BGH zu VW-Dieselprozessen: Paukenschlag?

Für den 27.02.2019 hatte der BGH den Verhandlungstermin im Revisionsverfahren eines VW-Kunden angesetzt, der in beiden Vorinstanzen erfolglos gegen den Händler auf Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeuges geklagt hatte. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob ein Modellwechsel die Ersatzlieferung unmöglich macht. Am 22.02.2019 teilte die Pressestelle die Aufhebung des Termins mit nach Rücknahme der Revision wegen außergerichtlich erzielter Einigung. Gleichzeitig erfolgte der Hinweis auf einen vorangehenden Beschluss des Senats vom 08.01.2019 (Az. VII ZR 225/17) zu möglichen Rechtsfehlern in den vorangegangenen Urteilen. VW war es also in letzter Minute gelungen, hinter den Kulissen einen für den Kläger vermutlich gut dotierten Vergleich zu schließen und damit eine lange erwartete Entscheidung des BGH auch in diesem Fall zu verhindern. Veranlassung für einen solchen Vergleich bestand durchaus. Auch wenn der erst nachträglich veröffentlichte Beschluss keine rechtliche Wirkung entfaltet, lässt er eine für den Kläger günstige Beurteilung einzelner Rechtsfragen durch den BGH deutlich erkennen. Ein vor allem im Lager der Prozessindustrie auf Klägerseite propagierter Paukenschlag ist damit aber nicht verbunden. Maßgeblich beleuchtet der BGH zwei Punkte: die Mangelhaftigkeit der EA 189-Motoren ohne Update und die Ersatzlieferung nach Modellwechsel. Landgericht Bayreuth Vor dem Landgericht Bayreuth hatte der Kläger wegen der "Umschaltlogik" in seinem Ende Juli 2015 ausgelieferten VW Tiguan 2,0 TDI gegen den Händler auf Lieferung eines gleichen Fahrzeuges mit selber Ausstattung und Motorleistung geklagt, welches die EU-Abgaswerte und die beim Kauf angegebenen Verbrauchswerte jeweils im Mess- und im Straßenbetrieb einhält. Hilfsweise verlangte er Nachbesserung seines Fahrzeuges. Das Landgericht beurteilte das Fahrzeug als mangelhaft und die Ersatzlieferung wegen objektiver Unmöglichkeit als nicht geschuldet. Als modifizierter Erfüllungsanspruch beschränke sich die Nachlieferung auf eine gleichartige und gleichwertige Sache. Der Pkw werde jedoch nicht mehr hergestellt und könne deshalb vom Verkäufer auch nicht mehr beschafft werden. Mit der Lieferung eines Nachfolgemodells würde dem Kläger über den ursprünglichen Erfüllungsanspruch hinaus eine ihm nicht zustehende Leistung zugesprochen. Verurteilt wurde der Händler zur Nacherfüllung (Az. 21 O 34/16). OLG Bamberg Das OLG Bamberg wies die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 20.09.2017 ohne mündliche Verhandlung zurück -Az. 6 U 5/17. Der Senat war einstimmig der Auffassung, dass der vom Kläger explizit auf die Lieferung eines mangelfreien Fahrzeuges der ersten Serie gerichtete Antrag bereits wegen des erfolgten Modellwechsels keine Aussicht auf Erfolg haben kann. Die Frage, ob ein Sachmangel vorliege, könne deshalb offenbleiben. Aber auch wenn der Kläger seinen Antrag auf die Lieferung eines Fahrzeuges aus der zweiten Modellserie umgestellt hätte, wäre dies nicht auf eine gleichartige und gleichwertige Leistung gerichtet. Die seit 2016 produzierten Fahrzeuge wiesen mit einem Sechsganggetriebe, einer um 3 KW erhöhten Motorleistung, einer um 10 km/h veränderten Höchstgeschwindigkeit, 8 cm verlängertem Radstand und einer um 6 cm vergrößerten Fahrzeugbreite mehr als nur marginale Änderungen gegenüber der Vorserie auf. Hinweisbeschluss des BGH Der BGH wies die Prozessparteien mit einem 20-seitigen Beschluss vom 08.01.2019 in zwei Punkten auf möglicherweise gegenüber den vorangehenden Entscheidungen abweichend zu