Ausgabe 21/2008: Autohaus 21/2008

Autohaus 21/2008Herausforderungen im Service / Ein Gespräch mit Dr. Norbert Schreier, Professor an der Fakultät Fahrzeugtechnik der Hochschule Esslingen und Leiter des Studienschwerpunkts Fahrzeugtechnik – Service Service ZukunftVon Thomas SeidenstückerOhne Aftersales-Geschäft könnten viele Autohäuser und Werkstätten die Segel streichen. Doch das Servicegeschäft wird durch die komplexer werdende Fahrzeugtechnik nicht einfacher. Auf was müssen sich die Betriebe künftig einstellen? AUTOHAUS sprach mit Prof. Dr. Norbert Schreier, seit 2002 Professor an der Hochschule Esslingen und Leiter des Studienschwerpunkts Fahrzeugtechnik – Service (FASE).AH: Prof. Dr. Schreier, welche Hersteller haben das Servicegeschäft gut im Griff?Prof. Dr. Schreier: Das ist schwer pauschal zu sagen, denn was versteht man unter "gutem Service"? Wir definieren hier alle Leistungen und Technologien, die die Mobilität der Kunden vom Fahrzeugkauf bis zur Verschrottung gewährleisten. Bis dato war der Service oft reaktiv. Das heißt, zunächst wurden die Produkte entwickelt und der Service war im Anschluss das fünfte Rad am Wagen. Aktuell finden sich mehr Unternehmen, die den Service proaktiv angehen und bereits in der Entwicklung und Planung des Fahrzeugs berücksichtigen. Wer diesen Ansatz wählt, hat im Service gegenüber dem Kunden einen Vorteil.Mehr VielseitigkeitAH: Beobachtet man die aktuelle Fahrzeugtechnik, wird es deutlich komplexer. Ist das noch im Griff zu halten und ein Ende der Aufrüstung in Sicht?Prof. Dr. Schreier: Die aktuellen Statistiken, egal ob J.D. Power oder ADAC, bestätigen, dass die Hersteller die neue Technik besser im Griff haben als vor zwei oder drei Jahren. Hier wurden viel Energie und Geld investiert. Grundsätzlich sind zwei Strategien zu beobachten: Die einen setzen auf konservative und bewährte Technik – zum Beispiel japanische Marken. Allerdings lässt sich damit keine Preisführerschaft am Markt durchsetzen. Auf der anderen Seite gibt es die Strategie der deutschen Fahrzeughersteller, die sich auf Design und Technologie konzentrieren und mit diesem Rezept ihre Premiumstellung auf dem Weltmarkt ausbauen konnten. Dieser Ansatz lässt sich nicht kurzfristig über Bord werfen und so ist es aus strategischen Gründen für mich nicht zu erwarten, dass künftig weniger Technik in die Autos kommt. AH: Werden die Automobilpreise die Innovationen eher dämpfen?Prof. Dr. Schreier: Die Kosten- und die Energiesituation werden eher förderlich sein für die Vielseitigkeit der Automobile. In den letzten Jahrzehnten fanden eher marginale Weiterentwicklungen statt, ohne die Elektronik klein reden zu wollen. Irgendwann werden wir alles elektrifiziert haben, doch die wesentlichen Funktionen des Automobils sind heute noch immer so, wie wir sie seit Jahren kennen. Ich erwarte von den aktuellen Restriktionen (Preis, globale Positionierung, Energie), dass sich die relativ standardisierte Automobiltechnologie auffächert. Es wird einen Prozess geben, wo alle sehr viel probieren werden (Antriebskonzepte, verschiedene Energieträger). Das bedeutet, wir stehen vor einer Phase der Mehrgleisigkeit aus sehr komplexer und auf der anderen Seite einfacher und bezahlbarer Technik und das ist für die Werkstatt eine große Herausforderung. AH: Welche Maßnahmen sollten Autohaus und Werkstatt da ergreifen?Prof. Dr. Schreier: Mit einem Vertrag sichert der Fahrzeughersteller ja bereits seine Unterstützung, Produkte verkaufen und reparieren zu können. Ein wichtiger Schlüssel liegt für mich in der Philosophieänderung des Herstellers. Ich denke, man hat bereits gemerkt, dass Fahrzeugverkauf und Service nicht isoliert zu betrachten sind und von verschiedenen Abteilungen bearbeitet werden müssen. Denn der Fahrzeughersteller verkauft in erster Linie Mobilität und der Kunde erwartet, dass der Händler vor Ort als verlängerter Arm