte sie aber von der Nachrüstung mit speziellen Katalysatoren. "Die Kosten hierfür muss ganz klar die Autoindustrie tragen, das kann sie nicht bei Bürgern und Politik abladen", betonte Krautzberger. In hochbelasteten Städten müssten auch Fahrverbote diskutiert werden.

Kosten soll Industrie tragen

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagte der "Passauer Neuen Presse" vor dem Treffen, Ziel sei es, Ökologie und Mobilität näher zusammen zu bringen und eine Perspektive für die Mobilität der Zukunft zu geben. "Dazu muss die Industrie die Umrüstung von Euro-5- und Euro-6-Fahrzeugen umsetzen." Zudem erwarte er ein "akzeptables Angebot der Automobilindustrie" zur Senkung der Schadstoffbelastung in deutschen Städten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten "auch die älteren Fahrzeuge einen Beitrag leisten", erklärte der Minister. "Völlig klar ist: Die Kosten von Umrüstungen muss die Industrie tragen. Den Kunden dürfen keine Extrakosten entstehen."

Ob Software-Updates ausreichten oder auch Umbauten nötig seien, ließ er dem Bericht zufolge offen. "Fest steht: Euro-5- und Euro-6-Dieselmotoren können mit neuer Steuerungssoftware deutlich verbessert werden", sagte Dobrindt.

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verteidigte den sich abzeichnenden Kompromiss mit Software-Updates statt aufwendiger Nachrüstungen. Das sei "keine Milde", sagte sie am Mittwoch dem Südwestrundfunk (SWR2). Zu den Umrüst-Möglichkeiten der Hardware seien noch technische Fragen offen. Das Software-Update sei ein erster Schritt, dem weitere folgen müssten, betonte Hendricks. Sie forderte von der Autoindustrie Kooperationsbereitschaft. Ein Auftreten «im alten Selbstbewusstsein» sei angesichts der Lage unangebracht.

Software- oder Hardware-Nachrüstung?

Die Frage, ob zusätzlich auch Bauteile am Motor selbst nachgerüstet werden müssen, um den Stickoxid-Ausstoß der Fahrzeuge zu senken und drohende Fahrverbote in Städten zu verhindern, hatte zuletzt Streit ausgelöst. Die Autobranche hat bisher nur günstigere und einfachere Updates der Computersteuerung angeboten. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte dem "Tagesspiegel" (Mittwoch): "Wir brauchen schnelle Software-Nachrüstungen und dann eine richtige Umrüstung der Hardware der Fahrzeuge, denn nur so lassen sich Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten Städten vermeiden."

Bei diesen Software-Updates geht es um neuere Diesel, die den EU-Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 entsprechen. Unter anderem die Ministerpräsidenten der Auto-Länder Bayern und Niedersachsen, Horst Seehofer (CSU) und Stephan Weil (SPD), hatten staatliche Anreize wie Steuernachlässe oder Prämien ins Gespräch gebracht, damit Besitzer älterer Autos auf neue, sauberere Modelle umsteigen.

Vor dem Gipfel relativierte Weil das teilweise: Er wolle "den Konzernen nichts schenken", sagte er der "Bild"-Zeitung. Um alte Diesel von der Straße zu bekommen, brauche es Anreize, "vor allem von der Industrie". Seehofer mahnte erneut eine Lösung für die mehr als fünf Millionen älteren Diesel-Pkw in Deutschland an, bei denen Software-Updates nicht möglich seien. "Ich will, dass modernere Autos die älteren Autos ablösen", sagte er.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betonte, dass Autobesitzer weder für die Umrüstungen noch für die Entsorgung alter Autos zahlen sollten. Für beides müssten die Hersteller aufkommen. "Wer einen Diesel gekauft hat, darf nicht der Dumme sein", sagte der SPD-Chef dem "Spiegel".

Vertrauen in die Autoindustrie beschädigt

Einer "YouGov"-Umfrage zufolge hat die Abgasaffäre das Vertrauen in die Autoindustrie bei 41 Prozent der Deutschen ins Wanken gebracht - unabhängig davon, ob sie Diesel-Fahrer sind. Jeder fünfte Diesel-Besitzer hat demnach darüber nachgedacht, sein Auto zu verkaufen - und zwei von fünf Diesel-Fahrern würden künftig keinen Diesel mehr kaufen. Derzeit ist rund jedes dritte in Deutschland gemeldete Auto ein Diesel.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte Deutschland wegen des Abgas-Skandals vor einem Imageschaden. Durch das Fehlverhalten weniger habe Deutschland bereits einen Ansehensverlust erlitten, sagte dem ARD-Europastudio Brüssel. Mit Blick auf den Diesel-Gipfel am Mittwoch in Berlin rät Junker der deutschen Regierung, dieses Thema offensiv anzugehen: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich dieser Schatten, der jetzt über der Automobilbranche liegt, auch auf andere Branchen übertragen könnte."

Juncker machte deutlich, dass er den Skandal um manipulierte Abgasemissionen nicht nur als deutsches Thema sieht. "Es gibt ein aus Deutschland kommendes Gesamt-Diesel-Problem in Europa. Wegen der intensiven Export-Fähigkeit der deutschen Automobil-Industrie." Die EU-Kommission ist vor allem auf der Grundlage von europäischem Umweltrecht bereits aktiv und hat unter anderem gegen Deutschland und vier andere Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, um sicherzustellen, dass die Standards zur Luftqualität in Europa eingehalten werden.

Fonds für weniger Schadstoffe

Nach dpa-Informationen will der Gipfel einen Fonds für weniger Schadstoffe im Stadtverkehr beschließen. Die Rede war von 500 Millionen Euro, an denen sich auch die Autobranche beteiligen sollte. Zusätzlich will die Politik Förderprogramme auf den Weg bringen und ausbauen, unter anderem für den Rad- und Schienenverkehr. Die Kommunen fordern unter anderem Hilfen für die Nachbesserung bei Bussen.

Zum Gipfel eingeladen sind die Chefs von Volkswagen, Porsche, Audi, Daimler, BMW sowie von Opel und Ford in Deutschland. Erwartet werden zudem die Ministerpräsidenten der "Autoländer" Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie die Stadtstaaten Hamburg und Berlin. Diese sind stark von hohem Ausstoß an Stickoxid (NOx) betroffen.

Gastgeber des Treffens sind Dobrindt und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Die Grünen kritisierten die Pläne als zu lasch. "Wir brauchen Verbindlichkeit", sagte Parteichef Cem Özdemir am Mittwoch in Berlin. "Der Rückruf muss verbindlich erfolgen. Freiwillige Zusagen reichen nach diesen Skandalen, nach diesem immensen Glaubwürdigkeitsverlust der Automobilindustrie, nicht mehr aus." Sollten die Umrüstungen die Funktion der Autos irgendwie einschränken, müssten die Besitzer angemessen entschädigt werden. Um eine Chance für bundesweit einheitliche Regelungen für Fahrbeschränkungen zu haben, müsse auch die "Blaue Plakette" für saubere Diesel ein Ergebnis des Spitzentreffens sein.

Eine Lösung für die mehr als fünf Millionen älteren Diesel der EU-Abgasnormen Euro 3 und Euro 4 in Deutschland vorzuschlagen, sei nicht "vornehmste Aufgabe der Opposition", sagte Özdemir. "Die Automobilindustrie hat uns das eingebrockt. Sie steht jetzt auch in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren." Wenn Software-Updates nicht ausreichten und Nachbesserungen an den Bauteilen nicht möglich seien, "dann muss das Fahrzeug ersetzt werden." (dpa)

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