Eine Frage ist bei jeder IAA omnipräsent: Mit was für einem Auto werde ich künftig beruflich wie privat unterwegs sein? In diesem Jahr konnte die Antwort darauf bisweilen auf Mandarin ausfallen. Xpeng ist für diese Entwicklung ein gutes Beispiel. Vor neun Jahren passte die gesamte Gründer-Crew noch auf ein Foto, das Vice Chairman Brian Gu im Rahmen der Pressekonferenz zeigte. Die Bildunterschrift lautete: "The early days in Guangzhou". Neun Jahre später ist man Gast in München und zwar mit einem wettbewerbsfähigen E-SUV und einer Stromer-Limousine.
Deren Stückzahlen sind außerhalb Chinas noch marginal, Xpengs Expansionspläne lesen sich indes imposant. Nach Norwegen – wo man zuerst den Schritt nach Europa wagte, denn das ist der ausgereifteste E-Markt, vermutlich sogar der Welt, und Dänemark sowie den Niederlanden – kommt jetzt Deutschland als Flagge dazu. Der zugehörige Managing Director ist ein Bekannter in der Branche. Markus Schrick heißt er und er erlebte an diesem Messe-Montag zur Pressekonferenz seinen zweiten Arbeitstag bei Xpeng. Früher war Schrick bei Toyota, Hyundai und Tropos, jetzt ist er Teil eines Start-ups, das sich ganz anders anfühlt. Denn spätestens seitdem VW in Xpeng massiv investiert hat, fragt man sich, was ist geschehen, dass ein nicht mal zehnjähriges Unternehmen plötzlich zum wichtigen Helfer für den Giganten VW auf dem wichtigsten Automarkt der Welt (China) geworden ist?
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Die Antwort lautet: Die automobile Welt rast. Noch sind die Mengen an Fahrzeugen, die beispielsweise Xpeng aus den chinesischen Werken nach Deutschland schickt, klein und ein Händler- und Servicenetz beginnt sich erst zu etablieren, 15 bis 20 Partner sollen es bis zum Jahresende werden. Wie viele andere Newcomer orientiert man sich produktseitig am immer noch anhaltenden SUV-Hoch (G 9), auch wenn mit dem P 7 der Aufschlag in Norwegen mit einer Limousine gelang. Beide sind hochpreisig, aber die Plattformen der Chinesen bieten zahlreiche Möglichkeiten für kleinere und vor allem günstigere Modelle. Dann wird es auch für den Durchschnittsfahrer interessant, aber so weit ist es noch nicht.
Wir haben uns indes den Xpeng G 9 (mit dem Highend-Modell für 72.000 Euro brutto) für eine kurze Ausfahrt reserviert. Das aktuelle Prunkstück der Marke läuft noch auf der “alten” Plattform, die auch Basis für zwei Modelle sein wird, die man zusammen mit VW exklusiv in China bauen und vertreiben will. 800-Volt-Ladetechnik, gute Software, alles Dinge, die VW gern mitbenutzt und davon lernt. Bisher lief so etwas anders herum. Eine “neue” Plattform (Sepa 2.0) bringt noch mehr Konnektivität ins Auto. Der erste Emporkömmling ist der G 6, der es mit dem VW ID.4 und dem Tesla Model Y aufnehmen kann, sofern er nach Europa kommt. Mit dem G6 wäre das oft zitierte “Smartphone auf Rädern” nicht mehr weit entfernt, aber das wäre für die meisten (älteren) europäischen Kunden wohl ein zu großer Sprung vom Verbrenner- ins Elektro-Zeitalter. Also ist das knapp 4,90 Meter lange E-SUV namens G 9 ein guter Startpunkt, um auch in Deutschland die Marke bekannt zu machen.
Xpeng P7
BildergalerieDie nahezu drei Meter Abstand zwischen der Vorder- und Hinterachse geben eine Ahnung, wie üppig der Platz innen gestaltet ist. Das gehört in der E-Welt allerdings auch zum guten Ton. Dieser klingt auch beim Thema Laderaum hallend: 660 Liter passen in den Kofferraum, dazu 71 Liter in den Frunk. Maximal können 1.576 Liter mit auf Reisen. Wir fuhren den Allradler mit 405 kW/550 PS Leistung, die hecklastig (230 kW/313 PS an der Hinterachse) auf die Straße kommen. Dass 717 Newtonmeter selbst einen solchen Prachtkerl mächtig anschieben können, wird beim Antippen des Gaspedals deutlich. Anders als zahlreiche Stromer ist der Top-Speed absolut autobahntauglich – nämlich 200 km/h.