treffende Beurteilungen hin. Mit der Veröffentlichung nach erfolgter Rücknahme der Revision wollte der BGH vermutlich für die nachfolgend aufgeführten Bereiche der nicht mehr anstehenden Entscheidung gleichwohl eine Orientierung für die Instanz- und Obergerichte schaffen. Vorliegen eines Sachmangels Der BGH stellt klar, dass er die werksseitig erfolgte Ausstattung des Fahrzeuges mit einer Software zur Reduzierung des Stickstoffausstoßes auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb als Sachmangel im Sinne des Kaufvertragsrechts beurteilt. Er begründet dies mit dem Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2017 vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen. Diese Vorschrift verpflichtet den Hersteller, mit seinen Motoren die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte über den Prüfmodus hinaus auch im normalen Fahrbetrieb einzuhalten. Verboten wird - mit drei hier nicht relevanten Ausnahmen - die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringern. Gleichzeitig werden die Hersteller zur Erlangung der Typgenehmigung mit der Durchführungsverordnung Nr. 692/2008/ EG vom 18.07.2008 zu konkreten Nachweisen verpflichtet, für Dieselfahrzeuge zusätzlich betreffend die Stickoxid-Emissionen und die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems. Weil die Abschalteinrichtung der EA 189-Motoren nicht in das Prüfsystem des Typgenehmigungsverfahrens einbezogen wurde und dazu diente, "unerkannt auf das Emissionsprüfverfahren einzuwirken", bestand für das Fahrzeug des Klägers bereits anfänglich latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde. Dies begründet die Annahme eines Sachmangels, da auch ohne konkrete Umrüstungsanordnung oder Betriebsuntersagung von einem bereits veranlagten Mangel auszugehen ist, der jedenfalls die Eignung des Fahrzeuges zur gewöhnlichen Verwendung herabsetzt. Der Mangel besteht nach Auffassung des BGH jedenfalls fort, "solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung (noch) nicht durchgeführt worden ist". Dies bezieht sich offensichtlich auf das Aufspielen des vom Hersteller angebotenen Software-Updates zur Beseitigung der "Umschaltlogik", womit die Gefahr der Betriebsuntersagung entfällt. Ersatzlieferung bei Modellwechsel Eine Ersatzlieferung bei Modellwechsel kann nach Auffassung des BGH auch bei erheblichen technischen Änderungen des Nachfolgemodells nicht von vornherein als unmöglich beurteilt werden. Der BGH überrascht mit einem Rüffel an verschiedene Oberlandesgerichte, die einheitlich eine für befasste Juristen bislang klare Unmöglichkeit der Ersatzlieferung bei wesentlichen Abweichungen vertreten. Geänderte Motorleistung, Karosseriegestaltung und Fahrwerksabmessungen treten nunmehr bei der notwendigen Beurteilung einer Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit des Fahrzeuges aus der neuen Modellreihe in den Hintergrund. Abzustellen ist vielmehr auf "Inhalt und Reichweite" der vom Händler geschuldeten Beschaffungspflicht. Der Käufer soll nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Ersatzlieferung das erhalten, was er vertraglich zu beanspruchen hat. Dem Verkäufer soll Gelegenheit gegeben werden, die Rückabwicklung des Vertrages abzuwenden. Der Anspruch des Käufers ist dabei nicht auf die Lieferung eines mangelfreien, ansonsten aber identischen Fahrzeuges beschränkt. