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Aufklärung zu Kartell gefordert: Druck auf Autobauer wächst

24.07.2017 16:00 Uhr
Unter Druck: die Autobosse Dieter Zetsche (Daimler), Harald Krüger (BMW) und Matthias Müller (Volkswagen)
© Foto: Andreas Gebert/dpa

Haben die deutschen Autobauer jahrzehntelang heimlich Absprachen getroffen? Die Börse nimmt den Kartellverdacht ernst, die Kurse sinken. Politik und Arbeitnehmervertreter fordern rasche Aufklärung. Der Branchenriese VW trommelt jetzt erstmal seinen Aufsichtsrat zusammen.

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Von Roland Losch und Thomas Strünkelnberg, dpa

Die deutschen Autokonzerne hüllen sich nach dem Vorwurf eines möglichen Autokartells weiterhin in Schweigen. Der weltweit größte Autobauer Volkswagen rief seine Aufsichtsräte aber zu einer Sondersitzung am kommenden Mittwoch zusammen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren, aber es lägen «Informationen» zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin wird die EU-Kommission die Federführung bei der Aufklärungsarbeit übernehmen.

Die Autobranche steht bereits wegen der VW-Abgasaffäre und zu hoher Diesel-Emmissionen unter Druck - bei den nun in Rede stehenden Kartellverstößen könnten ihnen Milliardenstrafen drohen. Das belastete die Aktienkurse: VW, Daimler und BMW verloren am Montag zwischen drei und vier Prozent - noch mehr als nach Veröffentlichung der Vorwürfe am Freitag.

Der «Spiegel» hatte über ein seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich seit den 1990er Jahren über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen. Danach sollen sich die Hersteller auch verständigt haben, kleinere, billigere Tanks für Harnstoff (AdBlue) einzubauen, der gefährliche Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben.

Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte das Kartellamt in Bonn mit.

"Vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge"

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte "eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären", sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist, in der "Welt" (Montag).

Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, "reinen Tisch" zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, "muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie", sagte der CDU-Politiker am Montag im ARD-"Morgenmagazin".

Daimler hatte von "Spekulationen", VW-Chef Matthias Müller in der "Rheinischen Post" von "Sachverhaltsvermutungen" gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte aber klar: "Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück."

Der BMW-Betriebsrat erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten haben. Der Betriebsrat erwarte aber eine umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. "Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung", sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht

Daimler hatte nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" nach dem Auffliegen des LKW-Kartells 2011 Kartellrechts-Lehrgänge eingeführt und begonnen haben, sich aus den geheimen Treffen mit VW, Audi, Porsche und BMW teilweise zurückzuziehen. Daimler war von der EU-Kommission wegen Preisabsprachen für Lkws zu 1,1 Milliarden Euro Bußgeld verdonnert worden.

Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag?

Die Grünen verlangen ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag. Beantragt werde "eine kurzfristig einzuladende Sondersitzung für Ende Juli", kündigte Verkehrsexperte Oliver Krischer an. Man wolle so Klarheit über die möglichen "Machenschaften des Autokartells" bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - "ungeheuerlich" seien. SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sprach von einer größeren Dimension der Abgasaffäre als bisher bekannt.

Der "Spiegel" stützte seine Darstellung auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbshütern eingereicht haben soll. Daimler habe ebenfalls eine "Art Selbstanzeige" hinterlegt. Das Bundeskartellamt erklärte: "Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren." Konkreter Hintergrund der neuen Vorwürfe sind dem Bericht zufolge Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen, im Sommer 2016 hatte es Durchsuchungen gegeben.

FDP-Chef Christian Lindner nannte den Verdacht schockierend. "Sollte sich der Kartell-Verdacht erhärten, darf diese Aushebelung marktwirtschaftlicher Prinzipien nicht folgenlos bleiben." Der Umweltverband BUND forderte "ein sofortiges Verkaufsverbot für alle Pkw, welche Grenzwerte auf der Straße nicht einhalten". Autoexperte Stefan Bratzel bekräftigte, "dass in großen Teilen der Autoindustrie ein ethisch-organisatorischer Kulturwandel stattfinden muss".

Nach den Grünen verlangt auch die Linksfraktion im Bundestag eine rasche Sondersitzung des Verkehrsausschusses wegen des Kartellverdachts gegen deutsche Autobauer. Das sagte Herbert Behrens, Verkehrsexperte der Fraktion und Ex-Chef des Untersuchungsausschusses zum VW-Abgas-Skandal, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Der Verkehrsminister muss erklären, was er im Zusammenhang mit den ungeheuerlichen Vorwürfen gegen die führenden deutschen Automobilhersteller zu tun gedenkt", erklärte Behrens die Initiative.

Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Parlament habe er erfahren, dass es viele Treffen zwischen Vertretern aus Ministerien und Konzernen gegeben habe. "Will Dobrindt wieder behaupten, ahnungslos zu sein, wie beim Thema Abschalteinrichtungen?", fragte Behrens mit Blick auf den Bundesverkehrsminister. Am Wochenende hatten auch die Grünen ein außerordentliches Treffen des Ausschusses gefordert. Das Gremium müsse noch vor dem "Nationalen Forum Diesel" (2. August) informiert werden, sagte Verkehrsexperte Oliver Krischer.

