Genesis hat das gleiche Problem wie Lexus, Infiniti und Acura. Fangen wir kurz hinten an: Acura ist die wohl unbekannteste Nobelmarke in dem Quartett, kommt aus Japan und die Mutter heißt Honda. In Japan kennt man Acura jedoch kaum, verkauft werden die Fahrzeuge vornehmlich in den USA. Nach Deutschland haben sich einige wenige Fahrzeuge verirrt. Wohl Überbleibsel einiger Rückreisender der US-Streitkräfte.
Infiniti lautet seit dem Mauerfall (ja, das war 1989) der Name der Nissan-Nobelmarke. Diese gab es offiziell in Deutschland. Nissan (im Konzern mit Renault und Mitsubishi) kooperiert (nach wie vor) mit Mercedes, so auch beim ersten Mercedes GLA und dem technischen Zwilling Infiniti Q30. Der erste Infiniti kam im Herbst 2009 nach Deutschland, elf Jahre später verabschiedete sich die Marke.
Hartnäckig an Bord bleibt Toyotas feine Marke Lexus. Auch diese Japaner starteten 1989 in den USA und in Japan erst 17 Jahre später. Seit 1990 ist Lexus in Deutschland zu haben, doch irgendwie möchte kaum jemand bei uns feine Toyotas – dabei sind sie qualitätsseitig am obersten Ende der Skala angesiedelt. Es geht zwar vorwärts, aber mit Trippelschritten. 3.259 Fahrzeuge, verteilt auf sechs Modelle, konnten 2023 in Deutschland abgesetzt werden.
Genesis GV60 (77 kWh)
BildergalerieGenesis-Zulassungen 2023
Noch exklusiver ist die Marke Genesis. 1.349 Genesis, verteilt auf ebenfalls sechs Modelle, wurden 2023 in Deutschland zugelassen. Um einen Genesis zu bekommen muss man sich noch etwas strecken. Derzeit gibt es knapp ein Dutzend Verkaufs- und Service-Standorte in Deutschland. Das ist schon fast beachtlich, denn erst seit Sommer 2021 ist Genesis zu haben. Ein Zugpferd der Marke ist sicherlich deren Serviceversprechen. Fünf Jahre Garantie und fünf Jahre alle Inspektionen (Verschleißteile müssen bezahlt werden) sind ebenso inklusive wie der Hol- und Bringservice des Fahrzeugs und das Bereitstellen eines Ersatzwagens – ohne Wenn und Aber.
Genesis GV60 mit Besonderheiten
Dass die Koreaner zum Hyundai-Imperium gehören, ebenso wie Kia, merkt man an vielen Details – vor allem im Innenraum. Das ist jedoch nicht schlecht. Und so steigen wir direkt ein: Die Bedienung im Genesis GV60 erweist sich in vielen Fällen als durchdacht. Physische Tasten gibt es noch für diverse Funktionen, andere sind teils sehr logisch in den Menüs zu finden. Das muss erwähnt und gelobt werden. Denn die Fülle an Möglichkeiten ist schier endlos.
Schön, dass in diesem Konzern bei den Fahrzeugen einige Dinge anders und besser gemacht werden als es andere tun. So kann man beispielsweise selbst einstellen, ob das kurze Betätigen des Blinkers nur einmal die Leuchten aufflackern lassen soll oder aber drei-, fünf- oder achtmal. Ebenso unique ist der Totwinkel-Assistent, der beim Blinken diesen schlecht einsehbaren Bereich schräg hinter dem Auto im Tacho sichtbar macht. Kameras in den Außenspiegel sorgen dafür – natürlich nur, wenn man es möchte. Und der Konzern hat die 800-Volt-Technik längst am Start, während andere noch immer meinen, es sei nicht nötig.
Vom Design her versuchte Genesis beim GV60 einiges feiner zu machen als andere. Wiedererkennungswert ist gegeben, wenngleich das Logo aus der Ferne betrachtet (vielleicht nicht unbeabsichtigt) dem von Bentley ähnelt. Nicht der schlechteste Vergleich und der „Crystal Sphere“ könnte auch im Briten zu finden sein. Beim Crystal Sphere handelt es sich um den Gangwahl-Drehknauf, der bei „Motor-Aus“ einer illuminierten Glaskugel gleicht und mystisch wirken soll, oder so was in der Richtung. Wenig mystisch, dafür handfest, lassen sich die silbernen Tasten im Bereich der Klimaregelung bedienen. Im Halbdunkel, wenn die Schalter und Tasten noch nicht beleuchtet sind, erkennt man die Funktion jedoch nicht immer zweifelsfrei.
Genesis GV60 passt in die Kompaktklasse
Die im Testwagen montierte helle Innenausstattung hat ebenso Anteil an einer gewissen Noblesse, wenngleich es sich nur am Lenkrad um Leder handelt, sonst ist es „Plastik“. Die Sitze sind dennoch komfortabel (Premiumpaket mit Vielfach-Sitzverstellung für 3.000 Euro brutto war an Bord) und das Platzangebot für einen lediglich 4,50-Meter-Crossover gut. Allerdings lassen sich hinten keine Füße mehr unter die Vordersitze packen, wenn diese (stets elektrisch) in die unterste Position befördert wurden. Nappaleder gibt es gegen Zuzahlung von 3.340 Euro Aufpreis, inklusive Steppung der Flächen. Ein hellbeigefarbenes Lenkrad ist in jedem Fall keine Empfehlung.
