Mit deutlichen Worten hat Kanzlerin Angela Merkel die deutsche Autoindustrie angegriffen.Es sei dort in der Diskussion um Schadstoffreduzierungen gelogen und betrogen worden, sagte die CDU-Vorsitzende am Samstag auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Kiel. Etliche in der Autoindustrie hätten sich "sehr schuldig gemacht und Vertrauen verspielt". Sie wolle dennoch, dass es weiterhin eine starke Automobilwirtschaft in Deutschland gebe.
In ihrer Zeit als Umweltministerin habe sie versucht, sich an viele Forderungen aus der Autoindustrie zu halten, sagte Merkel. Sie habe sich damals nicht vorstellen können, dass es Autos gebe, die auf 90 Prozent der Strecke zwischen München und Berlin ohne Katalysator fahren würden. Dass man da misstrauisch werde, liege nicht an der Politik, sondern an der Autoindustrie.
Verwaltungsgericht berät über Fahrverbot in Berlin
Fahrverbote verhindern ist das Ziel der Bundesregierung in der Dieselkrise. Doch die Wirksamkeit ihres Konzepts wird angezweifelt. So berät am Dienstag das Verwaltungsgericht in Berlin darüber, ob Dieselautos wegen der zu hohen Luftbelastung im Herzen der Hauptstadt nicht mehr fahren dürfen. Geprüft wird auch, ob Fahrverbote ab 2020 auch für modernere Diesel notwendig werden könnten. "Auch die Euro-6-Diesel sind ja bekanntermaßen nicht alle sauber", sagte ein Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung am Montag zu einem entsprechenden Bericht des RBB. In Szenarien würden daher auch Einschränkungen für Diesel mit den Abgasnormen Euro 6a, 6b und 6c geprüft.
Sollte das Gericht der Forderung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) folgen, ist die Bundesregierung am Zug. Berlin könnte dann in den Kreis der bisher 14 "Intensivstädte" rücken - besonders auf diese zielt das neue Maßnahmenpaket der Koalition in der Dieselkrise.
Konzept steht massiv in der Kritik
Das Konzept der großen Koalition, das im Kern weniger Luftbelastung durch die Erneuerung der Fahrzeugflotte und technische Nachrüstungen bringen soll, steht allerdings massiv in der Kritik. Auch weil es eben zunächst nur für Städte gelten soll, in denen die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) im Jahresmittel über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt. Gesetzlich erlaubt ist im Jahresmittel eine Belastung von höchstens 40 Mikrogramm. In Berlin lag der Wert laut Umweltbundesamt letztes Jahr bei 49 Mikrogramm. Und: Die Autobosse ziehen bei der geforderten technischen Nachrüstung nicht mit, können rechtlich wohl auch nicht dazu gezwungen werden.
Die Bundesregierung wolle erreichen, dass alle Dieselbesitzer "weiter ihre Mobilität nutzen können", betonte die Kanzlerin in ihrem wöchentlichen Podcast. Mit Blick auf die ablehnende Haltung der Autobauer in Sachen Hardware-Nachrüstung beharrte Merkel darauf, neben Umtauschangeboten werde es "die Möglichkeit der Hardware-Nachrüstungen geben, wo immer das technisch möglich ist. Auch hier tritt die Automobilindustrie in die Verantwortung".
"Freundliche Appelle an die Autoindustrie reichen nicht aus"
Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer urteilte: "Das Dieselpaket droht zur Luftnummer zu werden." Die Bundesregierung müsse die Hilferufe aus den Städten ernst nehmen. "Freundliche Appelle an die Autoindustrie reichen nicht aus. Die Bundesregierung muss alle Hebel in Bewegung setzen, um Druck auf die Autobosse auszuüben."
Die Deutsche Umwelthilfe bekräftigte, sie werde vor Gericht auf einer großen Verbotszone für Dieselautos in der Berliner Innenstadt bestehen. Zu hohe Werte der gesundheitsschädlichen Stickoxide seien ein "flächendeckendes Problem", sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb genüge es nicht, für ältere Dieselfahrzeuge lediglich einige Straßen zu sperren.
Resch sagte, wenn man einzelne Straßenabschnitte für ältere Diesel sperre, führe dies nur zu Ausweichverkehr. "Wir wollen aber keine Anreize für Slalomrennen um gesperrte Straßen." Nur mit einem Fahrverbot in einer großen Zone könne der Grenzwert "so schnell wie möglich" erreicht werden.
FDP-Chef Christian Lindner forderte derweil eine bundesweite Überprüfung der Messstationen. Es wäre sinnvoll, erst einmal die Messstellen und Messmethoden in den Städten zu untersuchen, sagte Lindner der "Bild am Sonntag". Es gebe Zweifel, ob die dem europäischen Standard entsprächen. "Dann kann man sich viel Ärger und Geld sparen. Ohne diese Prüfung leuchtet mir nicht ein, dass Neapel so viel sauberer sein soll als Hamburg." (dpa)
Armin Günther