Ausgabe 10/2007: Prüferkreis

Symposium / Alle fünf großen Prüforganisationen folgten der Einladung zur Diskussionsrunde in die Redaktion nach München. Prüferkreisvon Thomas SeidenstückerSeit gut einem Jahr gelten die neuen Regelungen für Haupt- und Abgasuntersuchung. Darunter die zeitlich gestaffelte Zusammenlegung von HU und AU für OBD-Fahrzeuge, die Prüfung umwelt- und sicherheitsrelevanter, elektronischer Systeme im Rahmen der HU (Systemdatenprüfung ab EZ 1. 4. 2006), die AU und Geräuschmessung für Krafträder (ab EZ 1. 1. 1989) sowie die Gasanlagenprüfung im Rahmen der HU. Ein guter Zeitpunkt, mit den Überwachungsorganisationen über ihre Erfahrungen nach einem Jahr HU-Neuregelung zu diskutieren. Zur Gesprächsrunde in der AUTOHAUS-Redaktion in München trafen sich: Reinhard Staebler, Geschäftsleitung TÜV Süd Auto Service GmbH, Gerd Mylius, Leiter Technische Prüfstelle TÜV Rheinland Kraftfahrt GmbH, Klaus Jürgensen, Leiter Vertrieb der TÜV Nord Mobilität GmbH & Co. KG, Hans Jürgen Mäurer, Leiter Entwicklung Technik bei der Dekra Automobil GmbH, Werner Kühnl, Leiter der Niederlassung Planegg bei der Dekra Automobil GmbH, Rainer Süßbier, Technischer Leiter bei der GTÜ, Klaus Samrowski, Regionalleiter NRW bei der FSP Leitung und Service GmbH, Thomas Firmery, Vertriebsleiter bei der KÜS, Hans-Georg Marmit, Pressechef bei der KÜS sowie Ralph M. Meunzel, Chefredakteur AUTOHAUS, und Thomas Seidenstücker, Redakteur AUTOHAUS. Motorrad-AUKDas schöne Wetter des Frühlings motivierte vor allem die Motorradfahrer früher als sonst in die Saison zu starten. Doch wie sind die Neuregelungen – vor allem die AU und Geräuschmessung – bei den Bikern angekommen? "Reibungsprobleme gibt es bei jeder Neuerung. Das Verständnis der Motorradfahrer für eine erweiterte Untersuchung ihrer Maschine war zu 90 Prozent gegeben. Die verbleibenden 10 Prozent sind notorische Verweigerer und halten eine Überprüfung generell für Unsinn. Bei den Werkstätten mussten wir feststellen, dass zu Beginn viele noch keine AUK-Anerkennung hatten", so Staebler. Bezüglich der AUK-Mängel bestätigten die Prüforganisationen eine Beanstandungsquote von fünf bis zehn Prozent. Ein Wert, der in etwa dem der HU entspricht. Mäurer: "Zu den Prüfstellen kommen die Motorräder häufig vorbereitet. Bezüglich der Geräuschprüfung an Motorrädern wird allgemein befürchtet, dass nach dem Kleben der Plakette mancher Schalldämpfer umgebaut wird. Dieses Prozedere ist bekannt. Bei der Abgasmessung ärgern mich die teils hohen Grenzwerte und individuellen Grenzwertfestlegungen der Hersteller, die das Ganze in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Hier sollte man weiter optimieren." Die AU für Motorräder also eine Alibi-Veranstaltung? Staebler: "Da könnten wir auch die Impfung zur Kinderlähmung in Frage stellen. Wir müssen an den Symptomen arbeiten. Sicherlich ist es ein wirtschaftlicher Faktor, aber am meisten freuen sich die Werkstätten und nicht die Organisationen." Nutzbringend?Hat die AUK den Werkstätten überhaupt etwas gebracht? Jürgensen: "Problem ist, dass viele Zweiradwerkstätten recht klein sind. Das heißt, der Aufwand, eine AUK selbst durchzuführen, ist oft nicht gerechtfertigt. Und da die AUK immer mit einer HU verbunden ist, hat sich das Thema für viele erledigt. Da schafft man kein geeignetes Equipment an, überlässt die Arbeit der Prüforganisation und konzentriert sich auf die Reparatur." Mäurer ergänzt: "Das Invest für die AUK beläuft sich inklusive Schulung und Hardware auf ca. 3.000 bis 5.000 Euro. Ich würde diese Ausgaben tätigen, denn nur so kann ich ein Motorrad vernünftig einstellen." Wie sieht es bei den Autowerkstätten aus – ist man hier auf die AUK angesprungen? "Die Zahl der Autowerkstätten mit AUK-Anerkennung bzw. die diese Anerkennung nutzen ist offenbar rückläufig. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der teure Viergastester bei einer Abgasuntersuchung an einem Zweitaktmotorrad leicht zu Schaden kommen kann", so Süßbier. Systemdaten-ErfahrungenViel Spannung im Rahmen der Modifizierung der HU versprach die Integration der Systemdatenprüfung. Mäurer: "Hier hat man zu Beginn der Diskussion die Fahrzeughersteller sehr verschreckt, weil diese Eingriffe in ihre Systeme befürchteten und mancher Fahrzeughalter mit hohen Fehlerzahlen in der Elektronik seines Fahrzeugs gerechnet hat. Wir prüfen bei der Systemdatenprüfung insgesamt acht Systeme, die einen fahrdynamischen Einfluss haben, sowie aktive Sicherheitssysteme. In einem ersten Schritt handelt es sich um eine Verbau- und Zustandsprüfung mit einer Feststellung des Systemzustandes über die Warnlampen. Das heißt, wir gehen noch nicht hin und lesen Daten mit einem Scantool aus der Fahrzeugelektronik." "Primäre Idee ist die Feststellung, ob alle Systeme noch im Fahrzeug vorhanden sind, die dort im Werk eingebaut wurden. Es wird immer mehr zum Thema, dass bei einer Unfallreparatur z. B. nicht mehr alle Airbags ersetzt werden", so Mylius. Aber wie sehen die entdeckten Mängel aus? Wie viele Airbags haben gefehlt? Wie oft hat das ESP nicht funktioniert? Mäurer: "Die Panik, dass hier ein ABS ausfallen würde oder das ESP nicht mehr funktioniert – dafür habe ich derzeit keine belastenden Daten. Man findet ab und zu ein Fahrzeug, dem man die Plakette verweigern kann, weil ein Lämpchen nicht brennt oder etwas nicht funktioniert. Allerdings ist die bisher geprüfte Zahl der Fahrzeuge überschaubar. Die Masse der Autos, die unter die Systemdatenprüfung fallen, wird erst ab 2009 zu uns kommen."12 MinutenDas heißt, ab dann wird die HU auch merklich mehr Zeit beanspruchen? Firmery: "Wir rechnen mit etwa 30 Prozent mehr Zeitaufwand, die man braucht, wenn bei allen Fahrzeugen die Systemdatenprüfung anfällt. Das ist aber erst in 10 bis 15 Jahren der Fall. Gegenwärtig schwankt der Mehraufwand je nach Fahrzeug zwischen sieben und 12 Minuten." Aber was sagen die Hersteller zum Thema Systemdatenprüfung? Jürgensen: "Wir werden den Fahrzeughersteller nach meiner Einschätzung künftig mehr auf unserer Seite haben. Denn der Hersteller hat zunehmend das Problem auch nach neun oder zehn Jahren sicherzustellen, dass die Autos weiter funktionieren. Nicht umsonst erfolgt schon heute bei vielen Inspektionen ein Systemupdate. Nach vier oder fünf Jahren sind die Autos nicht mehr greifbar für die Vertragswerkstatt und da könnten wir ins Spiel kommen." Süßbier weiter: "Das BMVBW und die Überwacher haben sich einvernehmlich mit den Herstellern und Importeuren auf die Untersuchung gemäß "Systemdaten" für sicherheitsrelevante Elektronik geeinigt. Die Hersteller/Importeure sehen derzeit im Auslesen von Fehlerspeichern bei der HU keinen Sinn, weil die hinterlegten Codes nicht unbedingt HU-relevante Aussagen liefern. Aus unserer Sicht genügt eine alleinige Überprüfung der Kontrolllampenfunktion aber ebenfalls nicht, denn diese ist leicht zu manipulieren. Wo ein Scantool-Zugang Sinn machen würde, ist das Thema "Softwarestände" im Fahrzeug. Den Überwachern fehlen zurzeit jegliche Informationen über zulässige Kombinationen von Softwareupdates und den dazugehörigen Steuergeräten, um hier im Rahmen der HU Aussagen treffen zu können."Andere Abläufe Staebler: "Was die Novellierung auf jeden Fall mit sich gebracht hat, ist ein veränderter Prüfablauf in der Werkstatt. Konnte der Prüfingenieur früher zehn Fahrzeugscheine nehmen und die Autos nacheinander prüfen, muss er sich heute vorher Gedanken machen: Was ist das für ein Auto? Wo prüfe ich es? Auf welche