Der Sprint auf das Halbe-Maximum (100 km/h) gelingt in weniger als vier Sekunden. Das macht man am Anfang mal, aber sonst kreisen im Kopf des E-Mobilitsten zwei Werte, die wichtiger als Sprintvermögen sind: die WLTP-Reichweite (in dem Fall 520 Kilometer) und der WLTP-Normverbrauch (moderate 21,3 kW pro 100 Kilometer). Bei der Batterie hieß es ebenfalls nicht kleckern, sondern klotzen: 98 kWh Kapazität bringt diese unter. Die Kunst der Premium-Stromer besteht nun darin, neben einer möglichst flachen Verbrauchskurve eine möglichst steile Ladekurve legen zu können. Das kann der Xpeng. Bis zu 300 kW soll der On-Board-Lader durch die Kabel saugen können, wenn auch nur kurzfristig.
BYD Atto 3 Fahrbericht (2023)
BildergalerieVor dem Laden steht das Fahren. Beim Einsteigen fallen die gut gepolsterten Nappa-Ledersitze auf. Diese sind sehr gut und nicht zu weich, samt Massagefunktion. Das Lenkrad wird wie beim Tesla mittels Software und den beiden Drück-Drehern am Lenkrad justiert. Das Fahrwerk des Allradlers ist allerdings besser als beim Kalifornier, auch wenn es für die 21-Zöller etwas zu ruppig agiert, trotz der zwei Luftkammern, die für den Federungskomfort sorgen. Einstellen kann man dies nur über die Wahl der Fahrmodi. Im Sport-Modus etwa gewinnt die Lenkung deutlich an Direktheit dazu. Beim Starten fahren die Frontlautsprecher aus dem Armaturenträger heraus und sehen aus wie kleine Ufos, was etwas verspielt wirkt. Aber die Tatsache, dass gleich 22 Speaker im Auto verbaut sind, zeigt, wie wichtig der Entertainment-Gedanke für Xpeng-Fans ist.
Sehr viel Ablenkungspotenzial bieten die zwei jeweils gut 15 Zoll großen Zentraldisplays für den Fahrer und den Co-Piloten. Wobei der jeweils weiter entferntere vom Nebenmann nicht eingesehen werden kann, da er sich in dessen Blickwinkel abdunkelt. Auch das Panoramadach dunkelt sich automatisch ab. Die Lüftungsschächte sind starr, was etwas ungewohnt ist und unangenehm sein kann, wenn sich das Luftband unentwegt auf der gleichen Stelle niederschlägt. Vielleicht kann man den Luftstrom auch im Menü digital verändern, uns fehlte die Zeit, danach zu suchen. Was für viele der Features zutrifft, die der schnelle Prozessor auf die Bildschirme brauchte, auch wenn es zwischenzeitlich hieß, dass wir gerade nicht online sind.
IAA 2023 in Bildern
BildergalerieNeben dem gefahrenen Allradler gibt es eine heckbetriebene Basis mit 230 kW/313 und 430 Nm als Kraftausbeute. Sowohl die Batteriegröße (78,2 kWh) als auch der WLTP-Normverbrauch (19,4 kWh pro 100 km) fallen kleiner aus. Das gilt auch für die Reichweite (460 km) wie auch für die maximale Ladeleistung (260 kW). Mit der großen Batterie schafft es der Basis-G 9 auf beachtlich 570 km Reichweite auf dem Papier. Gute Werte, die wohl auch VW überzeugt haben, denn die Niedersachsen nutzen, wie erwähnt, die Plattform zusammen mit Xpeng, um zwei Modelle für den chinesischen Markt zu entwickeln.
Die Chinesen sind indes dann einen Schritt weiter. Mit dem Newcomer G 6 dokumentiert der Software-Autobauer aus Guangzhou, wie schnelllebig der Fahrzeugbau sein kann, wenn man nicht parallel einen Weltkonzern transformieren muss. So ist der G 9 zwar “alte” Technik, dennoch zeigt diese etwa beim Verbrauch (ziemlich genau 20 kWh), was die ebenso großen wie schweren deutschen Premium-Stromer noch nicht beherrschen: das Haushalten mit Strom. Kein Wunder, dass 40 Prozent der Ausgaben bei Xpeng in die Entwicklung (Research & Development) gesteckt werden. Einen Konfigurator und damit Preise gibt es für den deutschen Marktstart noch nicht. In den Niederlanden kostet der G 9 als Basis ab 57.990 Euro (inklusive 21 Prozent Mehrwertsteuer zuzüglich der Überführung und ohne Förderung).