Gastkommentar: Elektromobilität - Anspruch und Wirklichkeit

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihr Auto an die Tankstelle zu fahren, den Zapfhahn in den Tank zu stecken und dann mit der Familie ein paar Stunden richtig gemütlich einkaufen zu gehen? Für die meisten ist das vermutlich unvorstellbar und scheint völlig unsinnig. Falls Sie ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor besitzen, ist das tatsächlich ein Unding. Für die Fahrer von Elektroautos ist das allerdings die Regel. Das ist einer von vielen Punkten, warum sich elektrifiziertes Fahren zwar zunächst toll anhört, in der Praxis aber auf viele Widerstände stößt. Ich möchte Ihnen nachfolgend noch ein paar weitere nennen und darauf aufbauend auf die Restwertentwicklung von E-Autos eingehen. Ladenetz wächst schleichend So ist neben der bereits angesprochenen Ladegeschwindigkeit vor allem auch das Ladestationsnetz nach wie vor ein großes Problem. Denn dieses wächst bestenfalls schleichend. Zwar hat sich die Zahl der Ladestationen im dritten Quartal 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf knapp 12.000 verdoppelt. Um im Bedarfsfall das Auto spontan zu laden, ist das aber immer noch viel zu wenig - vor allem dann, wenn die dringend benötigte Stromtankstelle schon belegt ist oder von einem 25 Jahre alten Volvo als Parkplatz missbraucht wird. Überhaupt wird der verheißungsvolle elektrische Mobilitätstraum für viele schnell zum Alptraum, weil das Auto nicht länger die Freizeit- und Berufsaktivitäten unterstützt und sich diesen komplett unterordnet. Im Gegenteil: Sie als Fahrer ordnen Ihre Freizeitaktivitäten ganz und gar der Frage unter, ob es vor Ort eine Ladesäule gibt und wie lang dort das Aufladen dauert. Der Wochenend-Trip zu Freunden ins 300 Kilometer entfernte Städtchen beispielsweise ist zwar mittlerweile machbar, aber nur dann, wenn Sie maximal 130 fahren und bloß nicht in einen Stau geraten. Vor Ort muss man sich dann erst einmal von den Freunden abholen lassen, weil die Ladesäule 15 Autominuten von der Wohnung entfernt an einer unbeleuchteten Ausfallstraße in einem zwielichtigen Industriegebiet liegt. Und der spontane Ausflug am nächsten Tag findet dann im Twingo der Freunde statt. Schließlich muss das eigene E-Auto dringend weitere zwölf Stunden an der ultralangsamen Zapfsäule hängen, um den Rückweg nach Hause zu schaffen. Die Reichweite von Elektroautos ist zwar binnen zehn Jahren von maximal 100 auf rund 500 Kilometer gestiegen - bei stabil bleibenden Neuwagen-Preisen. Und viele öffentliche Ladesäulen bieten zudem mittlerweile 50 Kilowatt und im Fall von Tesla Superchargern sogar bis zu 120 Kilowatt Leistung und damit erträgliche Ladezeiten. Das Beispiel macht aber deutlich, wie wichtig Reichweite, Ladegeschwindigkeit und Ladenetz-Dichte sind, wenn es darum geht, Elektromobilität populär oder "nischig" zu machen. Und so wie es um diese Faktoren derzeit trotz der Fortschritte bestellt ist, eignen sich Elektroautos höchstens als Zweitwagen. Die Restwertfrage Nun zu den aktuellen Restwerten: Auch wenn der Umweltbonus für reine Elektrofahrzeuge bei 4.000 Euro und für Hybride bei 3.000 Euro liegt, sind die Verkaufspreise vieler neuer wie gebrauchter E-Autos immer noch jenseits von Gut und Böse. Damit sind sie für das Gros der Käufer uninteressant. Hinzu kommt die große Unsicherheit, wie lange es dauert, bis die Batterie signifikant an Kapazität verliert und aufgrund der sinkenden Reichweite ein sündhaft teurer Batterietausch