Ausgabe 12/2010: Neuer Rahmen

Neuer RahmenGVO E Die EU-Kommission hat die überarbeiteten Wettbewerbsregeln veröffentlicht. Jetzt kommt es darauf an, was die Hersteller daraus machen. Von Doris Plateam 27. Mai hat die EU-Kommission die überarbeiteten Wettbewerbsregeln für den Kraftfahrzeugsektor erlassen. Für den After-Sales-Bereich gilt die neue Kfz-GVO 461/2010 bereits seit 1. Juni 2010. Im Neuwagenvertrieb werden die Regelungen der heutigen GVO 1400/2002 bis zum 31. 5. 2013 verlängert. Danach greift die Vertikal-GVO 330/2010. Die neue Kfz-GVO gilt bis 31. 5. 2023, die neue Vertikal-GVO bis zum 31. 5. 2022. Was bedeutet das für die Händler? Das Wichtigste in Kürze: Im After-Sales-Bereich sind keine wesentlichen praktischen Änderungen zu erwarten. Auch weiterhin muss jede Werkstatt, die die Standards eines Herstellers erfüllt, zum Werkstattnetz dieses Herstellers zugelassen werden. Im Ersatzteilbereich entfällt lediglich die heute zulässige Verpflichtung von autorisierten Werkstätten zum Bezug von mindestens 30 Prozent der Ersatzteile beim entsprechenden Hersteller.Im Neuwagenvertrieb ändert sich nur etwas, wenn die Hersteller sich entschließen, die heutigen Verträge zu kündigen und durch neue Verträge auf Basis der Vertikal-GVO zu ersetzen. Wenn sie das tun, können sie künftig den Mehrmarkenvertrieb einschränken und die Niederlassungsfreiheit verbieten. Die Möglichkeit zur Untervergabe des Service kann ebenso entfallen wie die Möglichkeit zur Übertragung des Vertrages. Darüber hinaus kann der Begründungszwang bei ordentlichen Kündigungen gestrichen werden. Angst um MehrmarkenvertriebBesonders im Mehrmarkenvertrieb geht nun die Angst um: Sofern ein Hersteller einen Marktanteil von über 30 Prozent im Neuwagenvertrieb hat, könnte er seinen Händlern für maximal fünf Jahre untersagen, weitere Marken zu vertreiben. Außerdem kann ein Hersteller seine Händler verpflichten, bis zu 80 Prozent des jährlichen Gesamtbezugs an Neufahrzeugen bei ihm oder einem Unternehmen des Netzes zu beziehen. Einen Bestandsschutz gibt es entgegen früherer Entwürfe nicht in vollem Umfang (siehe Interview mit Uwe Brossette, Seite 16). Jetzt kommt es darauf an, was die Hersteller daraus machen. Branchenanwalt Christian Genzow von der Kölner Kanzlei Graf von Westphalen befürchtet: „Viele, vor allem größere Hersteller werden ab 1. Juni 2013 wieder den Markenzwang einführen. Der Vertrieb von Zweit- oder sogar Drittmarken wird verboten.“ Cecra-Präsident Jürgen Creutzig ist dagegen optimistisch: „Wir sind sicher, dass die Mehrzahl der Hersteller Verträge entsprechend dem bisherigen Standard haben werden.“ Auf jeden Fall besteht nun Unsicherheit in dieser Frage. Für ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann das Schlimmste: „Die Händler können nicht mehr planen.“ Seltsame ArgumenteDabei sollte der Willkür der Hersteller eigentlich nicht Tür und Tor geöffnet werden. Eine Selbstverpflichtung, „Code of Conduct“ genannt, die die Hersteller freiwillig unterschrieben haben, soll für fairen Umgang sorgen. Dennoch: Die EU-Kommission begründete ihre Entscheidung für die Erleichterung des Markenzwangs damit, dass die bisherige Regelung die Hersteller zur Einführung höherer Standards veranlasst habe. Dies hätte einen allgemeinen Anstieg der Vertriebskosten um schätzungsweise 20 Prozent zur Folge gehabt. Die neuen Regeln sollen nun den Kfz-Herstellern mehr Spielraum bei der Organisation ihrer Netze verschaffen und die Möglichkeit bieten, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Markenzwang und Mehrmarkenhandel zu sorgen. Die Kommission wird in den nächsten drei Jahren genau beobachten, was die Hersteller aus ihren Möglichkeiten machen, und behält sich vor, gegebenenfalls einzuschreiten. Auf die Vernunft und das Augenmaß der Hersteller kommt es an – die Umsetzungsphase beginnt jetzt. zKurzfassungDie neue Kfz-GVO gilt im Service seit 1. Juni 2010. Im Vertrieb wird die neue