Vom 20. bis 23. März traf sich die europäische Automotive-Branche vor dem Bildschirm. Im Rahmen des digitalen Events "Automotive I/O" gab der Plattformanbieter MotorK Unternehmensvertretern, Fachleuten und Keynote-Sprechern die Möglichkeit, sich bei Vorträgen und Podiumsdiskussionen zu informieren. Die Themen waren so vielfältig wie die Teilnehmer. Es ging um New Mobility, E-Mobilität, Digitalisierung des Handels, neue Vertriebsmodelle und den Strukturwandel in der Autobranche. Auch AUTOHAUS nahm als führendes Fachblatt an mehreren Diskussionsrunden und Interviews teil.
E-Commerce: Heft in die Hand nehmen
Gleich in der ersten AUTOHAUS-Runde, geleitet von Chefredakteur Ralph M. Meunzel, ging es um ein Thema, das seit einiger Zeit die Gemüter in deutschen Autohäusern erhitzt. Kernfrage war, wie der deutsche Handel auf den E-Commerce eingestellt ist. Diskutiert wurde diese Frage von Patrick Mayer, CEO von Alles.Auto, Steven Zielke, Gründer & CEO von Mobilapp & Nebelhorn, Martin Leuchtenberger, Managing Director bei Stadac, und Branchenkenner Stefan J. Gaul.
Man war sich überraschend einig: Es gibt viele Händler, die Digitalisierung und E-Commerce vorantreiben, aber es gibt noch viele Potenziale gerade bei ganzheitlichen Lösungen, wie Mayer erklärte. BMW-Händler Leuchtenberger sprach hier von einem Henne-Ei-Prinzip: "Viele Stadac-Kunden fordern noch nicht im großen Maße digitale Lösungen ein." Als Händler wisse man oft nicht, ob Kunden eine digitale Lösung auch annehmen. Deshalb brauche jeder Händler erst einmal eine gute Digitalstrategie, nach der er sich die Tools aussuchen sollte.
Dass daran kein Weg vorbeiführen wird, ist sich Experte Gaul sicher: "Studien belegen, dass Menschen online kaufen möchten und digitale Prozesse erwarten. Wichtig sind Schnittstellen zu den Captives. Bei Portalen wie Check24 schließen die Kunden auch alle Verträge komplett digital ab." Daher sollte der Handel auch möglichst selbst das Heft in die Hand nehmen. Denn auch wenn die Plattformen im Bereich Gebrauchtwagen eine wichtige Rolle spielten, so wären die Leads, die über die eigene Website des Händlers kommen, wichtig gerade im Hinblick auf händlerspezifische Zusatzangebote, die die Verkäufer ihren Kunden machen können.
E-Mobilität: Nachholbedarf bei Angebot und Beratung
Über die Herausforderungen der E-Mobilität für den Handel sprach Meunzel mit Markus Gregor, TÜV SÜD Auto Service Product Manager Battery Evaluation, New Technologies and Sustainable Services, Ralph Missy, CEO von E-Mobilio, Thomas Bruß, Leiter Business Development bei BOB Automotive Group, und Athos Giannelli, Associated Partner bei MHP. Einerseits wurde die wachsende Kundennachfrage und damit der Eintritt der E-Autos in den Massenmarkt gelobt. Andererseits waren sich die Gesprächsteilnehmer einig, dass auch hier der Handel gerade bei Angebot und Beratung noch Nachholbedarf hat. Gerade die Verkäufer bräuchten hier Unterstützung, denn zur E-Mobilität gehöre laut Missy neben den Fahrzeugen "völlig neues Ökosystem bestehend aus Wallbox, Förderung, Stromanbieter oder Photovoltaikanlage. Der Kunde will dieses ganze Zubehör und die Beratung erwerben. Und genau dieses Paket muss der Händler anbieten können, nicht nur das Auto".
Auch die Händler müssten noch mehr Vertrauen zur neuen Antriebstechnik aufbauen. Das zumindest meinte Bruß: "Zur E-Mobilität gehören auch Photovoltaik und die Ladeinfrastruktur im Autohaus selbst. Die Rolle des Händlers wird sich der eines Mobilitätsdienstleister ändern. Aber diese Beratungsleistungen müssen in irgendeiner Form auch bezahlt werden. Da Kunde dafür nicht aufkommt, sollte der Händler weitere Produkte wie E-Bikes, E-Roller oder die Technik für die Ladeinfrastruktur anbieten." Auch sollten in seinen Augen die Mitarbeiter entsprechend geschult werden. Der Handel müsse hier die gesamte Wertschöpfungskette bedienen.
Keine Angst vor dem Agenturmodell
Im Interview mit Jürgen Stackmann, Director Future Mobility Lab der University St. Gallen, unterhielt sich Meunzel schließlich über die Auswirkungen des Agenturmodells auf den deutschen Autohandel. Der frühere Automanager sprach sich für das Modell aus, sofern es für beide Seiten gerecht gestaltet ist: "In einem fairen Agentursystem sollte die finanzielle Ausstattung so verteilt sein, dass der Handel wieder eine stabile und zukunftsfähige Ertragssituation für das Neuwagengeschäft vorfindet." Für den Handel brächte das Agenturgeschäft etliche Vorteile: Volumenverantwortung und Volumendruck gingen zurück zum Hersteller. Der Intrabrand-Brand-Wettbewerb ginge weg vom ertragsvernichtenden Discount hin zum überlegenen Kundenservice. Der Händler tritt als Agent zwar unter anderem die Preishoheit an den OEM ab, könne jedoch seine Position in anderen Bereichen wiederum stärken.
"Die Agentur ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, die Stärken des bisherigen Vertragshandels – Regionalität, Nähe zum Kunden, persönlicher Service, Flexibilität – mit den zukünftigen 'Must Haves' zu verbinden", betonte Stackmann. Zu diesen "Must Haves" zählte er unter anderem die nationale Preis- und Kanalführung, die Zuteilung von regionalen Wirtschafträumen und Zuständigkeiten für den Handel, die Integration von Multi-Kanal-Kunden- und Fahrzeugdaten sowie die Online-Transaktionsfähigkeit.