Rechnungsprüfung: Streitfälle bei der Schadensregulierung

Dass die Kfz-Haftpflichtversicherer Gutachten und Reparaturrechnungen durch ihre hauseigenen Sachverständigen prüfen lassen, entspricht ständiger Regulierungspraxis. Im Fokus ihrer Kürzungsbemühungen stand dabei meist die fiktive Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis. Welche Schadenspositionen danach ein Geschädigter berechtigterweise verlangen und durchsetzen kann, ist zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt. Wir verweisen insoweit nur beispielhaft auf das sog. Porsche-Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2003, bei dem die Stundenverrechnungssätze der marktgebundenen Vertragswertstätten im Vergleich zu den ortsüblichen Verrechnungssätzen auf dem Prüfstand waren. Ziel des Schadensersatzes - so der BGH - ist die Totalreparation, wobei der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist. Zwar ist der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, jedoch braucht er sich nicht auf die bloße abstrakte Möglichkeit einer technisch ordnungsgemäßen Reparatur in einer kostengünstigeren Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Auch bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten kann nicht ein abstrakter Mittelwert Grundlage für die Berechnung der im konkreten Schadensfall erforderlichen Reparaturkosten sein. Insbesondere gebietet es die Dispositionsfreiheit des Geschädigten, sein Fahrzeug in einer markengebundenen Werkstatt reparieren zu lassen, weil andernfalls die nach § 249 Abs. 2 BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie unangemessen eingeschränkt würde. Naturalrestitution Aber auch bei Vorlage der Reparaturrechnung gehen die Haftpflichtversicherer zunehmend dazu über, Ansprüche der Geschädigten nicht nur zu überprüfen, sondern auch zu kürzen. Ansatzpunkt dieser neueren Regulierungspraxis ist dabei meist der Einwand, dass eine Reihe von Schadenspositionen wie etwa Beilackierungskosten als zur fachgerechten Instandsetzung nicht notwendig eingestuft werden. Vor diesem Hintergrund mussten sich bereits eine Reihe von Amtsgerichten mit dem Umfang der Naturalrestitution bei streitigen Schadenspositionen und folgender Ausgangslage befassen. Entscheidet sich der Geschädigte, sein Fahrzeug instand setzen zu lassen, so sucht er üblicherweise eine geeignete Reparaturwerkstatt auf und übergibt dieser sein Fahrzeug mit dem Auftrag, die unfallbedingten Schäden fachgerecht bzw. auf der Basis eines Gutachtens instand setzen zu lassen. Dabei vertraut er auf die vorhandene Sachkunde der Gutachter und Reparaturwerkstätten. Nach durchgeführter Reparatur nimmt er sein Fahrzeug im Empfang und unterzeichnet eine Abtretungserklärung zugunsten der Werkstatt, damit er nicht in Vorleistung gehen muss. Nach Einreichung der Reparaturrechnung durch die Werkstatt werden dann eine Reihe von Positionen von dem hausinternen Gutachter der Versicherung als nicht erforderlich gestrichen. Prognoserisiko Das Amtsgericht Neuss hatte vor kurzem über einen solchen Streitfall zu entscheiden, bei dem es um den Austausch von Chromleisten und Fensterschacht- bzw. Türabdichtungen ging. In dem Urteil vom 9. 8. 2016 hat das Amtsgericht die streitige Frage der Erforderlichkeit dieser Reparaturmaßnahmen freilich offen gelassen und stattdessen auf die Grundsätze der Naturalrestitution abgestellt: Danach kann ein Geschädigter gem. § 249 Abs. 2, S 1 BGB den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen, wobei nur solche Aufwendungen erforderlich sind, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. In diesem Rahmen sind ihm allerdings auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Das sog. Werkstatt- bzw. Prognoserisiko trägt danach der Schädiger, falls dem Geschädigten nicht ausnahmsweise ein Auswahlverschulden hinsichtlich der gewählten Werkstatt trifft. Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten i.S.d. § 278 BGB. Da der Schädiger grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen: Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Instandsetzung übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zu Lasten des Geschädigten gehen, der ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde. Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen sind allerdings dann ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, so dass diese Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind. Mehraufwendungen Nach diesen Grundsätzen hat die beklagte Versicherung dem geschädigten Kläger sämtliche Reparaturkosten zu ersetzen, selbst wenn diese, wie von der Beklagten behauptet, aus technischer Sicht zur Schadensbeseitigung nicht notwendig waren. Insbesondere war für den Kläger nicht erkennbar, dass die reparaturausführende Werkstatt ggf. technisch nicht notwendige Arbeiten an seinem Kfz vornehmen würde. Zudem stehen insoweit lediglich Mehraufwendungen in Höhe von ca. neun Prozent der Gesamtreparaturkosten im Raum, die vergleichsweise gering sind und zumindest in einem gewissen Zusammenhang mit dem Unfallschaden stehen. Kurzfassung 1. Bei dem nach § 249 Abs. 2, S 1 BGB "erforderlichen" Geldbetrag handelt es sich um die Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.2. Die Ersatzfähigkeit von Mehraufwendungen ist nur dann ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn dem Geschädigten ein grobes Verschulden zur Last fällt, so dass diese Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind.3. Gibt ein durch einen Verkehrsunfall Geschädigter sein Fahrzeug ohne Auswahlverschulden in eine Reparaturwerkstätte und sind für ihn als technischen Laien von dort veranlasste Mehraufwendungen nicht erkennbar, so sind diese dem Schädiger zuzurechnen. Kommentar Jede mit der Unfallinstandsetzung beauftragte Werkstatt kennt die leidigen Fälle, wenn ihre Reparaturrechnungen oft willkürlich mit der Behauptung zusammengestrichen werden, dieses oder jenes Ersatzteil sei nicht erforderlich. Meist sind es nur kleinere Schadenspositionen, die unter dem Motto "Kleinvieh macht auch Mist" den Geschädigten bzw. ihren Werkstätten aufgelastet werden sollen. Dahinter steht natürlich die Überlegung der Versicherungswirtschaft, dass die wenigsten Anspruchsteller wegen ein paar Hundert Euro den Rechtsweg beschreiten werden.Das nebenstehend besprochene Urteil macht allerdings deutlich, dass man hier nicht klein beigeben, sondern erforderlichenfalls klagen sollte. Hält sich der streitige Mehraufwand in Grenzen, wovon bei bis zu zehn Prozent der Reparaturkosten auszugehen sein dürfte, muss diese streitige Frage auch nicht durch ein teures Sachverständigengutachten abschließend geklärt werden. Vielmehr kommt es mit Blick auf das sog. Werkstattrisiko entscheidend darauf an, dass den Geschädigten bei der Werkstatt kein Auswahlverschulden trifft und die streitigen Schadenspositionen zumindest in einem gewissen Zusammenhang zum Unfallschaden stehen. Der Streit über die Erforderlichkeit von Reparaturarbeiten verlagert sich damit auf die Ebene zwischen Reparaturwerkstatt und Haftpflichtversicherung. Anders als im Verhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger stehen sich dann zwei in technischer Hinsicht gleichwertige Kontrahenten gegenüber.Walter Sattler Rechtsanwalt

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