Vertikal-GVO ab 1. Juni 2013 gelten. Im After-Sales-Bereich sind keine wesentlichen praktischen Änderungen zu erwarten. Im Ersatzteilbereich entfällt die heute zulässige Verpflichtung von autorisierten Werkstätten zum Bezug von mindestens 30 Prozent der Ersatzteile beim entsprechenden Hersteller.Im Neuwagenvertrieb ändert sich nur etwas, wenn die Hersteller sich entschließen, die heutigen Verträge zu kündigen und durch neue Verträge auf Basis der Vertikal-GVO zu ersetzen. In Gefahr sind dann Mehrmarkenvertrieb, Niederlassungsfreiheit, Untervergabe des Service, Übertragung des Vertrags an Markenkollegen und Begründungszwang für Kündigungen. kommentarVernünftig bleiben!< Eigentlich ist es unfassbar: Die Kommission veröffentlicht am 27. Mai – zwei Arbeitstage vor Inkrafttreten – die neuen Wettbewerbsregeln für unsere Branche. Das tut sie vollkommen undemokratisch: Beamte entscheiden über die zukünftigen Rahmenbedingungen für unsere Branche. Die Einwände des EU-Parlaments fanden keine Berücksichtigung. Lediglich die Lobbyarbeit der Hersteller scheint gut gewesen zu sein: Anders ist die Kehrtwendung nicht zu verstehen. Oder wie kommen die Verantwortlichen darauf, dass die Hersteller mit der GVO 2002 in der Organisation des Vertriebs eingeengt wurden und die Mehrmarkenregelungen zu wenig wirksam gewesen wären? Die sehr schwammigen Formulierungen in wichtigen Bereichen lassen Auslegungen zu und werden Heerscharen von Juristen in den nächsten Monaten beschäftigen. Jetzt kommt es nämlich darauf an, was die Hersteller aus den neuen Regeln machen. Halten sie sich an den „Code of Conduct“? Wollen sie ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen, obwohl sie nichts ändern müssen? Jetzt wird sich zeigen, wer verantwortungsvoll handelt und Partnerschaft nicht nur als Worthülse in Sonntagsreden nutzt. >AUTOHAUS RedakteurinSinnvoll verhandeln GVO E Rechtsanwalt Uwe Brossette gibt detaillierte Antworten auf die drängendsten Fragen zur GVO-Neuregelung. Von Ralph M. Meunzel und Ralf pADRTKAAuf was sich die Autohändler durch die Veränderungen der neuen GVO einstellen müssen, erläutert GVO-Experte Uwe Brossette im Interview mit AUTOHAUS. AH: Herr Brossette, die neuen Regelungen zur Gestaltung des Vertriebs und der Wartung von Pkw, Lkw und Bussen sind jetzt in Kraft getreten. Was bedeutet das für Händler und Hersteller?U. Brossette: Zunächst einmal bedeutet die Neuregelung im Vertrieb eine Verlängerung der Altregelung um drei Jahre. Die Händler haben also noch Zeit, von den bisherigen Vorteilen zu profitieren. Wer seinen Betrieb an einen Markenkollegen verkaufen oder mit ihm fusionieren will, kann das noch ohne Weiteres bis 31. 5. 2013. Selbstverpflichtung der HerstellerAH: Welche Händlerschutzrechte bleiben bestehen?U. Brossette: Die Kommission legt allergrößten Wert auf transparente Vertragsgestaltung, um sicherzugehen, dass die Händler nicht über die Hintertür in ihrem Wettbewerbsverhalten ausgebremst werden. Maßgeblich hierfür ist der sog. Code of Conduct, den die großen Hersteller und Importeure in Europa unterschrieben haben. Dort sind die zweijährige Regelkündigungsfrist und das Schlichtungsverfahren als Selbstverpflichtungen der Hersteller festgelegt. Die Hersteller sind nach den Leitlinien aufgefordert, die Regelungen des Code of Conduct händlervertraglich umzusetzen und einzuhalten.AH: Ab 2013 gilt für den Autovertrieb die Schirm-GVO. In welcher Form hat der Hersteller damit mehr Möglichkeiten, sein Netz zu organisieren?U. Brossette: So viel mehr Möglichkeiten als heute haben die Hersteller auch nicht unter Geltung der Vertikal-GVO. Sie müssen wählen, ob sie ihr Netz exklusiv oder selektiv betreiben wollen. Entscheidet sich ein Hersteller für den Selektivvertrieb, müssen die Händler überall, wo Selektivvertrieb praktiziert wird, aktiv verkaufen können. Allerdings darf der Hersteller wieder eine Standortklausel (Location clause) in den Händlervertrag aufnehmen