Ausgabe 05/2009: Autohaus

Autohaus KonstruktionselementSchmierstoffe E Im Vergleich zu Motorenölen sind Schmierstoffe für Getriebe noch viel stärker in den Entwicklungsprozess des Gesamtaggregates eingebunden. Einfachen Alternativtausch gibt es hier selten und er ist auch nicht zu empfehlen. Von Thomas SeidenstückerMotorenöle haben einen großen Vorteil: Autofahrer und Werkstatt sehen sie regelmäßig wieder. Moderne Getriebeöle hingegen sind meist Lebensdauerfüllungen und im Pkw auf etwa 250.000 Kilometer ausgelegt. Für Autohaus, Werkstatt und Schmierstoffentwickler gleichermaßen problematisch. Denn wo es wenig zu wechseln gibt, lässt sich wenig verdienen bzw. der Entwicklungsaufwand über den Ersatzbedarf refinanzieren. Über aktuelle Entwicklungsperspektiven von Getriebeölen sprachen wir mit Dr. Peter Kraneburg, seit Dezember letzten Jahres Leiter Schmierstoffentwicklung bei Castrol in Hamburg und zuvor fast zehn Jahre in verantwortlicher Position bei Castrol im Schmierstoffvertrieb für OEM-Kunden tätig. Höhere VielfaltAH: Herr Dr. Kraneburg, wo liegen prinzipiell die Unterschiede zwischen einem Motor- und einem Getriebeöl? P. Kraneburg: Motorenöle werden hauptsächlich durch Verbrennungsrückstände im Motor belastet und haben im Verbrennungsmotor eine abdichtende Funktion. Getriebeöle hingegen befinden sich in einem geschlossenen System und ihre Hauptaufgabe ist die Schmierung und Kühlung. Das hört sich zunächst einfacher an, doch in der Entwicklung müssen wir die sehr große Bandbreite von Getrieben berücksichtigen. Beispielsweise in Bezug auf die zu übertragenden Drehmomente, aber auch die vielen Getriebearten wie: Schaltgetriebe, Doppelkupplungsgetriebe, CVT-Getriebe, Automatikgetriebe, Verteilergetriebe, Achsgetriebe, Getriebe mit und ohne Sperrfunktion etc. Die Vielfalt bei Getriebeölen ist deshalb deutlich höher als im Motorenölbereich und die Entwicklung noch komplexer. Nicht selten liefern wir 15 bis 20 verschiedene Getriebeölschmierstoffe an einen Fahrzeughersteller. AH: Wie kann man sich die Getriebeölentwicklung vorstellen? P. Kraneburg: Der erste Schritt sind so genannte Screeningtests, bei denen wir die tribologischen Kontakte (Reibflächenmaterialien und Texturen) sehr einfach darstellen. Im nächsten Schritt finden einzelne Komponententests auf unseren hauseigenen Prüfständen statt, bei denen das einzelne Teil isoliert betrieben wird. Zum Beispiel die Synchronisation eines Getriebes oder ein Radialwellendichtring etc. Damit schließen wir einzelne Fehlerquellen aus und optimieren den Schmierstoff teilespezifisch. Anschließend findet gemeinsam mit dem Fahrzeug- oder Getriebehersteller die Erprobung des Gesamtaggregates unter Packagebedingungen (im Fahrzeug bei verschiedenen Belastungen) statt. Upgrades eingeschränktAH: Wie lange dauert die Entwicklung von Getriebeölen in etwa?P. Kraneburg: Wir sprechen hier von einem Zeithorizont von fünf bis sechs Jahren vor Anlauf eines neuen Fahrzeugs. Zum Vergleich: Bei Motorenölen ist mit 1,5 bis zwei Jahren Entwicklung zu kalkulieren. Getriebeschmierstoffe sind maßgeschneiderte Konstruktionselemente, die parallel mit dem Getriebe entwickelt werden, und deshalb lassen sie sich später auch nicht beliebig austauschen. Das Gleiche gilt für uns als Schmierstoffkonstrukteur: Für nahezu jede kundenspezifische Anwendung sind eigene Ölformulierungen zu entwickeln. AH: Das heißt, es gibt wenig Upgrade-Möglichkeiten – wenn die Werkstatt zum Beispiel das Kaltschaltverhalten optimieren will? P. Kraneburg: Die Möglichkeit, das Kaltschaltverhalten zu verbessern, gibt es in eingeschränktem Maße. Unter anderem bei Schaltgetrieben durch Verwendung eines Vollsyntheseproduktes mit niedrigerer Viskosität. Allerdings hängt das stark vom Getriebetyp ab und ich empfehle der Werkstatt bei diesem