Nun sollen sie also tatsächlich kommen, Dieselfahrverbote in Stuttgart. Was Staats-, Verkehrs- und Wirtschaftsministerium gemeinsam mit den Fraktionsspitzen der Regierungskoalition in Baden-Württemberg zunächst als Zwischenergebnis ausgehandelt haben, ist für das Kfz-Gewerbe ein äußerst zwiespältiges Signal: Einerseits sollen nach dem Kompromiss zwischen Grün und Schwarz 2019 Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der Euro 4-Norm und schlechter kommen, was die Restwerte aller Diesel weiter unter Druck setzen und den Absatz auch von Fahrzeugen der modernsten Abgasgenerationen erschweren wird. Andererseits ist unverkennbar, dass sich Landesregierung und Koalition – getrieben vom Stuttgarter Verwaltungsgericht und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) – redlich bemühen, Fahrverbote für Euro 5-Diesel noch irgendwie abzuwenden. Verwaltungsrichter Wolfgang Kern verlangt von der Landesregierung, bis 15. Juli zu erklären, bis wann sie konkret auch Fahrverbote für Euro 5-Diesel verhängen wird und droht den Verantwortlichen Behördenvertretern und Politikern mit Zwangsgeld und Zwangshaft.
Dass man höchstrichterliche Vorgaben wie die des Bundesverwaltungsgerichts auch anders umsetzen kann, als es nun in Stuttgart gefordert wird, zeigt das Beispiel Hamburg mit der Sperrung einzelner Strecken – in Stuttgart sollen es große Zonen oder das gesamte Stadtgebiet sein. Das wäre eine "Blaue Plakette" ohne Plakette, ein Lieblingskind der Grünen. Offensichtlich haben sich mit dem selbsternannten Umweltretter Jürgen Resch und Richter Wolfgang Kern in Stuttgart zwei Akteure gefunden, die im Rahmen der Vorgaben des höchsten Gerichts eine besonders strenge Linie durchboxen wollen.
Dass man in einem Rechtsstaat höchstrichterliche Urteile beachten und umsetzen muss, versteht sich von selbst, und das ist auch gut so. Die Vorgaben aus Leipzig sind in der Welt und eröffnen unter dem Stichwort der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchaus Handlungsmöglichkeiten für die Politik. Keine sofortigen Verbote, sondern zeitlich gestuft, Vermeidung von Fahrverboten bei Verbesserung der Luftqualität durch unterschiedliche Maßnahmen, Ausnahmeregelungen für Anwohner und betroffene Wirtschaftskreise. Der Baukasten ist groß.
Blaupause für Pkw
Ärgerlich ist deshalb, dass die Bundespolitik und das Bundesverkehrsministerium die Baden-Württemberger bei dieser Frage auch Monate nach Beginn der Debatte im Regen stehen lassen. Denn die EU- und bundesrechtlichen Regeln für die Luftreinhaltung sind zwar klar und an die geltenden Grenzwerte kommt man zumindest kurzfristig nicht ran, dennoch wäre es durch die Schaffung passender rechtlicher Rahmenbedingungen ein Leichtes, beispielsweise mit einer Nachrüstverordnung Fahrverbote in weiten Teilen abzuwenden. Die rechtlichen Möglichkeiten dafür liegen auf dem Tisch: Die Förderrichtlinie für die Nachrüstung von ÖPNV-Bussen vom Februar 2018 liefert hier im Prinzip eine Blaupause für Pkw. Sie liefert eine Regelung, nach der nachzurüstende Abgasreinigungssysteme getestet und genehmigt werden. Kernelement einer solchen Nachrüstvorschrift muss die Aussage sein, dass regelkonform nachgerüstete Pkw-Fahrzeuge von Fahrverboten aufgrund von NOx-Belastungen ausgenommen sind. Dass die Nachrüstung technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, belegen mehrere Gutachten und Tests. Und das völlig ohne Klärung der umstrittenen Frage der Finanzierung der Nachrüstung. Allein die Möglichkeit, mit solchen Nachrüstungen Fahrverbote abzuwenden, würde helfen, die Debatte zu versachlichen und die Folgen für Handel und Gewerbe abzufedern. Nicht einmal der Industrie würde weh getan. Dass das Land nach Medienberichten nunmehr sogar prüft, für diese Frage einen eigenen landesrechtlichen Rahmen zu schaffen, zeigt die Unfähigkeit der Bundespolitik, auf die Herausforderungen der Luftreinhaltung angemessen zu reagieren. Herr Scheuer, bitte aufwachen! Denn die Zeit drängt: Sollten Fahrverbote für 2019 oder 2020 terminiert werden, bedarf es vor allem schneller Lösungen. Hier rächt sich nun allerdings auch, dass die Landesregierung im vergangenen Jahr den Weg der möglichen Berufung nicht genutzt, sondern durch das Einlegen der Sprungrevision wertvolle Zeit verschenkt hat.
Umso mehr ist die Landespolitik nun gefordert. Zwar wird ihr Spielraum unter dem gerichtlichen Druck zusehends kleiner. Von den Rahmenbedingungen des zu überarbeitenden Stuttgarter Luftreinhalteplans hängt vieles ab, dennoch gibt auch das Leipziger Urteil viele Optionen: Die Größe einer etwaigen Fahrverbotszone bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten, die Umsetzung weiterer Maßnahmen zur Luftreinhaltung mit Einbeziehung aller NOx-Emittenten ist dringlich, die Überprüfung der Messwerte der bestehenden Messstationen auf Plausibilität darf nicht einfach vom Tisch gewischt werden, eine verbesserte Straßeninfrastruktur kann mittel- und langfristig Verbesserungen bringen, vor allem aber braucht es eine angemessene und verhältnismäßige Ausnahmekonzeption für Anwohner, Anlieger und Gewerbe. So kann es einen Kfz-Betrieb in einer Fahrverbotszone die Existenz kosten, wenn ihn seine Werkstattkunden nicht mehr mit ihrem Fahrzeug erreichen können. Denn anders als in anderen Branchen betrifft die Dienstleistung unserer Betriebe die Kundenfahrzeuge an sich. Zur Werkstattreparatur kann der Autofahrer eben nicht mit der S-Bahn kommen.
Nach wie vor gilt: Fahrverbote sind so weit wie rechtlich vertretbar zu vermeiden. Vom neuen Luftreinhalteplan hängt neben den Rahmenbedingungen für eine Nachrüstung demnach vieles ab. Hier muss die Politik mit Weitsicht und Verhältnismäßigkeit agieren, damit nicht DUH-Chef Resch und Richter Kern am Ende das letzte Wort haben und Kfz-Betrieben, Autofahrern, Industrie und letztlich dem Land und der Region schaden.
Gerd Sziegat