des Fahrzeugherstellers agiert, um die Mobilität zu sichern. Aus dieser Betrachtung müssen Handel und Hersteller gemeinsame Leistungspakete entwickeln, die zum Beispiel Basisanforderungen, Middle- und Premiumwünsche der Kunden ansprechen und entsprechend verschiedene Leistungen rund um die Mobilität beinhalten. FlugzeugdiagnoseAH: Problematisch für die Kundenzufriedenheit sind besonders Wiederholreparaturen. Wo gibt es Verbesserungsansätze?Prof. Dr. Schreier: Dieses Thema steht bei allen Fahrzeugherstellern auf der Agenda und letztlich kommt vieles darauf zurück, dass man ein Automobil bereits servicefreundlich konstruieren muss. Trotzdem bleibt stets eine Fehlerzahl, die man durch Simulationen und praktische Versuche nicht ausschließen kann. Für diese Situation ist eine schnelle Feedbackkette aus der Werkstatt zum Hersteller notwendig, um in der Folge die Zeit bis zur Problemlösung möglichst kurz zu halten. AH: Wäre die Online-Diagnose nicht ein hilfreiches Instrument zur Optimierung?Prof. Dr. Schreier: Das ist sicher ein innovativer Ansatz und man könnte das zu einer Art Flugzeugdiagnose ausweiten, wo Checks bereits an die Bodenstation übermittelt werden und man dort einen frühen Überblick zu anstehenden Reparaturen und Problemlösungen hat. Weil die Daten schon im Vorfeld ausgetauscht wurden, könnte eine Dialogannahme vollständig auf den Kunden ausgerichtet sein und nicht auf die Abfrage von Kennzeichen und km-Stand des Fahrzeugs. Das wäre eine echte Kundenorientierung! Allerdings sind noch die politischen Auswirkungen solch einer Langfrist-Kundenbindung an den Hersteller bzw. Markenbetrieb zu diskutieren. AH: Ein Ansatz von BMW war, mit Augmented Reality den Mechaniker bei der Reparatur interaktiv zu unterstützen. Ist das die Zukunft für komplexe Reparaturen?Prof. Dr. Schreier: Ich kenne nicht den aktuellen Stand bei BMW dazu, aber auch wir haben uns an der Hochschule damit beschäftigt. Hier liegt ein großes Potenzial, denn im heutigen Fahrzeugentwicklungsprozess liegen alle Daten via CAD vor und diese Daten ließen sich anderweitig gut nutzen – z. B. in Form von Augmented Reality oder anderen Formen des Wearable Computing. In Summe wird das aber meiner Ansicht nach nicht dazu führen, dass sich die Kompetenz der Beteiligten verringern kann. Man braucht weiter den Spezialisten, aber dessen Fähigkeiten liegen oft in anderen Bereichen – z. B. in den Diagnoseprozessen oder im abstrakteren Denken. Information nicht allesAH: Wo wird bei diesen Entwicklungsszenarien die freie Werkstatt bleiben?Prof. Dr. Schreier: Ich sehe für den freien Markt durchaus Perspektiven in diesem Szenario. Denn wir haben eine Teilung der Käufer zwischen Premium und denen, die sich kein neues Fahrzeug leisten können oder nicht bereit sind, hohe Kosten für die eigene Mobilität zu bezahlen. Hier gibt es große Chancen für das Niedrigpreis- und freie Segment, wenn es der freie Markt schafft, die Komplexität zu schultern. AH: Die Euro 5/Euro 6-Verordnung schreibt den Datenzugang für alle Marktteilnehmer vor, andererseits bilden sich Allianzen – zum Beispiel ATU mit Bosch. Das spricht für die freien Betriebe.Prof. Dr. Schreier: Wichtig für den freien Markt sind der Zugang zu Informationen und anschließend die Informationen in Kompetenz bei der Anwendung zu wandeln. Die Information allein bringt die freie Werkstatt nicht weiter und so ist man gut beraten, sich Partnerschaften und einen Verbund zu suchen. Der Informationszugang zu allen Daten wird die Reparatur-Kompetenz der freien Werkstätten aus meiner Sicht nicht verbessern, wenn die problembezogene und punktgenaue Zuordnung fehlt. Außerdem wichtig bleiben die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter sowie die Organisation im Betrieb, um die Effizienz der Abläufe zu verbessern. AH: Herr Prof. Schreier, vielen Dank!

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