Schlechte Nachricht für die Branche: Die europäischen Händlernetze haben sich im achten Jahr in Folge weiter verkleinert. Laut der diesjährigen Veröffentlichung "European Car Distribution Handbook 2016 (ECDH)" der Forschungs- und Strategie-Organisation International Car Distribution Programme (ICDP) sind "drastische Veränderungen in Größe und Struktur des Händlernetzes notwendig, um Profitabilität zu gewährleisten".
Als Treiber der Entwicklung sehen die Experten die Veränderung des Kundenverhaltens und die Erwartungshaltung gegenüber Innovationen und Vertriebskanälen sowie den Einfluss externer Wettbewerber. Trotz der Erholung des Neuwagenmarktes stünden Autohändler und reine Vertragswerkstätten hinsichtlich ihrer Profitabilität unter Druck, hieß es. Zu den stärksten Belastungen gehörten die Investitionsforderungen der Hersteller. Der verstärkte Wettbewerb mit unabhängigen Werkstätten führe zudem zu einer deutlichen Reduktion der reinen Vertragswerkstätten.
Gegen den Trend stemmt sich laut Studie das Kia-Netz, das seit 2008 um 30 Prozent gewachsen ist. Auch Dacia hat mittlerweile europaweit ein großes Händlernetz – mit einer jährlichen Wachstumsrate von 19 Prozent. Etablierte Marken wie Toyota und Volkswagen hätten ihre Netze hingegen um fünf bis zehn Prozent verringert.
Mehr Verkäufer pro Händler
Die Kombination aus weniger Autohändlern, weniger Vertragswerkstätten und einer Erholung des Neuwagenverkaufsvolumens führt zu einem Wachstum der durchschnittlichen Neuwagenverkäufe pro A-Händler von rund vier Prozent pro Jahr. Im Schnitt verkauft nun jeder A-Händler 300 Neuwagen. Im Jahr 2009 waren es durch die Auswirkungen der Finanzkrise lediglich 255.
Dieser Trend wird hauptsächlich durch das jährliche Wachstum der Premium-Händler von 13 Prozent gestützt. Auf der anderen Seite verlieren die asiatischen Volumen-Marken jährlich rund zwei Prozent Absatz. Dabei ist die Spannbreite zwischen dem positiven Wachstumstrend bei Hyundai-Händlern und dem starken Rückgang im Nissan-Netz groß.
Herausforderungen durch die Digitalisierung
Als vorherrschende Trends identifiziert ICDP
- die abnehmenden Anzahl an physischen Besuchen im Autohaus und die daraus resultierende Notwendigkeit weniger A-Standorte
- die Nachfrage nach neuen Vertriebsformaten durch die zunehmende Digitalisierung und die Notwendigkeit, neue Formen der Produktpräsentation und Markenbekanntheit zu schaffen (Pop-up-Stores, Outlets, Online-Präsentation), was den Investitionsdruck traditioneller Händler steigert.
- den Kundenwunsch nach kürzeren Anfahrtswegen und mehr eigenständigen Werkstatt-Standorten sowie Innovationen wie mobile Techniker oder Schnellservice-Konzepte.
ICDP warnt vor der "Diskrepanz zwischen den Dingen, die verändert werden sollen, und der tatsächlich eintretenden Veränderung". Zwar gebe es zahlreiche individuelle Initiativen, um aktiv dem Marktdruck entgegen zu wirken – wie beispielhaft Standorte in Einkaufszentren, Online-Vertriebskanäle und Netz-Konsolidierungen. Trotzdem biete kein Hersteller bislang eine einheitliche Initiative an, welche einen signifikanten Einfluss auf den Sektor bis ins Jahr 2020 haben wird.
"Obwohl Hersteller jetzt weitere Netzwerkveränderungen anstoßen müssten, besteht die Gefahr, den wachsenden Druck zu ignorieren, der irgendwann die kurzzeitige Markterholung mehr als überkompensieren wird", so die Analyse. Hersteller und Handel hätten Bedenken vor einem möglichen Verlust von Marktanteilen gegenüber Wettbewerben, die keinen Veränderungsprozess eingeleitet haben.
Das ECDH ist ein umfassendes Handbuch über Händler- und Service-Netzwerke in Europa. Der Report beinhaltet Namen und Status der Vertriebsorganisationen, die Anzahl von Verträgen, sowie die Anzahl von Verkaufs- und Service-Standorten von insgesamt 36 Marken in 36 europäischen Ländern. Seit dem Jahr 1996 wird das ECDH jährlich aktualisiert. ICDP ist eine internationale Forschungs- und Strategie-Organisation, spezialisiert auf die Bereiche Automobilwirtschaft und Aftersales. (se)