Der Weg ist klar vorgegeben: Bei heutigen Autos (und auch Nutzfahrzeugen sowie Bussen) unterstützt bereits eine mehr oder weniger hohe Anzahl von Assistenzsystemen den Fahrer in seinen eigentlichen Fahraufgaben. Er selbst steht allerdings weiterhin in der vollen Verantwortung, da ihm fahrfremde Tätigkeiten nicht gestattet sind.
Der Weg des Fahrers zum reinen Passagier
Im automatisierten Fahrmodus übernimmt das Fahrzeug bereits die Kontrolle in einem festgelegten Betriebsbereich. Das bedeutet für den Fahrzeugführer, dass er sich vom Verkehrsgeschehen abwenden darf, aber weiterhin "wahrnehmungsbereit" bleiben muss, um die Steuerung des Fahrzeuges "unverzüglich" wieder übernehmen zu können.
Der künftig angestrebte, autonome Fahrmodus bedeutet gleichzeitig "Fahrerlosigkeit". Mit anderen Worten: Das Fahrzeug übernimmt die Kontrolle in einem eindeutig festgelegtem Betriebsbereich, Insassen sind lediglich noch Passagiere und besitzen keinerlei fahrbezogene Aufgaben mehr. Dafür übernimmt eine sogenannte Technische Aufsicht die Überwachung des Fahrzeuges, damit im Idealfall jegliche Unfälle vermieden werden.
Weiter Unfälle durch "Fahranfänger-Systeme und Mischverkehr
Dass all diese neuen Technologien auch neue Risiken mit sich bringen, wollte der Allianz-Deutschland-Vorstandsvorsitzende in seiner auf englisch gehaltenen Key-Note erst gar nicht leugnen. Autonome Fahrzeuge würden am Anfang ihrer Entwicklung einem Fahranfänger gleichen, der erst noch dazulernen müsse. Und weil gerade eine neue Technik in aller Regel nicht fehlerfrei sei, werde es "auch künftig Unfälle, vor allem im Mischverkehr mit anderen Fahrzeugen", geben. Für ihn sei es deshalb essentiell, so Röhler, dass von Anfang an alle Unfallursachen und selbst die Gründe für Beinahe-Unfälle nachvollziehbar aufgeklärt werden können. Nur so sei ein breites Vertrauen der Öffentlichkeit in automatisierte und autonome Systeme erreichbar.
Die Allianz, so führte er weiter aus, werde den technologisch eingeschlagenen Weg vollumfänglich mitgehen und auch autonome Fahrzeuge inklusive der dafür nötigen Technischen Aufsicht versichern (wir berichteten). Gleichzeitig forderte er allerdings einen europaweit einheitlichen Weg von den jeweiligen Gesetzgebern ein und zudem einen EU-weiten, unabhängigen Datentreuhänder, der im Bedarfsfall mittels eines standardisierten und diskriminierungsfreien Zugangs die zur Unfallaufklärung erforderlichen Fahrzeugdaten den Berechtigten zur Verfügung stellt.
Unfallursachen-Klärung künftig datenbasiert
Bei nüchterner Betrachtung dürfte davon auszugehen sein, dass die unterschiedlichsten Sensordaten (Geschwindigkeits- und Abstandswerte, Beschleunigungs- und Bremsverhalten, auch Radar, Lidar und Kameraaufzeichnungen) die konkrete Feststellung von unfallauslösenden Ursachen eher beschleunigen und weiter absichern werden. Hier könnte es letztlich – analog Köhlers Argumentation zu Fahranfänger-Unzulänglichkeiten – also mit zu Produkthaftungsfällen kommen, für die der Fahrzeughersteller und/oder der entsprechende Zulieferer aufkommen muss.
Chancen oder Risiken – oder beides?
In einer anschließenden Podiumsdiskussion äußerten sich eine ganze Reihe von Experten zum Thema Autonomes Fahren bzw. den vorgelagerten Entwicklungsstufen. Die zu erläuternde Kardinalfrage hieß dabei: "Welche Chancen und Risiken sehen wir bei der Zulassung von automatisiert fahrenden Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen?"
Nachfolgend haben wir die Kernaussagen derjenigen Protagonisten zusammengefaßt, die sich explizit in der Podiumsrunde auch zu diesem Thema geäußert und anschließend der internationalen Journaille auch für Fragen und Antworten zur Verfügung standen:
"Anfangs nur wenig höhere Verkehrssicherheit"
Dr.-Ing. Sven Nitsche, Leiter integrierte Sicherheit, BMW AG: "Zunächst werden automatisierte Fahrfunktionen (Stufe 3), die dem Fahrer in genau definierten Fahrszenarien die gesamte Fahraufgabe abnehmen sollen, nur geringfügige positive Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben. Systematische Sicherheitsmängel von unzureichend entwickelten ALKS L3-Systemen werden sich jedoch deutlich negativ auf die Verkehrssicherheit auswirken.
Die Hauptaufgabe der Fahrzeugsicherheitsabteilungen für diese Systeme besteht daher darin, sicherzustellen, dass sie im gemischten Verkehr sicher betrieben werden können und dabei weniger Fehler machen als der durchschnittliche Fahrer.
Darüber hinaus ist es die Aufgabe aller Beteiligten (Gesetzgeber, Versicherungen, Systemlieferanten und OEMs), Lösungen und Prozesse bereitzustellen, die es ermöglichen, dass automatisierte Fahrfunktionen ihr volles Potenzial zur positiven Beeinflussung der Verkehrssicherheit ausschöpfen können."