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob Käufer und Verkäufer das gelieferte Fahrzeug und das Nachfolgemodell "als austauschbar angesehen haben". Die Einstellung der Produktion des aktuellen Modells und die Einführung eines Nachfolgemodells sei nach den Gesetzen des Marktes für beide Vertragsparteien ebenso vorhersehbar gewesen wie damit regelmäßig verbundene Neuerungen im Hinblick auf Technik, Komfort und optische Gestaltung. Deshalb sieht der BGH einen "mehr oder weniger großen Änderungsumfang" zur Beurteilung einer Austauschbarkeit der Leistung nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Der BGH verweist den Händler stattdessen darauf, sich als "Beschaffungshindernis" mit Vorrang auf die Unverhältnismäßigkeit der Ersatzbeschaffungskosten zu berufen und das Wahlrecht des Kunden damit auf die Nachbesserung zu beschränken. Eine Klageabweisung konnte nach Auffassung des BGH letztlich auch nicht auf die Antragstellung des Klägers gestützt werden, mit der konkret die Lieferung eines Fahrzeuges mit den Daten der ersten Modellgeneration gefordert wurde. Im Wege der Auslegung sei der Klageantrag so zu begreifen, dass er "unverkennbar auf die Ersatzlieferung eines mangelfreien VW Tiguan" gerichtet war, im Falle einer fehlenden Nachrüstbarkeit sogar ausschließlich auf die Lieferung eines Fahrzeuges aus der nachfolgenden Modellreihe. Kurzfassung 1. Mit Beschluss vom 08.01.2019 hat sich der BGH erstmals mit Hinweisen zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit den VW-Dieselprozessen positioniert. Der Beschluss entfaltet keine rechtliche Wirkung, nachdem das Verfahren durch Vergleich beendet wurde. Er gibt aber eine Orientierungshilfe für gleichgelagerte Verfahren.2. Der BGH beurteilt die "Umschaltlogik" der EA 189-Motoren als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2017. Dies begründet die Annahme eines bei Übergabe vorliegenden Sachmangels, da bis zur ordnungsgemäßen Nachrüstung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung droht und die Eignung des Fahrzeuges zur gewöhnlichen Verwendung damit bis zur Nachrüstung herabgesetzt ist.3. Der Anspruch auf Ersatzlieferung wird durch einen Modellwechsel nicht ausgeschlossen. Nach den Gesetzen des Marktes ist die Einführung eines Nachfolgemodells für die Vertragsparteien ebenso vorhersehbar wie damit verbundene Neuerungen. Eine aus Sicht der Vertragsparteien erforderliche Austauschbarkeit in der Beschaffungspflicht ist deshalb auch bei technischen und gestalterischen Änderungen anzunehmen. Dem Verlangen nach Ersatzlieferung ist vorrangig eine Unverhältnismäßigkeit der Ersatzbeschaffungskosten entgegenzuhalten. Kommentar Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass der BGH im Falle der notwendigen Entscheidung das Berufungsurteil aufgehoben und das Verfahren an das OLG Bamberg zurückverwiesen hätte. Dort wäre dann darüber zu entscheiden gewesen, ob der Händler die Ersatzlieferung wegen unangemessener Kosten verweigern kann und es deshalb bei einer Verurteilung des Händlers zur Nachbesserung verbleibt. Zu erwarten ist in der Folge des Beschlusses ein Umdenken der Rechtsprechung in Sachen der Ersatzlieferung bei Modellwechsel. In der Gesamtzahl der VW-Verfahren machen die auf Ersatzlieferung gerichteten Klagen allerdings nur einen vergleichsweise kleinen Teil aus. Die dezidierten Ausführungen zur Mangelhaftigkeit der EA 189 EU 5-Motoren betreffen dagegen alle noch offenen, gegen die Händler geführten Verfahren. Allerdings gingen die Gerichte bereits bisher in ganz überwiegender Zahl ohnehin von einem Mangel aus. Offen bleiben die prozessrelevanten Fragen im Zusammenhang mit der angebotenen Nachbesserung durch Aufspielen der Software-Updates. Eine Äußerung des BGH hierzu war nach dem Sachverhalt nicht veranlasst.Rechtsanwalt Robert Glocker

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