und damit dem Händler untersagen, ohne Zustimmung Filialen zu eröffnen. Zwingend ist das aber nicht. MarktanteilsgrenzenAH: Bei der Schirm-GVO gibt es eine Marktanteilsgrenze von 30 Prozent. Gilt diese national und kann die Regelung nur auf jeweils eine Marke oder auf alle Marken eines Konzerns angewendet werden?U. Brossette: Die Marktanteilsgrenze gilt in zweierlei Hinsicht: Ein Händlervertrag fällt nur dann in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO, wenn weder der Hersteller noch der Händler im relevanten Markt mehr als 30 Prozent Marktanteil haben. Für den Händlermarkt gilt ein Radius von bis zu 50 km um den Standort. Ist die Grenze überschritten, kommt nur noch eine Einzelfreistellung in Betracht. Hierfür enthalten die Leitlinien zur Vertikal-GVO viele wichtige Hinweise. Beispielsweise wird dort ausgeführt, dass bei mehr als 30 Prozent Marktanteil eine quantitative Selektion der Händler, insbesondere wenn im Händlervertrag auch noch eine Exklusivitätsverpflichtung enthalten ist, nicht freistellungsfähig und damit unzulässig ist. Bei der Ermittlung der Marktanteile wird auf die Segmente geschaut, die aus Sicht des Kunden austauschbar sind, und dabei alle Konzernmarken zusammengerechnet. Entscheidend ist also nicht der Anteil des Fabrikats oder Konzerns im Gesamtmarkt, sondern der regionale Konzernmarktanteil im Segment.Zum Beispiel VolkswagenAH: Was bedeutet dies für die Hersteller, z. B. Volkswagen mit zehn Marken?U. Brossette: Für VW bedeutet das, dass z. B. bei der Ermittlung des Marktanteils für die Kompaktklasse nicht nur singulär der Anteil des VW Golfs zu betrachten ist, sondern auch der Audi A3 und der Skoda Octavia einzubeziehen sind. Da ein einfach ausgestatteter Golf aber durchaus mit gut ausgestatteten Modellen des Polo, Seat Ibiza und Skoda Fabia aus Kundensicht konkurriert, sind diese ebenso bei der Berechnung zu beachten wie einfache Ausstattungen des Passats oder A 4, die wiederum aus Kundensicht mit einem vollausgestatteten Golf austauschbar sind. Liegt in dieser Kette der Marktanteil über 30 Prozent, kommt eine Freistellung nach der GVO nicht mehr in Betracht. Denkbar ist dann nur noch eine Einzelfreistellung. Eine solche ist nach Ansicht der Kommission im Kfz-Bereich ausnahmsweise möglich, wenn die Marktanteile der beteiligten Unternehmen 40 Prozent nicht überschreiten. Allerdings darf der Hersteller dann von seinen Händlern weder Exklusivität verlangen noch die Errichtung zusätzlicher Verkaufsstellen untersagen. Haben Hersteller oder Händler im regionalen Markt mehr als 40 Prozent Marktanteil, dürfen die Händler nur noch qualitativ selektiert werden (Autorisierungsanspruch).Mercedes-BenzAH: Fällt das Mercedes-Benz-Vertretersystem unter die Schirm-GVO?U. Brossette: Grundsätzlich fallen Handelsvertreterverträge nicht unter das europäische Kartellverbot. Unternehmen, die mit Handelsvertretern arbeiten, können ihren Vertretern also ohne Weiteres Wettbewerbsbeschränkungen auferlegen. Die Voraussetzungen der GVO müssen nicht erfüllt sein. Entscheidend ist aber insoweit, dass der Handelsvertreter bei der Vermittlung keine wirtschaftlichen Risiken trägt, die denen eines Vertragshändlers ähneln. Um das festzustellen, ist die Art und Weise der Vermittlungstätigkeit zu beleuchten. Die EU-Kommission hat ihre Kriterien zur Feststellung von unechten Handelsvertretersystemen in den Vertikal-Leitlinien nochmals bekräftigt und entsprechend der Rechtsprechung ergänzt. Danach sind drei Arten von Risiken von Bedeutung: Risiken, die unmittelbar mit den vermittelten Verträgen in Verbindung stehen (z. B. Finanzierung von Lagerbeständen, Produkthaftung etc.), marktspezifische Investitionsrisiken und Risiken, die sich daraus ergeben, dass der Auftraggeber vom Vertreter weitere Tätigkeiten verlangt, die mit der Vermittlung nichts zu tun haben (z. B. Unterhalt einer Werkstatt). Es wird zu untersuchen sein, ob die MB-Vertreter einzelne oder