Bauteile und Systeme ist hier besonders zu achten?" Süßbier weiter: "Bisher war die AU nicht direkt an die HU gekoppelt, wenn sie denn zum Zeitpunkt der HU noch gültig war. Bei Fahrzeugen mit OBD ist die Untersuchung der Abgase nun Bestandteil der HU. Der positive Nachweis des Abgasverhaltens ist Voraussetzung für das Bestehen der Hauptuntersuchung." Würde die HU-Plakette ohne bestandenen AU-Teil vergeben, wäre dies eine Falschbeurkundung seitens des Prüfingenieurs. Kühnl: "Darum sind wir hier unter Zugzwang. Ich kann aber sagen, dass sich diese Problematik in den Werkstätten herumgesprochen hat und dort versucht wird, die AU pünktlich durchzuführen." Süßbier: "Für alle Seiten wünschenswert ist es, dass Werkstätten die Bedeutung der Hauptuntersuchung als hoheitliche Aufgabe verstehen und sie nicht als 'Frequenzbringer' betrachten. Mit Dumpingpreisen ist keinem geholfen. Zudem ist es für Werkstätten unwirtschaftlich, HU/AU-Bundle für weniger als 70 Euro anzubieten. Wir glauben, dass derartige Praktiken dem Aufbau einer langfristigen Kundenbindung nicht dienen." Doch ist der Preis beim Kunden wirklich so im Fokus? Staebler: "Je ländlicher, desto wichtiger. Die Schnäppchenjagd ist gewaltig und bei uns fragt jeder dritte Anrufer nach dem Preis." Marmit: "Im Endeffekt sprechen wir hier für die HU über den Gegenwert einer Tankfüllung und das sollte jedem Autofahrer die Sicherheit seines Fahrzeugs wert sein."Essen wäre gutApropos Sicherheit: Wie steht es um die Kontrolle reparierter Unfallschäden? Staebler: Diese Forderung gibt es weiterhin. Wichtig ist: Wir wollen hier nicht die Qualität der Fachwerkstatt überprüfen, sondern den Do-it-yourself-Markt erreichen. Gegenwärtig geht man davon aus, dass bis zu zwei Millionen unsachgemäß reparierte Fahrzeuge auf der Straße sind." Mylius: "Bei uns ist der Gesetzgeber momentan etwas zögerlich mit solchen Verschärfungen. Und wir haben ein Kommunikationsproblem mit der Versicherungswirtschaft und den Straßenverkehrsämtern. Man könnte das Problem lösen, wenn man es wollte." Doch wie könnte eine Lösung aussehen? Samrowski: "So wie es das Essener Modell vorsieht: Indem die Versicherungen an die Zulassungsstellen verunfallte Fahrzeuge melden. Das ist der einzige Weg." Andererseits ist der Prüfaufwand nicht zu unterschätzen: "Bei der fachgerechten Reparatur von Unfallschäden sind heute verschiedenste Techniken anzuwenden. Problematisch ist, dass einige Reparaturen optisch einen guten Eindruck machen, aber im Crashtest nicht gut abschneiden, weil die Instandsetzungsmethode nicht hundertprozentig der Forderung des Fahrzeugherstellers entsprach", so Kühnl. Mäurer weiter: "Das hört sich alles danach an, dass es eine Fachwerkstatt machen muss. Denn die Fachwerkstatt hat Zugang zu den Reparatursystemen, zu den Herstellerinformationen und zu den richtigen Ersatzteilen." Aber wie lässt sich das Thema weiter voranbringen? Staebler: "Wir diskutieren darüber ständig mit dem ZDK. Aber die Versicherungen sind bei diesem Thema nicht unbedingt unsere Mitstreiter, da sie gerne die fiktive Abrechnung praktizieren. Überall dort, wo es keine fiktive Abrechnung seitens der Versicherung gibt, gibt es auch eine Analogie zum Essener Modell. Das sieht man ganz deutlich." Besser mit ECEEin deutlich wachsender Markt in Autohaus und Werkstatt ist die Gasumrüstung. Läuft hier alles glatt oder stellen die Prüforganisationen häufig Fehler fest? Süßbier: "Es ist bedauerlich, dass der Gesetzgeber für den Einbau von Gasanlagen nicht auf das bewährte Verfahren der Änderungsabnahme gemäß Paragraf 19 StVZO, z. B. auch auf Basis von Teilgutachten, zurückgegriffen hat. Die Fokussierung auf die ECE-Regelung ist unseres Erachtens ein Fehler und nicht bürgerfreundlich." Mäurer: "Werkstätten, die sich auf die Gasumrüstung spezialisiert haben, machen das sehr solide. Andere müssen da manchmal lange basteln. Glücklicherweise sind die meisten Systeme selbstsichernd, so dass hier nicht viel passieren kann. Mylius: "Die Gaseinlageneinbauprüfungen beruhen auf einer Genehmigung der ECE R 115. Doch viele Anlagen verfügen nicht über diese Genehmigung und hier ist es über den §21 möglich, den Umbau einzutragen." Worauf sollte eine Werkstatt also achten? Mäurer: "Dass sie geschulte Leute hat und man Anlagen einbaut, die nach der ECE- Regelung abgenommen sind." Kühnl: Man kann den Betrieben zusätzlich den Rat geben, neben der Schulung für den Gaseinbau die separate Qualifizierung für die Einbauprüfung zu erwerben. Denn die einbauende Werkstatt hat es viel leichter, den Einbau zu prüfen und zu dokumentieren als eine Überwachungsorganisation, wenn wieder alle Verkleidungsteile am Fahrzeug montiert sind." Gutachten dabeiEin anderer Bereich, Margen und Auslastung zu generieren, betrifft die Zubehör- und Tuningvermarktung im Autohaus. Einige Betriebe sind hier sehr erfolgreich unterwegs, andere lassen dieses Geschäftsfeld völlig brachliegen. Jürgensen: "Im Autohandel herrscht überwiegend die Meinung: Das will keiner und deshalb bieten wir es sicherheitshalber erst gar nicht an. Dabei gibt der Autofahrer in den ersten zwei Jahren nach dem Fahrzeugkauf im Schnitt ca. 800 Euro für Individualisierung aus, wovon im Markenbetrieb nur etwa 200 Euro ankommen. Hier sehe ich ein sehr großes Nachholpotenzial fürs Autohaus." Marmit: "Viele versuchen das Thema Tuning auf eigene Faust in die Hand zu nehmen und denken: Das passt schon, was wir hier zusammenbauen. Die Probleme kommen bei Mehrfachumbauten, weil das Thema Wechselwirkung und die dazugehörigen Vorschriften in Autohaus und Werkstatt oft wenig bekannt sind. Der Prüfingenieur dagegen kann sehr schnell in den Datenbanken nach den entsprechenden Teilegutachten suchen." Welchen Rat kann man geben? Süßbier: Für alle Tuningteile sollte ein Prüfzeugnis vorliegen. Das kann z. B. eine ABE, eine Bauartgenehmigung oder ein Teilegutachten sein. In jedem Fall sollte man schon vor dem Kauf darauf achten, dass Prüfzeugnis, Tuningteil und Kraftfahrzeug zusammenpassen." Kühnl ergänzt: "Sehr gefährlich schätze ich die Internetszene ein, denn hier tauchen nicht genehmigte Teile oder Teile mit gefälschten Gutachten auf. Einem Autohändler kann man deshalb nur empfehlen, bei der Hereinnahme eines Fahrzeugs auf sämtliche Umbauten zu achten, diese selbst zu überprüfen oder im Zweifelsfall einen Prüfingenieur zu konsultieren, der ggf. Gutachten auf Echtheit und Plausibilität prüfen kann."Unendliche GeschichteDer abschließende Diskussionspunkt widmete sich einem Dauerbrenner: Seit über 30 Jahren philosophiert man über den Sinn und Zweck einer Stoßdämpferprüfung innerhalb der HU, hat aber bisher keine Lösung gefunden. Wie ist die aktuelle Lage aus Sicht der Prüforganisationen? Mäurer: "Man findet leider keinen Konsens zwischen den Fahrzeugherstellern, den Prüforganisationen und den Werkstattausrüstern. Gegenwärtig hat man eine Technik entwickelt, mit der man das Dämpfungsmaß (Teta) erfassen kann. Nun stellt sich die Frage, wo man den Grenzwert setzt. Im Augenblick ist die Tendenz so, die Differenz des Dämpfungsmaßes zwischen rechter und linker Seite des Fahrzeugs zu bewerten, ohne den Absolutwert gegen null laufen zu lassen. Ich bin sehr optimistisch, noch in dieser Dekade eine Lösung zu finden. Wenn wir das Thema bis 2010 nicht auf der Schiene haben, sollte man es vergessen, weil wir dann nämlich zusätzlich immer mehr elektronische Systeme im Fahrwerksbereich berücksichtigen müssten."

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