nötig ist. Und selbst wenn die Batterie nicht schlapp macht: Wer heute ein gebrauchtes Elektroauto mit einer an sich guten Reichweite von 360 Kilometern kauft, weiß nicht, wie lange es dauert, bis Modelle mit einer deutlich höheren Batteriekapazität auf den Markt kommen. Sobald das aber der Fall ist, lässt sich das eigene Fahrzeug nicht mehr attraktiv weiterverkaufen. Das sorgt zusätzlich für große Verunsicherung. Die Nachfrage nach gebrauchten E-Autos ist dementsprechend überschaubar. Das lässt die Gebrauchtwagenpreise extrem unvorteilhaft aussehen. Gute Gründe, bereits heute ein Elektroauto zu kaufen, gibt es dennoch: Das zeigt ein Vergleich der Restwerte eines elektrisch betriebenen BMW i3 mit einem BMW 120i Advantage mit Automatikgetriebe (siehe Grafik). Beim Neupreis unterscheiden sich beide Fahrzeuge um stattliche 4.100 Euro zugunsten des Verbrenners. Das schreckt die meisten Neuwagenkäufer ab. Betrachtet man aber den Wertverlust, dann relativieren sich die Kostenargumente allmählich in Richtung i3. Der Restwert des i3 ist rund 2.000 Euro höher als der des 120i - der Wertverlust des Bayern-Stromers ist damit um lediglich ein Prozent geringer als der des 120i. Unterhaltskosten miteinbeziehen Wer jetzt den deutlich höheren Restwert des gebrauchten i3 als Hürde empfindet, dem sei gesagt: Der 2.000 Euro höhere Wiederverkaufspreis schmilzt wahrnehmbar, wenn man als Käufer die Unterhaltskosten in die Kostenrechnung einbezieht. Die Ersparnis durch die Verwendung von Strom statt Benzin etwa ist (noch) herausragend: Je nach Berechnung handelt es sich um 50 Prozent und mehr. Dies gilt zumindest so lange, bis sich die Bundesregierung entschließt, auch auf "Autostrom" eine satte E-Steuer, analog zur Mineralölsteuer, zu erheben. Die jährliche Steuer des Benziners schlägt obendrein mit 120 Euro zu Buche. Dagegen steht eine zehnjährige Steuerbefreiung des i3. Und weitere Amortisation ist in Sicht: Die Wartungs- und Reparaturkosten des i3 sind spürbar geringer als beim Benziner. Wer sich also mit den eingangs erwähnten Umständlichkeiten abfinden kann, der kommt, neben einem halbwegs reinen Umweltgewissen, durchaus auch in den Genuss von monetären Vorteilen. Wer diese Nachteile nicht in Kauf nehmen möchte, dem bieten sich Plug- In-Hybride an. Sie schaffen eine Art Quadratur des Kreises, weil sie beide Welten in sich vereinen. Mit ihnen lassen sich Stadtgebiete "bestromern", aber auch die Urlaubsfahrt in weniger elektrifizierte Länder meistern. Die Restwerte dieser Fahrzeuge werden sich daher positiv entwickeln. Rahmenbedingungen nötig Es ist keine Frage, dass die Hersteller, angesichts der strengen EU-Emissionsverordnungen, um eine breit angelegte Elektrifizierung nicht herumkommen. Also wird die "E-Mobilität", ob als "reiner" oder "Plug-In-Antrieb", zukünftig ein fester Bestandteil unseres automobilen Umfeldes sein. Dieses wird in Zukunft auch durch intelligent vernetzten ÖPNV, neue Mobilitätskonzepte und Wasserstoffe gekennzeichnet sein. Zunächst aber muss die Industrie von der Politik Rahmenbedingungen bekommen, die ein auf Jahre planbares Handeln ermöglichen. Hierin besteht die eigentliche Herausforderung. Kurzfassung Fahrer von Elektroautos haben im Alltag mit massiven Einschränkungen zu kämpfen. Ob sich die E-Mobilität in Deutschland auf Dauer durchsetzt, hängt darum maßgeblich von den Rahmenbedingungen ab. Abgesehen davon kann der Kauf eines E-Autos aber schon jetzt rentabel sein.

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