Von Thomas Strünkelnberg/dpa
Die Mobilität der Zukunft ist heiß umkämpft – elektrisch soll sie sein, vollvernetzt und möglichst ohne Fahrer sollten Autos auskommen. Tech-Riesen wie Google und Apple haben das Potenzial von autonomem Fahren erkannt und lassen ihre Roboterautos in den USA fahren. Die deutschen Autobauer müssen aufholen. Dabei war ein Continental-Testwagen schon vor 50 Jahren fahrerlos unterwegs. Allerdings, sagen die Ingenieure von damals heute, hat man da an echtes autonomes Fahren nicht im Entferntesten gedacht. Sondern an etwas völlig anderes.
Im September 1968 lässt Continental auf seinem Testgelände Contidrom das erste elektronisch gesteuerte und fahrerlose Auto vom Stapel. Die Öffentlichkeit staunt, mehr als 400 Zeitungen, Zeitschriften und Sender berichten: "Mit dem Geisterfahrer durch die Steilkurve" oder "Die Zukunft hat schon begonnen", heißt es in den Blättern. Dabei geht es nur darum, Reifen zu testen – wissenschaftlich exakt, unter programmierbaren Bedingungen und vor allem besser, als ein menschlicher Testfahrer es je könnte. Ein technischer Meilenstein? Auf jeden Fall. Aber auch ein Schritt zum autonomen Fahren?
"Wir haben nicht geahnt, dass so etwas kommt – nicht einmal davon geträumt", erinnert sich der 76 Jahre alte Herbert Ulsamer, damals junger Fahrzeugbau-Ingenieur bei Continental. Denn wirklich autonom – das war der Wagen, ein heute beliebter Oldtimer vom Typ Mercedes "Strich-Acht" – damals keineswegs. "Es war letztlich ein Auto, das auf einem Draht fuhr", sagt Hans-Jürgen Meyer (78), der einst als junger Ingenieur für die Entwicklung neuer Messverfahren verantwortlich war.
Abbremsen, Beschleunigen – und auch Hupen
Das Auto folgte einem Leitdraht auf der Fahrbahn, Sensoren informierten die Technik im Auto darüber, ob es auf der Spur war, dann lenkte der Wagen automatisch. Vom Leitstand am Rand der Teststrecke gingen Befehle über den Leitdraht ans Auto: Abbremsen, Beschleunigen – und auch Hupen. Testdaten wiederum seien per Funk übertragen, auf Magnetband gespeichert und schließlich ausgewertet worden, erzählt Ulsamer. So weit, so modern. Nur mit moderner Vernetzung hatte das natürlich noch nichts zu tun.
Das Auto der Zukunft muss Radfahrer, Fußgänger und Hindernisse jeglicher Art direkt erkennen können. Stereokameras helfen dem automatisierten Fahrzeug, Objekte zu erfassen und zu klassifizieren, erklärt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. Künstliche Intelligenz soll helfen und die Beobachtungen auswerten. Im Idealfall versteht das Auto die jeweilige Verkehrssituation und weiß, was Menschen auf der Straße vorhaben.
"Ein wichtiger Schwerpunkt der zukünftigen Forschung bleibt die Vernetzung der Fahrzeuge mit der Infrastruktur", sagt Prof. Frank Köster vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. Trotz aller Automatisierung: auch künftig wird der Mensch laut DLR eingreifen können und dem fahrenden Roboter nicht alles überlassen. Aber wie erregt man die Aufmerksamkeit des Fahrers im autonom fahrenden Auto, wenn dieser vom Verkehr nicht viel mitbekommt? Die DLR-Forscher arbeiten daran, die Aufmerksamkeit des abgelenkten Fahrers mittels eines farbigen 360-Grad-Lichtbands zu steuern.
Vor gut sieben Jahren hatte Google mit der Vorstellung seiner Roboterwagen-Flotte die Autobranche nervös gemacht. Heute arbeiten Dutzende von Unternehmen an Technologien für autonomes Fahren: Hersteller, Zulieferer, Start-ups und Tech-Konzerne wie Apple, Samsung, Alibaba oder Uber. Als besonders weit gilt die Google-Schwesterfirma Waymo.
Europa fährt hinterher
Die Quereinsteiger machen Volkswagen Sorgen: Chef Herbert Diess mahnte jüngst, beim autonomen Fahren gäben die Amerikaner das Tempo vor. "Wir haben dem in Europa derzeit nichts entgegenzusetzen." Immerhin gibt es von VW mehrere Versionen des Roboterwagen-Konzepts "Sedric" –- darunter eine für sportliche Menschen. Die Idee: Der "Sedric Active" setzt seinen Nutzer etwa am Startpunkt einer Mountainbike-Tour ab und fährt autonom zum Zielort. Interessant wird das Konzept spätestens dann, wenn die Technik es erlaubt, per App einen Wagen zu bestellen, auf dem Weg umweltfreundlich möglichst noch andere Fahrgäste aufzusammeln und ohne Fahrer ans Ziel zu rollen. So plant es die Volkswagen-Tochter Moia. Aber bisher noch mit Fahrern. Richtig Geld werde das Prinzip erst abwerfen, wenn autonom fahrende Autos im Einsatz seien, urteilt Branchenexperte Stefan Bratzel.
Continental indes bringt den "Cruising Chauffeur" ein in Serienfahrzeuge eingebautes System, testweise auf Niedersachsens Autobahnen – und mittelfristig auf Landstraßen. Zwischen Hannover, Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter entsteht ein Testfeld für automatisiertes Fahren. Autobahnteilstrecken mit Bundes- und Landstraßen werden zu einem Netz von 280 Kilometern Länge ausgebaut.
Noch heute stoßen die fahrerlosen Systeme an Grenzen – vor 50 Jahren ging das bedeutend schneller. "Man hat sehr schnell die Grenzen erkannt und es dann einschlafen lassen", erzählt Ingenieur Ulsamer. Verlor der Wagen das Magnetfeld des Fahrdrahts, bremste er abrupt ab. Dann musste er wieder auf der Draht gerollt werden. "Wir ziehen den Hut vor den Ideen und dem Pioniergeist unserer Ingenieure, die schon vor fünf Jahrzehnten ein fahrerloses Auto entwickelt haben", sagt Conti-Chef Elmar Degenhart. Es war der "erste Automat, der hier fuhr", sagt der ehemalige Conti-Ingenieur Klaus Weber (81).