Mehr als 15 Jahre lang kam die lediglich in Baden-Württemberg amtlich zugelassene Prüforganisation GTS, ausgeschrieben "Gesellschaft für Technische Sicherheitsprüfungen mbH & Co. KG" mit Stammsitz in der Pforzheimer Strasse 15 zu Karlsruhe, relativ unbehelligt durch "Raum und Zeit". Dr. Paul Philipps, ein im deutschen Prüfwesen bestens bekannter Mann mit einer durchaus bewegten und nicht ganz unumstrittenen Vorgeschichte bei mehreren anderen deutschen Prüforganisationen, wird das so gar nicht recht sein. Hatte er es doch geschafft, über all die vielen Jahre "seine" GTS im einzigen Bundesland Baden-Württemberg nicht nur anerkannt, sondern auch am Leben zu erhalten.
Die Vorwürfe aller anderen Überwacher im Markt lauten, dass Philipps und die GTS "niemals eine Zulassung hätten bekommen dürfen", dass sie seit Jahren gegen Bestimmungen und Gesetze des staatlichen Auftrages verstoßen, sich keiner Qualitätsüberwachung unterziehen usw. usf. – um hier nur einige aufzuzählen.
"Dr. Philipps betreibt mit der GTS ein bewusstes Versteckspiel"
Ganz bewusst "verstecke" sich Philipps regelrecht mit seiner GTS, wolle auf keinen Fall irgendwo "großartig in Erscheinung treten oder gefunden werden", wurde der Redaktion des AUTOHAUS-Schaden§manager erst vergangenen Freitagabend von Marktinsidern berichtet, mit denen sich AH-Schadenmedienchef Walter K. Pfauntsch im Landkreis Reutlingen zu persönlichen Gesprächen getroffen hatte.
Zu dieser GTS-Taktik gehöre auch, dass sie nicht einmal im Internet eine offizielle Unternehmens-Webseite unterhalte, wo die Verantwortlichen der Organisation klar und eindeutig benannt würden. Im Prüfwesen indes bestens bekannt ist, dass Dr. Paul Philipps nicht nur Gründer der GTS ist, sondern in Personalunion mindestens die Geschäftsführung und gleichzeitig die Technische Leitung mit abdeckt.
Bei "Blindprüfungen" gab's standardisierte "geringe Mängel"
Als "Technischer Leiter" steht er zumindest auf der Rückseite eines HU-Prüfberichtes der GTS vom 3. Juli 2010, der unserer Redaktion am vergangenen Freitagabend im Original mitsamt einem daran anhängendem "Nachweis nach Nummer 3.1.1.1 der Anlage VIII StVZO" (AU-Prüfbericht) ausgehändigt wurde.
Der dort namentlich aufgeführte GTS-Vertragspartner, welcher dem Vernehmen nach "standardmäßig" in seinen Prüfberichten die Mängelgruppe "6701 Bodengruppe leicht korrodiert" mit aufführt, taucht seit Beginn der Recherchen von AUTOHAUS-Schaden§manager stets auch auf, wenn es um die "150-Euro-Spezialprüfung" geht, bei der selbst völlig verkehrsunsichere Fahrzeuge noch eine frische Zwei-Jahres-Plakette auf das hintere Nummernschild geklebt bekommen, die für weitere zwei Jahre "freie Fahrt" und "Verkehrssicherheit" attestiert, weil bestenfalls "geringe Mängel" durch den GTS-Prüfer vorgefunden wurden.
Ordinariats-HU: Prüfung mit dem GTS-Segen des Diakons
Ohne dass die ermittelnde Kriminalpolizei das zum jetzigen Zeitpunkt offiziell sagt, ist davon auszugehen, dass gegen diesen Prüfer – er hat immerhin ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium als Diplom-Ingenieur – derzeit genauso ermittelt wird wie gegen einen anderen, in der "Szene" noch besser bekannten Sachverständigen, der im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg ohne dort vorhandenen Abgastester und ohne Bremsenprüfstand HU/AU-"Prüfungen" durchgeführt haben und in seiner weiteren Eigenschaft als Diakon sogar befähigt sein soll, Predigten zu halten. Gegenüber dem "Schwäbischen Tagblatt" hatte Uwe Renz, Pressesprecher des Bischöflichen Ordinariats, am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass der "Vorhalt", die Autos Ordinariats würden auf deren Hof geprüft, nicht zutreffe.
Regionale Tagesmedien bringen den Skandal zur Bevölkerung
Fakt aber ist, dass inzwischen auch im eigentlichen "Hoheitsgebiet" der GTS, Baden-Württemberg, die Medien und die Autofahrer in hohem Maße sensibilisiert sind. Gert Fleischer, einem Redakteur des vorhin bereits zitierten Schwäbischen Tagblattes, waren die zahlreichen kritischen Online- und Print-Beiträge der AUTOHAUS SchadenBusiness-Redaktion der letzten Monate und die dort vorgefundenen Recherche-Ergebnisse aufgefallen. Er setzte sich daraufhin sowohl mit AH-Schadenmedienchef Walter K. Pfauntsch, als auch mit dessen Informanten, den zuständigen Landratsämtern, der GTS in Karlsruhe und dem Bischöflichen Ordinariat in Verbindung. Heraus kamen am vergangenen Freitag großflächige Beiträge von ihm und seiner Kollegin Ulla Steuernagel im Mantel- und Lokalteil des Blattes, die bereits in ihren Headlines "Plakettenbetrug in großem Stil" bzw. "Vorwürfe an die Aufsicht" klare Kernbotschaften setzten.
