In nicht einmal zwei Wochen die fast fünffache Schadensumme wie im gesamten letzten Jahr: Mit rund 1,7 Milliarden Euro schlug die Juni-Unwetterserie bei allen von Starkregen, Stürmen und vor allem Hagel betroffenen Versicherern hart ins Kontor. Fest steht, dass Teile von Bayern und Baden-Württemberg richtig heftig getroffen wurden (wir berichteten), Hagelstürme und starke Niederschläge aber auch zusätzliche Regionen Deutschlands heimgesucht haben. In einer ersten Schätzung für die Zeit vom 18. bis 30. Juni 2021 spricht der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) deshalb von einer Unwetterserie, die "zu den verheerendsten in der Geschichte" zähle.
700 Mio. Euro Schaden an 275.000 Hagel-Autos
Von den 1,7 Milliarden Euro (versicherten!) Schäden entfalle alleine eine Milliarde Euro auf die Sachversicherer für beschädigte Häuser, Hausrat, Gewerbe- und Industriebetriebe. Mit rund 275.000 Schäden in Höhe von 700 Millionen Euro sind zudem die Kfz-Versicherer besonders stark von den Folgen der Hagelschläge betroffen. Während die Kfz-Assekuranz ob der außergewöhnlichen Kostenbelastung stöhnt, hilft die Vielzahl der Kumulschäden andererseits der gesamten Schadenbranche über die teils massiven Corona-Einbußen des vergangenen Jahres hinweg – Werkstätten und Sachverständigen genauso wie professionellen Hagelinstandsetzern, Restwertbörsen, Totalschaden-Auktionären, Fahrzeug-Aufkäufern, Autoglasern, Teilelieferanten, Mietwagenfirmen und sogar dem GW-Handel und der Automobilindustrie.
"Noch kein Ende in Sicht"
Vergangene Woche hatten wir an dieser Stelle ein Exklusiv-Interview mit Christian Krams, dem Leiter Schaden im Konzern Versicherungskammer, veröffentlicht. Für sein Unternehmen, das Marktführer in der Gebäudeversicherung ist, rechnete Krams noch Anfang Juli mit rund 20.000 Schäden an Immobilien, weiteren 10.000 Hagelschäden an Kfz und etwa 2.000 zu regulierenden Ernteschäden. Ob es dabei letztlich bleibt, werden die noch nicht vollständigen Schadenmeldungen der Versicherungsnehmer und insbesondere auch die kommenden Wochen und Monate zeigen. Denn ein Ende der Hagel- und Unwettersaison ist derzeit laut Deutschem Wetterdienst noch nicht wirklich in Sicht.
Die Schäden werden auch bei allen anderen Versicherern die bisherigen Erhebungen und Leistungen noch übertreffen. Das gilt im Besonderen für die Hagelschläge auf versicherten Kraftfahrzeugen. Ebenfalls vergangenen Montag an dieser Stelle hatten wir darüber berichtet, dass bereits Allianz (mindestens 30.000), HUK-Coburg (mindestens 35.000), Württembergische Versicherung und WGV Württembergische Gemeinde-Versicherung (jeweils mindestens 16.000) nach eigenen ersten Schätzungen in den wenigen Tagen bis Ende Juni auf zusammen rund 100.000 "Hagel-Autos" kommen. Die vier Versicherer hätten damit einen Juni-Anteil von gut 36 Prozent an den vom GDV vermeldeten 275.000 Kfz-Hagelschäden.
Geflutete Fahrzeuge meist Totalschäden
Hinzu kommen noch etliche vom Starkregen in Tiefgaragen oder auf Straßen und Unterführungen "geflutete" Fahrzeuge. Letztere dürften indes weitgehend als Totalschäden reguliert werden, da Wasser im Innenraum erfahrungsgemäß zu hohen und nicht selten irreparablen Schäden an der Elektronik (Steuergeräte, Kabelverbindungen etc. im Bodenbereich, unter Sitzen und unter den Schaumstoffen der Fahrzeugteppiche) sowie einem in der Regel dadurch sehr arbeitsintensiven und teuren Reparaturaufwand führt.
"Frequenz und Intensität wird weiter zunehmen"
GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen sagte zu den 13 kostenträchtigen Juni-Tagen: "Es hat sich erneut gezeigt, welch große Schäden Hagel und Starkregen innerhalb kürzester Zeit anrichten können." Betrüblich dabei auch seine Prognose: Künftig müsse man sich darauf einstellen, dass sich die Frequenz und die Intensität solcher Ereignisse weiter erhöhe.
Zweitgrößtes Hagel- und Starkregenereignis seit 2002
In der Sachversicherung teilen sich die Schäden laut GDV wie folgt auf: 600 Millionen Euro entfallen auf Hagelschäden und 400 Millionen Euro auf weitere Naturgefahren (Starkregen). "Die Unwetterserie ist damit für die Sachversicherer jeweils das zweitgrößte Hagel- bzw. Starkregenereignis seit 2002", so Asmussen. Nur der Hagel ,Andreas' richtete im Jahr 2013 mit rund zwei Milliarden Euro höhere Schäden an. Bei den weiteren Naturgefahren (Starkregen) waren die Schäden nur bei ,Elvira II' im Mai 2016 mit 480 Millionen Euro höher.
Heute Jahrestag der "Münchner Hölle"
Für die Kfz-Versicherer wiederum bedeutet die jüngste Unwetterserie den viertgrößten Hagelschaden im Betrachtungszeitraum, das teuerste Ereignis bleibe mit über zwei Milliarden Euro der legendäre "Münchner Hagel". Der ereignete sich übrigens auf den Tag genau heute vor 37 Jahren am 12. Juli 1984. "20 Minuten Hölle" überschrieb Autor Wolfgang Görl von der Süddeutsche Zeitung in einem 30-Jahres-Rückblick 2014 das Ereignis, das sich "ins kollektive Gedächtnis der Münchner eingebrannt" habe.
Elementarschäden oft nicht abgedeckt
Damals wie auch im Jahr 2021 liegen die tatsächlichen Unwetterschäden indes noch höher, denn nach wie vor sind längst nicht alle Häuser komplett versichert. Während bundesweit fast alle Wohngebäude gegen Sturm und Hagel abgesichert sind (wofür u.a. der "Münchner Hagel" mit beigetragen hat), besitzen weiterhin nur 46 Prozent den Schutz vor weiteren Naturgefahren wie Starkregen und Hochwasser. Das ist insofern bemerkenswert, da es alleine seit 2001 (Elbe, Mulde, Donau, Isar,...) eine Vielzahl von Überflutungen und Hochwasserschäden gab, die bei fehlendem Versicherungsschutz schnell zur Existenzgefährdung werden können.
Plattform zur eigenen Risiko-Einschätzung
GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen erachtet es zwar als "erfreulich, dass inzwischen fast die Hälfte der Gebäudebesitzer Schutz vor weiteren Naturgefahren haben". Im gleichen Atemzug aber sagt er: "Für alle anderen gilt, dass sie ihren Versicherungsschutz überprüfen und anpassen sollten." Um Hausbesitzer für die Gefahr durch Naturkatastrophen zu sensibilisieren, hat der GDV den sogenannten "Naturgefahren-Check" gestartet. Immobilienbesitzer und Mieter erfahren auf der Onlineplattform, welche Schäden Unwetter in der Vergangenheit an ihrem Wohnort verursacht haben und können so ihr individuelles Risiko besser einschätzen. Den Naturgefahren-Check des GDV können Sie HIER direkt aufrufen. (kaf)