Anliegen auf jeden Fall Rücksprache mit dem Getriebehersteller bzw. dem Öllieferanten zu halten. Automatikgetriebe reagieren sehr sensibel auf andere Schmierstoffe und dort gibt es in der Regel nur ein freigegebenes Produkt. Zudem hat sich bereits im Firstfillbereich aufgrund der Lebensdauerfüllung bei Getrieben eine sehr hohe Schmierstoffqualität etabliert. Nur wenige Fahrzeug- oder Getriebehersteller setzen heute noch ein Mineralöl ein, so dass die Upgrademöglichkeiten sehr eingeschränkt sind. Neue AnforderungenAH: Welche Trends sehen Sie bei Getriebeölen? P. Kraneburg: Wir haben die Entwicklung, dass neben der grundsätzlichen Funktionserfüllung des Schmierstoffs die Kraftstoffersparnis und Wirkungsgradoptimierung in den Vordergrund tritt. Insbesondere natürlich bei neuen Fahrzeugentwicklungen, aber auch innerhalb der laufenden Serie. Die genannten Ziele lassen sich unter anderem durch Absenkung der Viskosität, Verwendung spezieller Frictionmodifier und Ersatz mineralischer durch synthetische Grundöle erreichen. Damit erzielen wir bei vorhandenen Aggregaten eine Kraftstoffersparnis im Bereich von 0,5 bis ein Prozent – bezogen auf den NEFZ-Test. Beim Co-Engineering – also der Verwendung neuer Lager, Reibmaterialien oder gänzlich neuer Getriebe und einem optimierten Getriebeschmierstoff – sind Verbrauchsverbesserungen von bis zu zwei Prozent realistisch. Ein weiterer Trend sind immer höhere Drehmomente bei gleich bleibender Aggregategröße und nahezu identischen Schmierstofffüllmengen. Damit verbunden sind höhere Belastungen für den Schmierstoff. Darüber hinaus sind im Zuge der Hybridisierung neuerdings völlig neue Lastkollektive im Getriebe auf der rückwärtigen Flanke einer Reibpaarung zu berücksichtigen. Last not least befinden sich neue Getriebeentwicklungen auf dem Vormarsch. An erster Stelle möchte ich hier Doppelkupplungsgetriebe mit und ohne nasse Kupplung nennen sowie neue Achsgetriebe mit gezielter Drehmomentverteilung zur Lastwechselbeeinflussung (z. B. Torque-Vectoring bei BMW). Hier haben wir einen kontinuierlichen Entwicklungsbedarf zu leisten und so bleiben die Herausforderungen sehr spannend für uns. AH: Herr Dr. Kraneburg, herzlichen Dank für das Gespräch!Lesen SIe hier...... warum Getriebeöle häufig die größeren Herausforderungen für Schmierstoffindustrie, Autohaus und Werkstatt darstellen.Das Herz der Castrol Forschung und weltweiten BP-Gruppe schlägt in Hamburg-Neuhof. Das Castrol Driveline Technology Center mit 55 Mitarbeitern (45 in Forschung und Entwicklung) ist das Kompetenzzentrum für die Entwicklung neuer Getriebeöle. Das zweite Entwicklungszentrum des Unternehmens (für Motorenöle) befindet sich in England (Pangbourne). Bei Getriebeölen hat Castrol über Jahrzehnte hinweg ein weltweit einmaliges Know-how angesammelt: In Hamburg-Neuhof werden Getriebeöle produziert, die aufgrund ihrer Qualität in die ganze Welt exportiert werden. Zu den Besonderheiten des Standortes gehört die patentierte Mischanlage (Simultaneous Metering Blender = SMB). Die Maschine kann parallel zwei verschiedene Getriebe- oder Motorenöl-Cocktails mixen und braucht dafür bei einem Fassungsvermögen von 36 Tonnen nur rund drei Stunden. Danach ist der SMB fast unmittelbar für eine neue Rezeptur und einen neuen Schmierstoff bereit. Weiterer Clou ist die besondere Reinheit der Produkte: Bei 36 Tonnen Produktionsvolumen liegt die maximale Abweichung von der vorgegebenen Rezeptur bei weniger als zehn Gramm! Insgesamt verlassen 850 verschiedene Artikel die Hamburger Produktionshallen. Die Gesamtkapazität des Standorts liegt bei: 120.000 1-Liter-Packungen pro Tag, 3.600 Fässern pro Tag bzw. unglaublichen 230 Millionen Liter Motoren- und Getriebeölen pro Jahr.230 Millionen Liter pro Jahr

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