Die Brancheninsider sollten recht behalten: Erst drei Wochen vor dem Auslaufen der aktuellen Bestimmungen hat die Europäische Kommission die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Vertikal-GVO) und die ergänzenden Leitlinien vorgelegt. Im Vergleich zum bisherigen Regelwerk seien die überarbeiteten Vorschriften klarer gefasst und vereinfacht worden, "um sie für diejenigen zugänglicher zu machen, die sie in ihrem Geschäftsalltag anwenden", wie es am Dienstag in Brüssel hieß. Sie sollen am 1. Juni 2022 in Kraft treten und bis zum 31. Mai 2034 gelten.
Der europäische Kfz-Gewerbeverband Cecra kündigte an, die Regeln zusammen mit seinen Mitgliedern gründlich zu prüfen. Eine Kommentierung wolle man schon "sehr bald" vorlegen. Für AUTOHAUS wird Branchenanwalt Uwe Brossette (Kanzlei Osborne Clarke) die neue GVO beurteilen. Mehr dazu lesen Sie in Ausgabe 11/2022.
"Die überarbeitete Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung und die neuen Vertikal-Leitlinien sind das Ergebnis eines umfassenden Überarbeitungsverfahrens", sagte Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb. "Die neuen Vorschriften werden den Unternehmen aktuelle Orientierungshilfen bieten, die auf eine noch stärkere Digitalisierung im kommenden Jahrzehnt ausgelegt sind."
Ziel der Neufassung war es, die Vorschriften an die Marktentwicklungen anzupassen, die die Funktionsweise der Weltwirtschaft in den vergangenen zehn Jahren verändert haben, etwa im Zuge des Wachstums des E-Commerce und der Online-Plattformen. Die Bestimmungen bieten nun detaillierte Anweisungen zu einer Reihe von zentralen Branchenthemen, wie beispielsweise zweigleisiger Vertrieb, Informationsaustausch, duale Preisgestaltung und Agenturverträge.
Die neuen Regeln schränken einerseits den Anwendungsbereich des geschützten Bereichs ("Safe Harbor") ein. Dies betrifft die vier Bereiche zweigleisiger Vertrieb, Paritätsverpflichtungen, Beschränkungen des aktiven Verkaufs und bestimmte indirekte Maßnahmen zur Beschränkung des Online-Verkaufs. "Mit anderen Worten: Bestimmte Aspekte der doppelten Verteilung und bestimmte Arten von Paritätsverpflichtungen werden nach der neuen V-GVO nicht mehr ausgenommen, sondern müssen nach Artikel 101 AEUV einzeln beurteilt werden", erklärte Cecra.
Andererseits sollen die Vorschriften den Spielraum in Bezug auf bestimmte Beschränkungen erweitern, so etwa bei aktiven Verkäufen und bestimmten Praktiken im Zusammenhang mit Online-Verkäufen. Dazu gehört die Möglichkeit, demselben Händler unterschiedliche Großhandelspreise in Rechnung zu stellen für Produkte, die online und offline verkauft werden. Zudem können in selektiven Vertriebssystemen unterschiedliche Kriterien für den Online- und den Offline-Verkauf festgelegt werden. "Diese Beschränkungen sind nun unter der neuen GVO ausgenommen – sofern alle anderen Voraussetzungen für die Ausnahme erfüllt sind", so der Verband.