"Kriminelle Methoden hätten früher verhindert werden können"
Auch Dietmar Schneider, den früheren Technischen Leiter und zeitweisen Geschäftsführer der GTÜ sowie ehemaligen Leiter der seinerzeitigen DEKRA-Niederlassung München-Ost, hatten die Tageszeitungs-Redakteure befragt. Schneider betreibt seit einigen Jahren eine eigene Prüfstelle in Rottenburg, seinem Heimatort, an den er nach seinen Tätigkeiten bei GTÜ und DEKRA vor einigen Jahren als Vertragspartner der KÜS zurückgekehrt ist.
Im streng katholischen Rottenburg, in dem auch das in diesem Beitrag bereits erwähnte Bischöfliche Ordinariat seinen Sitz hat, ist Schneider heute fast so etwas wie die "letzte verbliebene Bastion", die offen auf die Missstände im GTS-Prüfwesen hinweist. Das Gros der Prüforganisationen, welche über Jahre hinweg mit ihren Beanstandungen offensichtlich bei der zuständigen Aufsichtsbehörde immer wieder abgeprallt sind, scheint dagegen ihren Kampf längst aufgegeben zu haben. Gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt und der Rottenburger Post brachte Schneider unmissverständlich seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die "kriminellen Prüfmethoden schon viel früher verhindert hätten werden können".
100.000-Euro-Bargeldprüfer ist bereits "aus dem Verkehr" gezogen
Nach Inhaftierung des 58-jährigen GTS-Prüfers S. aus Reutlingen, der bei seiner Festnahme vor rund 5 Monaten gut 100.000 Euro Bargeld in seinem Privatwagen mitführte, von dem er zugab, dass es aus seiner Prüftätigkeit stammte und nach den zwischenzeitlich auch von regionalen Tagesmedien ausgehenden kritischen Beiträgen und der damit verbundenen Sensibilisierung großer Bevölkerungskreise im zuständigen Prüfgebieit wird es immer enger für die GTS und ihre rund 25 Prüfer. S. ist zwar inzwischen wieder auf freiem Fuß und wartet darauf, dass ihm in naher Zukunft der Prozess gemacht wird. Zumindest aus dem aktiven Prüfgeschäft ist er allerdings auf Dauer entfernt worden.
Ramsauer und Winfried Hermann inzwischen involviert
Wie gut über viele Jahre das Katz-und-Maus-Spiel der Mini-ÜO in Baden-Württemberg funktionierte, wurde AH-Schadenmedienchef Walter K. Pfauntsch Anfang April bewusst, als er am Rande des Internationalen VDIK-Abends zur AMI mit Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer über den gegenständlichen Plakettenskandal sprach und dabei erfuhr, dass der "Fall" zu diesem Zeitpunkt das "politische Berlin" und auch Ramsauer selbst "noch nicht erreicht" hatte. Absprachegemäß sandte Pfauntsch seine veröffentlichten Print- und Online-Beiträge daraufhin an den Bundesverkehrsminister und dessen persönliche Referentin Dr. Julia Reuß. Im Juni teilte Ramsauer mit, dass er sämtliche Unterlagen an seinen für Baden-Württemberg zuständigen Verkehrsminister Winfried Hermann weitergegeben habe, "mit der Bitte, den von Ihnen dargestellten Handlungen nachzugehen".
Tausende von Fahrzeugen werden derzeit nachgeprüft
Was offiziell an dieser Stelle gesagt werden kann, ist die Tatsache, dass die Landratsämter und Zulassungsstellen sowie die zuständige Kripo weitreichende Ermittlungen am Laufen haben. Ferner werden derzeit tausende von Fahrzeugen, die im (noch gültigen) Plakettenzeitraum der letzten eineinhalb bis zwei Jahre liegen, nachuntersucht. Den einheitlichen Auftrag dafür erhielt der TÜV SÜD, der auch gehalten ist, die Nachprüfungen genau zu dokumentieren und statistische Auswertungen anzufertigen.
Fahrzeughalter zahlen die Zeche...
Was vor allem die Autofahrer im "Eldorado"-Gebiet der GTS – das sind die Kreise Tübingen, Reutlingen, Esslingen, Ludwigsburg, Böblingen und Göppingen – in höchstem Maß erzürnt, ist die Tatsache, dass sie die Nachprüfung komplett aus eigener Tasche zahlen müssen. Mit anderen Worten: Für eine kombinierte HU/AU-Kontrollprüfung dürften pro Fahrzeug – gemäß den örtlichen Gegebenheiten – rund 90 Euro an Gebühren zu berappen sein, die die betroffenen Halter bestenfalls nachträglich bei der GTS wieder einklagen können.
