Das sogenannte Jahrhundert-Hochwasser 2002 und die weiteren, großflächigen Überflutungen, die es 2013, 2016 und zuletzt 2021 in Deutschland gab, werden offensichtlich immer noch unterschätzt – oder einfach ignoriert. Diese Schlussfolgerung muss man fast zwangsläufig ziehen, wenn man sich die neuesten Berechnungen des GDV näher vergegenwärtigt. Die vorne an gesetzte Botschaft des Verbandes lautet ungesühnt: "In Überschwemmungsgebieten wird nach wie vor zu viel neu gebaut."
270.000 Wohngebäude hochgradig gefährdet
Seit dem Jahr 2000 sind laut der gegenständlichen GDV-Auswertung rund 2,7 Millionen neue Wohngebäude entstanden – über 32.000 davon in Überschwemmungsgebieten. Pro Jahr kamen somit rund 1.000 bis 2.400 neue Wohngebäude in den Risikogebieten neu hinzu. Datenbasis der Berechnungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft ist das Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS Geo). Damit können Versicherer für jedes Gebäude die Hochwassergefährdung abschätzen. Insgesamt liegen in Deutschland rund 270.000 Wohngebäude in hochgefährdeten Überschwemmungsgebieten.
Bau-Verbot und Baugesetzänderung gefordert
"Wir sind der Meinung, dass in Überschwemmungsgebieten grundsätzlich nicht neu gebaut werden sollte", sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. "Tatsächlich ist aber der prozentuale Anteil neuer Wohngebäude in Überschwemmungsgebieten in den vergangenen 23 Jahren sogar noch gestiegen." Der GDV plädiert vor diesem Hintergrund für eine Anpassung des Bau- und Planungsrechts: "Nur auf Basis eines klimaangepassten Bauens können künftig die volkwirtschaftlichen Schäden durch Klimaänderungen und Extremwetterereignisse verringert werden", mahnt Asmussen.
Aus Sicht der Versicherer berücksichtigen die geltenden Bauvorschriften in Deutschland die Auswirkungen des Klimawandels und seine Folgen bislang nicht. Daher fordert der Verband, dass das Schutzziel "Klimaangepasstes Bauen" in die Baugesetzgebung aufgenommen wird. Bestehende Gebäude sollten zudem durch präventive Maßnahmen gegen Überschwemmung und Starkregen geschützt werden, so der GDV in seinem Positionspapier.
Verbands-Credo: Prävention und automatischer Elementarschutz
"Prävention und Klimafolgenanpassung sind der Dreh- und Angelpunkt, damit Schäden durch Naturkatastrophen und damit Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder laufen", so Asmussen. Die Versicherungswirtschaft setzt sich daher für ein Gesamtkonzept aus Prävention, Klimafolgenanpassung und Versicherung ein (wir berichteten mehrfach). Es sieht vor, alle Wohngebäude rundum gegen Naturgefahren zu versichern. Dafür würden bereits geschlossene Gebäudeversicherungen von einem Stichtag an automatisch auf Elementarschutz umgestellt, sofern Kunden nicht widersprechen. Dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage. Neue Verträge schließen den Schutz ohnehin ein.
Risiken rechtzeitig checken
Neben einer Elementarschadenversicherung sind Aufklärung und Prävention wichtige Bausteine zur Vermeidung von Schäden. Der GDV stellt daher mit dem Naturgefahren-Check eine Onlineplattform zur Verfügung, mit der nach Postleitzahlengebieten überprüft werden kann, welche Schäden Unwetter in der Vergangenheit verursacht haben. Details zur Gefährdung durch Flusshochwasser liefert darüber hinaus der Hochwasser-Check. Auch bei ihrem Wohngebäudeversicherer können Hausbesitzer heute jederzeit erfragen, wie hoch das Überschwemmungsrisiko ihres Gebäudes ist.
Hochwasserschutz auch im Bestand "nachrüsten"
Unabhängig vom Versicherungsschutz rät der GDV potenziellen Bauherren, den Überschwemmungsschutz gleich mitzudenken und notwendige Schutzmaßnahmen einzuplanen. "Wasser braucht Raum. Beim Bauen sollte deshalb eine geringfügige Überflutung des Grundstückes mit eingeplant werden und es sollten Flächen erhalten bleiben, auf denen Wasser versickern kann", empfiehlt Asmussen. Auch bereits bestehende Gebäude könnten "nachgerüstet" werden, etwa durch Aufkantungen vor Kellertreppen oder auch den Einbau wasserdichter Fenster.