mehrere dieser Risiken tragen. Dann müssten die Vertreterverträge an der GVO ausgerichtet werden.Große HändlerAH: Was bedeutet die neue Marktanteilsgrenze für einen Händler bzw. eine Händlergruppe, die regional mehr als 30 Prozent Marktanteil haben?U. Brossette: Beide Parteien, also Händler und Hersteller, müssen bei ihrer Vertragsgestaltung besondere Vorsicht walten lassen, um sich nicht dem Vorwurf einer unerlaubten Kartellabsprache auszusetzen, was zu empfindlichen Bußgeldern führen kann.Mehrmarkenvertrieb AH: Und welche Möglichkeiten gibt es in Bezug auf den Mehrmarkenvertrieb?U. Brossette: Ein Hersteller kann von seinen Händlern verlangen, nur seine Marke zu verkaufen. Das ist aber nur zulässig, wenn Hersteller und Händler im relevanten Markt weniger als 30 Prozent Marktanteil haben und die Exklusivitätsklausel zeitlich auf weniger als fünf Jahre beschränkt ist. Nach Ablauf der fünf Jahre kann der Hersteller seinen Händlern den Mehrmarkenvertrieb nur dann verbieten, wenn diese aus freien Stücken damit einverstanden sind. Ein Aneinanderreihen von jeweils befristeten Händlerverträgen mit Markenzwang, ohne dass hierüber ernsthaft verhandelt wird, ist nicht zulässig.Bestandsschutz AH: Gilt für die bestehenden Mehrmarkenhändler ab 2013 Bestandsschutz oder kann der Hersteller ab diesem Zeitpunkt von jedem Exklusivität einfordern?U. Brossette: Wie gesagt kann von einem Händler nur bis zu einer Dauer von fünf Jahren Markenexklusivität verlangt werden. Danach muss er aus freien Stücken entscheiden können, ob er weiterhin exklusiv nur für einen Hersteller arbeiten will. Unbefristete Klauseln oder eine stillschweigende Verlängerung des Wettbewerbsverbots sind grundsätzlich verboten. Was den Bestandsschutz angeht, führt die Kommission in den Leitlinien aus: „Die Androhung, dass der Markenzwang wieder eingeführt wird, bevor der Händler (...) genügend Zeit hatte, seine unwiederbringlichen Investitionen zu amortisieren, würden einer stillschweigenden Verlängerung des betreffenden Markenzwanges gleichkommen.“ Ich verstehe das so, dass von Bestandshändlern ab Juni 2013 nicht ohne Weiteres verlangt werden kann, dass sie die Zweitmarke aufgeben, sondern dass darüber Einvernehmen erzielt werden muss. AH: Schwächt die Neuregelung nicht besonders kleinere Marken, die häufig auf den Mehrmarkenvertrieb angewiesen sind?U. Brossette: Diese Gefahr besteht und wird von der Kommission auch deutlich gesehen. In den Leitlinien wird deshalb klargestellt, dass das Recht auf Markenexklusivität auch wieder entzogen werden kann. Das ist z. B. der Fall, wenn die fünf größten Hersteller und Importeure mehr als 50 Prozent Marktanteil haben und darüber hinaus für mehr als 50 Prozent aller Markenhändler Markenzwang besteht. Wenn also der VW-Konzern, BMW, Ford, Opel und die Renault-Gruppe von allen ihren Händlern Exklusivität fordern, kann die Kommission einschreiten und die Exklusivitätsverpflichtung verbieten.AH: Vielen Dank für das Gespräch!KurzfassungDie Verlängerung der derzeitigen GVO im Vertrieb gibt den Händlern noch Zeit, von deren Vorteilen zu profitieren. Uwe Brossette klärt aber jetzt schon darüber auf, was es mit den neuen Marktanteilsgrenzen auf sich hat und worauf große Händler speziell achten müssen. Für Volkswagen-Partner und Mercedes-Benz-Vertreter sind weitere Überraschungen nicht ausgeschlossen. Beim Mehrmarkenvertrieb sieht der Rechtsanwalt aber durchaus Möglichkeiten, die Macht der Hersteller einzuschränken.

Ausgabe 12/2010: Neuer Rahmen

Neuer Rahmen

MEISTGELESEN

Markenausblick Dacia: Mit Macht in die Mittelklasse

Autohaus Löbau: Suche nach Investoren läuft

Ford-Handel: Autowelt.Ebert übernimmt Autohaus Deutschler

STELLENANGEBOTE

Geschäftsleiter (m/w/d)

Garantie - Sachbearbeiter (m/w/d)

Kfz-Mechatroniker, Service- / Diagnosetechniker oder Hochvolttechniker (m/w/d)

Kaufmännische Leitung (M/W/D)

Serviceberater/Serviceassistenz (m/w/d)

WEITERLESEN

NEWSLETTER