Von Roland Losch und Thomas Strünkelnberg, dpa
Die deutschen Autokonzerne hüllen sich nach dem Vorwurf eines möglichen Autokartells weiterhin in Schweigen. Der weltweit größte Autobauer Volkswagen rief seine Aufsichtsräte aber zu einer Sondersitzung am kommenden Mittwoch zusammen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren, aber es lägen «Informationen» zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin wird die EU-Kommission die Federführung bei der Aufklärungsarbeit übernehmen.
Die Autobranche steht bereits wegen der VW-Abgasaffäre und zu hoher Diesel-Emmissionen unter Druck - bei den nun in Rede stehenden Kartellverstößen könnten ihnen Milliardenstrafen drohen. Das belastete die Aktienkurse: VW, Daimler und BMW verloren am Montag zwischen drei und vier Prozent - noch mehr als nach Veröffentlichung der Vorwürfe am Freitag.
Der «Spiegel» hatte über ein seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich seit den 1990er Jahren über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen. Danach sollen sich die Hersteller auch verständigt haben, kleinere, billigere Tanks für Harnstoff (AdBlue) einzubauen, der gefährliche Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben.
Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte das Kartellamt in Bonn mit.
"Vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge"
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte "eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären", sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist, in der "Welt" (Montag).
Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, "reinen Tisch" zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, "muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie", sagte der CDU-Politiker am Montag im ARD-"Morgenmagazin".
Daimler hatte von "Spekulationen", VW-Chef Matthias Müller in der "Rheinischen Post" von "Sachverhaltsvermutungen" gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte aber klar: "Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück."
Der BMW-Betriebsrat erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten haben. Der Betriebsrat erwarte aber eine umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. "Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung", sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht
Daimler hatte nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" nach dem Auffliegen des LKW-Kartells 2011 Kartellrechts-Lehrgänge eingeführt und begonnen haben, sich aus den geheimen Treffen mit VW, Audi, Porsche und BMW teilweise zurückzuziehen. Daimler war von der EU-Kommission wegen Preisabsprachen für Lkws zu 1,1 Milliarden Euro Bußgeld verdonnert worden.
Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag?
Die Grünen verlangen ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag. Beantragt werde "eine kurzfristig einzuladende Sondersitzung für Ende Juli", kündigte Verkehrsexperte Oliver Krischer an. Man wolle so Klarheit über die möglichen "Machenschaften des Autokartells" bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - "ungeheuerlich" seien. SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sprach von einer größeren Dimension der Abgasaffäre als bisher bekannt.
Der "Spiegel" stützte seine Darstellung auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbshütern eingereicht haben soll. Daimler habe ebenfalls eine "Art Selbstanzeige" hinterlegt. Das Bundeskartellamt erklärte: "Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren." Konkreter Hintergrund der neuen Vorwürfe sind dem Bericht zufolge Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen, im Sommer 2016 hatte es Durchsuchungen gegeben.
FDP-Chef Christian Lindner nannte den Verdacht schockierend. "Sollte sich der Kartell-Verdacht erhärten, darf diese Aushebelung marktwirtschaftlicher Prinzipien nicht folgenlos bleiben." Der Umweltverband BUND forderte "ein sofortiges Verkaufsverbot für alle Pkw, welche Grenzwerte auf der Straße nicht einhalten". Autoexperte Stefan Bratzel bekräftigte, "dass in großen Teilen der Autoindustrie ein ethisch-organisatorischer Kulturwandel stattfinden muss".
Nach den Grünen verlangt auch die Linksfraktion im Bundestag eine rasche Sondersitzung des Verkehrsausschusses wegen des Kartellverdachts gegen deutsche Autobauer. Das sagte Herbert Behrens, Verkehrsexperte der Fraktion und Ex-Chef des Untersuchungsausschusses zum VW-Abgas-Skandal, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Der Verkehrsminister muss erklären, was er im Zusammenhang mit den ungeheuerlichen Vorwürfen gegen die führenden deutschen Automobilhersteller zu tun gedenkt", erklärte Behrens die Initiative.
Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Parlament habe er erfahren, dass es viele Treffen zwischen Vertretern aus Ministerien und Konzernen gegeben habe. "Will Dobrindt wieder behaupten, ahnungslos zu sein, wie beim Thema Abschalteinrichtungen?", fragte Behrens mit Blick auf den Bundesverkehrsminister. Am Wochenende hatten auch die Grünen ein außerordentliches Treffen des Ausschusses gefordert. Das Gremium müsse noch vor dem "Nationalen Forum Diesel" (2. August) informiert werden, sagte Verkehrsexperte Oliver Krischer.
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