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KOMMENTARE


Rainer

24.07.2017 - 19:00 Uhr

Zunächst einmal gilt, das es sich um einen Vorwurf handelt. Natürlich wiegt der sehr schwer, wie schon die fallenden Aktienkurse zeigen. Die Autoindustrie, im übrigen nicht nur die deutsche, arbeitet seit Jahrzehnten mit Wettbewerbern zusammen, gerade auch bei der Entwicklung von einzelnen Komponenten, bis hin zu nahezu baugleichen Fahrzeugen. Das dies quasi geheim, hinter verschlossenen Türen geschieht ist nicht außergewöhnlich, sondern normal. Wenn z.B. Mercedes mit Renault /Nissan an einem neuen Kompaktklasse Modell arbeitet, können die das doch nicht in aller Öffentlichkeit tun. Das gilt auch für Bauteilegleichheit. Ich kann mich daran erinnern, das vor ca. 20- 25 Jahren bei drei japanischern Herstellern in verschiedenen Modellen nahezu baugleiche Motoren verbaut wurden. Mit der ersten Generation des Opel Agila gab es auch ein nahezu baugleiches Modell von Suzuki. Die Liste solcher Beispiele ist sehr groß. Und erfahrene Mechaniker die an verschiedenen Marken gearbeitet haben, wissen, das es viele Bauteile gibt, die schlicht identisch sind, auch wenn der Fahrzeughersteller ein anderer ist. Ob das nun ein Verstoß gegen geltendes Kartellrecht ist, wage ich mal zu bezweifeln. Ob die gewonnenen Synergie Effekte in Form von besseren Preisen tatsächlich beim Verbraucher ankommen bezweifle ich allerdings auch. Vielmehr dient das dem finanziellen Erfolg der Unternehmen. Das ist vielleicht moralisch verwerflich, aber sicher nicht illegal, zumindest nicht in einer freien Marktwirtschaft. Ich glaube zudem, das der Diesel Skandal dazu beigetragen hat, das nun alles was in der Autoindustrie geschieht, sehr genau unter die Lupe genommen wird. Was ich nicht verstehen kann ist, was denn die Größe des Tanks für AddBlue mit dem Abgasverhalten zu tun hat? Nach der Theorie müssten ja Autos mit größeren Treibstofftanks einen geringeren Verbrauch aufweisen, was natürlich totaler Blödsinn ist, auch wenn sie dadurch mehr Reichweite haben. Mit den Emissionswerten hat das sicher nichts zu tun. Sondern eher mit der Tatsache, das sich derzeit neue Skandale aus der Autowelt gut verkaufen lassen.Eins ist klar, sollte es Preisabsprachen gegeben haben, ist das nicht ok. Das muss dann auch geahndet werden. Aber dann sollten auch mal die verantwortlichen Vorstände und die augenzudrückenden Aufsichtsräte persönlich mit sehr empfindlichen Strafen haftbar gemacht werden, damit dies auch die notwendige abschreckende Wirkung hat. Milliardenhohe Strafen verteuern letztlich nur künftige Produkte, so das am Ende der Verbraucher sogar zweimal zur Kasse gebeten wird, mindestens.


Peter

25.07.2017 - 10:46 Uhr

Hallo Rainer,die Größe des AddBlue Tanks hat viel mit der Strategie der Abgasreinigung zu tun.Je kleiner der Tank um so weniger AddBlue wird im Fahrbetrieb genutzt um vom Kunden ein Nachfüllen zwischen den Inspektionen zu vermeiden. Da gerade im Fahrbetrieb viele Fahrzeuge zu hohe Stickoxid werte haben spielt die Tankgröße auch eine Rolle. Mir sind viele Dieselfahrer bekannt die noch nie AddBlue nachfüllen musten. Trotz der sehr kleiner Tanks.


Steve

25.07.2017 - 12:09 Uhr

Ich finde es übertrieben immer von Machenschaften zu reden. Das ist doch wie beim Sogenannten Dieselskandal. Halten wir doch mal fest: Die Regeln und das Reglement für Abgaswerte hat doch das KBA festgelegt. Das heißt Erfüllung auf der Rolle und ein erlaubtes Termofenster. Jetzt plötzlich ist das schlimm, wenn die Hersteller das genau das machen. Dabei hat es das KBA doch versäumt in der Vergangenheit Prüfungen und Kontrollen durchzuführen. Das gleiche gilt doch auch für die Absurden Grenzwerte von Dieselabgase und der großen Diskussion von Diesel Fahrverboten. Wieso gibt es eine akute Gefährdung der Bevölkerung durch einen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Stickstoffdioxid im Freien, wenn am Arbeitsplatz für Beschäftigte in geschlossenen Räumen viel höhere Werte völlig unbedenklich sind? Am deutschen Arbeitsplatz für Beschäftigte sind laut Bundesgesundheitsblatt 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Innenraumluft als „Maximale Arbeitsplatz-Konzentration“ (MAK) erlaubt. Also gut 20 Mal so hoch wie für Stickstoffdioxid auf Straßen – und zwar acht Stunden täglich und 40 in der Woche. Es wird dringend Zeit das mal Wahrheiten erzählt werden, nicht immer Fragmente und nur auf einzelne mit dem Finger gezeigt.Letzten Endes kostet es uns alle Geld, das unnötig verbrannt wird und vielleicht Arbeitspläte kostet.


Rainer

27.07.2017 - 18:27 Uhr

Hallo Peter, ja, Du hast Recht, das könnte ein Rolle spielen. Ich kann Dir aber versichern, zumindest was BMW angeht, das AddBlue bei unseren Wagen nach ca. 15.000 km aufgefüllt werden muss. Wenn auch hier der eine oder andere Hersteller gemogelt hat, ist das bitter und alles andere als korrekt, aber sicher kein Kartellverstoss. Ausserdem würde ja dann, zumindest indirekt allen Herstellern unterstellt, von der Abgasmanipulation gewusst zu haben. Ich habs ja gesagt, wer mogelt muss auch zur Rechenschaft gezogen werden. Sehen wir mal was hier raus kommt.


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