... und bekommen nicht einmal eine neue Plakette
Nach den Vorort-Recherchen von AUTOHAUS am vergangenen Freitag und den dort erhaltnenen Informationen darf allerdings keine neue Plakette vergeben werden – selbst wenn die Prüfung erfolgreich verläuft. "Die Fahrzeughalter sind richtig sauer", sagte unserer Redaktion dazu beispielsweise Redakteur Gert Fleischer vom Schwäbischen Tagblatt, der selbst umfangreichste Recherchen angestellt hat.
Erste Fahrzeugstilllegungen vollzogen
Anscheinend haben die Sachverständigen des TÜV SÜD indes auch bereits Fahrzeuge zur Nachkontrolle bekommen, die zuvor von den "Schnellprüfern" der GTS zur HU-"Blindbegutachtung" vorgefahren wurden: Der von AH persönlich am vergangenen Freitag vor Ort befragte Martinsider berichtete beispielsweise von zehn ihm bekannten Zweitprüfungen, bei denen es in drei Fällen zur sofortigen Fahrzeugstilllegung kam.
Verschrotten oder aufwendig instandsetzen als Losung
Für den jeweils betroffenen Fahrzeughalter heißt das, dass er sein Auto entweder gleich verschrotten lassen kann oder es in eine Werkstatt begibt, die alle beanstandeten und sicherheitsrelevanten Mängel ordnungsgemäß behebt. Daraufhin muss in einer neuerlichen HU-Kontrolle festgestellt werden, ob das Fahrzeug tatsächlich wieder zum Straßenverkehr zugelassen werden kann. Und auch diese Kosten hat der Halter zu tragen – für das Image und die Zukunftsfähigkeit der GTS ist das sicherlich wenig förderlich.
"HU/AU neu" statt "Bastlerfahrzeug" als Kassenschlager
Die regioanlen Tagesmedien im christlich geprägten Schwabenland haben klar aufgezeigt, wie das GTS-Prüfsystem funktioniert und wie es auch die Pressesprecherin der Kripo Esslingen, Christine Menyhart, bereits Ende März so skizziert hatte: Vor allem Werkstätten und Freie Gebrauchtwagenhändler machten gemeinsame Sache mit einigen völlig gewissenlosen GTS-Prüfern: Plakette gegen Bares, lautete die Losung.
Auf diese Weise waren auch die härtesten "Krücken" letztlich wieder verkaufsfähig und brachten einen entsprechend, zum Teil deutlich höheren Verkaufserlös. "HU/AU neu" verkauft sich bekanntermaßen deutlich rentierlicher als die eigentlich zutreffende(re) Beschreibung "Bastlerfahrzeug mit erheblichem Reparaturstau und technischen Mängeln".
Pseudo-ZDK-Logo statt AU-Klebesiegel
Als "echten Fake" wollen Prüfer einer anderen Organisation in Baden-Württemberg indes den in diesem Beitrag bereits erwähnten AU-Bericht enttarnt haben, der AUTOHAUS inzwischen ebenfalls vorliegt: Das Werkstätten-Siegel scheint in der Tat gleich mitsamt dem Bericht aus dem Kopierer gekommen zu sein, ist definitiv kein Klebesiegel und enthält noch ein symbolisiertes Fahrzeug, das in ähnlicher Form vor Jahren vom Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe bzw. auch den Innungen verwendet wurde. Mit einer Zange wurde in das Papier die AU-Zulassungsnummer "recht billig eingeprägt" und stimmt zudem nicht vollständig mit der auf das Papier kopierten "Siegelnummer" überein.
Für die GTS geht es jetzt um mehr als "nur" die Existenz einiger Prüfer
Nach langen Jahren der "Durchschummelei" mit Falschbeurkundungen, Schwarzgeldern, Dokumentenfälschungen und den mehr als fahrlässigen technischen Fahrzeugprüfungen mit Inkaufnahme von schweren und tödlichen Verkehrsunfällen scheint sich jetzt das Blatt für die GTS endgültig zu wenden und die Missstände in absehbarer Zeit der Vergangenheit anzugehören.
Im Zuge der umfangreichen Ermittlungen und unter Berücksichtigung der massiven Wettbewerbsvorwürfe an der überhaupt erfolgten Zulassung der GTS dürfte dabei auch mit anstehen, ob die regionale Organisation künftig noch eine Existenzgrundlage haben wird. Insider rechnen mit ersten Anklagen durch die Staatsanwaltschaft "gegen Jahresende". (wkp/hp)
Plakettenskandal: Es wird eng für die GTS und ihre HU-Prüfer
Die Prüforganisation GTS mit Hauptsitz in Karlsruhe kommt gewaltig unter Druck: Derzeit werden durch den dafür beauftragten TÜV SÜD tausende von HU/AU Gutachten überprüft, die Kripo ermittelt, lokale Tagesmedien haben den Fall aufgegriffen und auch Württembergs Verkehrsminister Winfried Herrmann geht dem Plakettenskandal nach.