"Erfolg von Forschungs-Kooperationen abhängig"
Dr.-Ing. Miriam Ruf, Leiterin der Forschungsgruppe Automotive am Fraunhofer Institut:
"Automatisiertes Fahren wird den heutigen Verkehr voraussichtlich so stark verändern, dass wir unsere Perspektive erweitern müssen: Ausgehend von der Entwicklung neuer Technologien müssen wir neue Wege finden, diese zu bewerten, ihre Auswirkungen auf den Verkehr, ihre Akzeptanz bei den Fahrgästen, aber auch in der Gesellschaft zu analysieren und zu prüfen, wie solche Systeme evolutionär auf den Markt gebracht werden können.
Die Herausforderung des automatisierten Fahrens liegt also nicht nur im technischen Bereich, sondern auch darin, wie gut die verschiedenen Forschungsdisziplinen zusammenarbeiten.
"Menschen bewegen, nicht Autos!"
Annette von Rolbeck, ZF Mobilitäts-Lösungen: "Mobilität ist mehr als die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand, sie ist die Initialzündung für gesellschaftliche Teilhabe für jeden von uns. Die Herausforderungen, die sich aus der weltweit gestiegenen individuellen Mobilität ergeben, werden nicht durch Verbote oder Methoden, die das Leben in alte Zeiten zurückversetzen, zu bewältigen sein. Was wir brauchen, ist eine auf den Menschen und die Gesellschaft ausgerichtete Technologie, die Lösungen für eine saubere, effiziente, komfortable und erschwingliche Mobilität bietet. Wir wollen Menschen bewegen, nicht Autos.
"Verkehrskonflikte schon vor ihrer Entstehung erkennen!"
Matthew Avery, Direktor für Versicherungsforschung am Thatcham Research (GB): "Automatisierte Fahrzeuge werden bis Ende dieses Jahres auf den europäischen Straßen unterwegs sein. Dies ist ein bedeutender Schritt in der Fahrzeugentwicklung und in der Art und Weise, wie Menschen mit ihren Autos interagieren. Bald wird es legal sein, sich zurückzulehnen und das Auto fahren zu lassen, während man fernsieht oder seine E-Mails bearbeitet. Aber wird es auch sicher sein und wer kommt dafür auf, wenn alles schief geht?
Thatcham Research hat mit den britischen Versicherern und der Regierung zusammengearbeitet, um die sichere Einführung von automatisierten Fahrzeugen zu gewährleisten. Die Versicherer verlangen, dass die Fahrzeuge mindestens so sicher sind wie ein kompetenter menschlicher Fahrer, und die Fahrzeuge müssen in der Lage sein, sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten, die Spur zu wechseln, um Gefahren zu vermeiden, und potenzielle Verkehrskonflikte vorauszusehen, bevor sie entstehen. Sie wollen auch, dass die Fahrzeuge auf den Seitenstreifen ausweichen können, wenn etwas schief geht, und vor allem müssen Daten verfügbar sein, um festzustellen, wer zum Zeitpunkt des Unfalls die Kontrolle hatte."
"Den Verbraucher begeistern"
Dr. Christoph Hecht, Experte für Automatisierung und digitale Transformation im Verkehr, ADAC e.V. Verkehrspolitik: "Das Fehlen eines rechtlichen Rahmens schien den Fortschritt des automatisierten und autonomen Fahrens zu behindern, aber das ist vorbei. Deutschland ist bereit, fahrerlose Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Jetzt liegt es an der Industrie, Fahrzeuge und Dienstleistungen zu entwickeln, die die Verbraucher begeistern."
"Risiken für alle Beteiligten finanziell absichern"
Dr. Christoph Lauterwasser, Geschäftsführer AZT Automotive GmbH: "Wir stehen kurz vor der Einführung von automatisierten Fahrfunktionen und fahrerlosen Transportsystemen. In dieser ersten Phase ist die Sicherheit der Insassen und der anderen Verkehrsteilnehmer entscheidend für das Vertrauen der Öffentlichkeit. Die Rolle der Allianz ist dabei die finanzielle Absicherung der Risiken für alle Beteiligten. Darüber hinaus leisten wir von Seiten des Allianz Zentrums für Technik durch Unfallforschung wichtige Beiträge zur Risikobewertung und zur Entwicklung von Systemen. Für beide Aufgaben ist die korrekte Aufklärung von Unfällen und kritischen Situationen unabdingbar und dafür müssen geeignete Daten zur Verfügung stehen."
"Deutsches Versicherungssystem als Blaupause für Europa!"
Jochen Haug, Vorstand Schadenmanagement der Allianz Versicherungs-AG: "Das deutsche Haftungssystem aus Verschuldenshaftung, Gefährdungshaftung und Produkthaftung bietet auch für das automatisierte Fahren in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien den geeigneten rechtlichen Rahmen. Deshalb bin ich ein großer Befürworter des deutschen Haftpflicht- und Kfz-Versicherungssystems und halte es auch auf europäischer Ebene für eine Lösung. Das klare Ziel der Allianz Autoversicherung ist es, langfristig eine führende Rolle bei der Absicherung der mit dem autonomen Fahren verbundenen Risiken zu spielen. Dabei werden wir die Kfz-Versicherung weiterentwickeln; sie wird in Zukunft noch datengetriebener, technologiebasierter und skalierbarer sein." (wkp)