Apropos Hand anlegen: Mit Fingerauflegen auf den Sensor neben der Klimabedien-Einheit wird das persönliche Fahrprofil inkl. Sitzposition, Radiosender und anderer abgespeicherter Präferenzen (wieder) hergestellt. Einen Fahrzeugschlüssel benötigt man nicht mehr zwingend. Die Gesichtserkennung (Face Connect) in der A-Säule macht (im Premiumpaket enthalten) es möglich und entriegelt den GV60. Der Schlüssel wird lediglich fürs „externe Parkmanöver“ benötigt – also das Ein- oder Ausparken des Genesis, wenn man selbst nicht im Auto sitzt. Lustiges Gimmick, doch wer das benötigt, sollte über die Abgabe des Führerscheins nachdenken.
Allen, die noch Spaß am Selbstfahren haben, sei gesagt: der kommt mit dem Genesis GV60 auf. Wir hatten die 318 PS starke Doppelmotor-Version mit dem Sportpaket am Start. Mit dabei ist immer der große Akku, der knapp 80 kWh brutto in den Batteriepacks speichern kann. Damit sollen nach WLTP 470 Kilometer möglich sein. In der, wie auf den Fotos zu sehen, kalten Realität ist nach rund 300 Kilometern die Ladesäule nötig. 11 kW schaffen es an der Wallbox in den Akku, 240 kW sind es in der Spitze am HPC (High Performance Charger mit 300 kW Ladeleistung oder mehr), 800-Volt-Bordnetz macht es möglich und E-Autofahrer glücklich. Damit soll der Sprung von 10–80 Prozent State of Charge (SoC = Ladefüllstand) in 18 Minuten möglich sein.
Ein paar mehr Minuten waren es bei uns, superschnell aber dennoch. Und das ist auch ein echter Pluspunkt beim GV60 und einer der wichtigsten, wenn man Elektroautos oft auf der Langstrecke einsetzt. Das Vorheizen des Akkus kann vor allem in der kalten Jahreszeit helfen, die Ladezeit zu optimieren. Technisch ist Plug&Charge möglich, also das Einstecken des Ladekabels an öffentlichen Ladestationen, sofern diese es können und das Zahlungsprofil hinterlegt und erkannt wird.
Verbrauch des Genesis GV60
Je nach Ausstattung gibt Genesis rund 19 kWh Stromverbrauch für den 2,2-Tonner an. Bei uns benötigte er rund 22 kWh, ohne Einberechnen der Ladeverluste, die meist rund zehn Prozent betragen. So richtig sparsam ist der Genesis GV60 also nicht. Das liegt zum einen an unserem Fahrprofil, das viel Autobahn-Anteil beinhaltete, zum anderen an den niedrigen Temperaturen und letztendlich auch an der bescheidenen Aerodynamik. Der CW-Wert von 0,29 zusammen mit der großen Stirnfläche stellt dem Fahrtwind viel entgegen. Das merkt man auch im Innenraum, wo ab Tempo 130 doch für ein Premium-E-Auto wahrnehmbare Windgeräusche auftreten. Vorteil: nur selten ist man schneller unterwegs.
Über die Leistung braucht man eigentlich nicht sprechen. Da ist viel (zu viel) vorhanden. Tempo 200 sind möglich, das Beschleunigungspotenzial ist überdurchschnittlich. Richtig fein dosierbar ist die Leistung allerdings nicht. Sie setzt verzögert und dann zu stark ein und hält noch eine Zehntelsekunde an, wenn man den Fuß spontan vom Gaspedal hebt. Interessanterweise wird genau bei diesem Vorgehen das Bremslicht aktiviert. Und zwar auch dann, wenn man gar nicht verzögert und keinerlei Rekuperationsstufe aktiviert ist.
Erst das Antippen des Gaspedals schaltet das Bremslicht aus. Nicht nur, dass das Hinterherfahrende irritieren kann, man selbst kommt sich auch etwas dämlich vor „zu bremsen“, wenn man eventuell bei einer Autobahn-Bergab-Passage an Geschwindigkeit durchs Rollen sogar zunimmt. Ein weiterer Aspekt, bei dem die KI versagt, ist der ACC-Tempomat. Ohne ersichtlichen Grund wird der GV60 auf der Autobahn einfach langsamer und reduzierte mehrmals das Tempo von 150 km/h auf 135 km/h und hielt dann das langsamere Tempo konstant bei.
Teure Versicherungseinstufung
Der Fahrkomfort kann trotz 20-Zoll-Winterrädern mit 255er Walzen als gelungen gelten. Die Traktion ist aufgrund des Allradantriebs phänomenal, wenngleich die Basisversion mit Heckmotor auch nur selten in die Bredouille kommt. Der Wendekreis von gut zwölf Metern ist hingegen störend in der City, dort merkt man dann auch oft die Breite von annähernd 1,90 Metern. Auch etwas nervig ist der Piepton beim Einlegen des Rückwärtsgangs, schön hingegen die Leitlinien, die in der Fahrtsituation hinter dem GV60 auf den Boden projiziert werden.
Als echtes Manko müssen jedoch die Versicherungsklasse erwähnt werden. HK 20, VK 28 und TK 23 lesen sich nicht nur schlecht, im Vergleich zu einem VW ID.5 sind sie es auch. Der wurde in HK 16, VK 21 und TK 22 eingestuft und auch ein Volvo C40 ist mit HK 18, VK 21 und TK 22 deutlich „platziert“.
So trumpft der Nobel-Koreaner vor allem mit seiner Ladeleistung, dem einwandfreien Qualitätsgefühl und dem Serviceversprechen auf. Preislich beginnt der Genesis GV60 mit 229-PS-Heckmotor bei 54.680 Euro brutto – und genau so könnte man den auch fahren und eben auch schnell laden. Unser Testwagen mit Allrad und Schnickschnack kommt auf 70.380 Euro (brutto). Das ist dann auch im Elektrobereich ein Premiumpreis.
Fred