Vanlife kursiert seit einigen Jahren als Begriff durchs Social-Media und die coolen Leute zelebrieren den dazu passenden Lebensstil. In Szene gesetzt werden meist Menschen, Hunde, Landschaften und: Vans. Allerdings eher die etwas geräumigeren, damit man in ihnen auch eine Zeit lang leben kann. Eine schöne Blase, die in der Realität allzu oft zerplatzt und meist auch anders aussieht. Nichtsdestotrotz boomt das Geschäft mit den Vans – mit den gebrauchten mehr als mit neuen. Das liegt vielleicht auch daran, dass neue Vans teuer sind.
Tiny House oder Caddy
Teuer ist ein Stichwort, das auf unser Testexemplar zutrifft. Es handelt sich um den neuen VW Caddy in seiner Kurzversion (4,50 Meter lang, der Maxi misst 35 Zentimeter mehr). 40.000 Euro kostet der Testwagen (netto) in seiner "Style"-Ausstattungslinie. Dafür bekommt man auch schon ein Tiny House – ein anderer Trend, vor allem in den sozialen Netzwerken. Das kommt bei den "Vanlifern" im Alter vielleicht hinzu. Mit der Kaufsumme bewegt sich der Hannoveraner in einer Preisregion, in der man neben den kleinen Häuschen durchaus auch bereits größere, noblere, elegantere und hochwertigere Automobile bekommt.
Praktischere? Eher nein. Der Caddy war und ist eins der praktischsten Automobile auf dem Markt. Zumindest dann, wenn man viel Platz in alle Himmelsrichtungen, durchdachte Lösungen und einfache Bedienung als Parameter ansetzt.
Die vierte Generation des Caddy, der unter diesem Namen bereits seit Ende der 1970er-Jahren auf dem Markt ist, basiert nun auch auf der MQB-Plattform, wie beispielsweise der Golf 8. Das hat auch zur Folge, dass der Caddy erstmals ohne Blattfederung an der Hinterachse über die Straßen rollen kann. Zwar wurde das bislang immer gut kaschiert und das Fahrverhalten gab wenig Grund zur Klage. Aber die sonst – auch in der Klasse – üblichen Schraubenfedern geben ein besseres Bild beim Fahren ab – wenngleich die Starrachse auch beim neuesten Caddy bleibt.
Ausgestattet mit üppigen 18-Zoll-Rädern steht der Van zwar satt auf der Fahrbahn, Nachteile sind aber vorprogrammiert. Der geminderte Fahrkomfort ist einer. Speziell an der Vorderachse werden Querfugen, Kanaldeckel und andere "eckige" Straßenvorkommnisse durchgereicht. Und Bordsteine freuen sich auch über Bekanntschaft mit dem Übermaß an Aluminium. Auf der Habenseite steht dafür eine bislang nicht gekannte Agilität des Caddy. Selbst schnell gefahrene Autobahnkurven mit hohem Tempo werden mit stoischer Ruhe gemeistert und man meint nicht, in einem Hochdachkombi zu sitzen. In solchen Fahrsituationen lernt man auch, die mit einer Kunststoffabdeckung versehene Fußablage zu schätzen.
Fenster nicht zu öffnen
Ebenso schätzt wohl die Mehrzahl an Interessierten, dass der Einstieg in den Caddy besser kaum gelingen könnte. Hohe Türen lassen jeden erhobenen Hauptes einsteigen. Gute Öffnungswinkel und Rasterungen der Tür machen auch das Querparken einfach. Hinten schieben sich eh platzsparend die Schiebetüren auf. Hierbei muss nun nicht mehr der Türgiff in Gänze gezogen werden, im Türgriff wird nun eine Fläche gedrückt, diese entsperrt das Tor und LED-Leselampen leuchten sogleich den Weg im Dunkeln. Die Lese-Leuchten kommen in Kombination mit den LED-Lampen in der Heckklappe, die beim Bepacken erhellend wirken.
Die hinteren Sitze können 2/3 zu 1/3 aufgestellt werden und sind komplett entnehmbar – sofern bei der Doppelsitzbank zwei starke Personen ordentlich an den vorhandenen Griffen zerren. Immerhin passen dann in den Caddy 2.500 Liter Gepäck – oder eben "Wohnfläche" fürs Vanlife. Die Fenster lassen sich hinten übrigens nicht öffnen – gar nicht. Das ist gewöhnungsbedürftig.
Eingerichtet ist der Caddy sauber, ablagenreich und durchdacht und wer extra zahlt, bekommt hervorragende Ergonomie-Sitze. Die Materialien sind für die Fahrzeugklasse gut. Nimmt man den Preis als Grundlage, eher nicht. Zudem staubt das in Klavierlack gehaltene Cockpit über den Tag so ein, dass man abends wieder drüberwischen möchte – mit einem feinen Tuch, um Kratzer zu vermeiden.
VW Caddy TDI
BildergalerieEins für alle
Das Infotainmentsystem kennt man aus den Konzern-Derivaten der Kompaktklasse, lässt sich ebenso bedienen, was nach langem Üben mittlerweile meist klappt. Nach wie vor benötigt aber das System einige Gedenksekunden, um aufzuwachen, was in manchen Situationen nervt. Die Sprachbedienung tut dies ebenso. Googlemaps zur Navigation ist nach wie vor die einfachste, schnellste und oft beste Lösung. Gut gelöst ist dafür das Deaktivieren des Spurhalteassistenten, der sonst energisch eingreift. Druck auf den Blinkerhebel und "Ok-Bestätigung" mit dem rechten Daumen auf dem Lenkrad lösen die Kräfte.
122 PS ist das Maximum der Gefühle zurzeit. Diesen Top-TDI mit 320 Newtonmetern Drehmoment hatten wir im Testwagen, angebunden an das Sieben-Gang-DSG, das gut dazu passt, wenngleich die Schaltflächen hinter dem Lenkrad eine willkommene Ergänzung darstellen, um den Doppelkuppler ab und an zu überstimmen. Und was sich nach wenig liest, fühlt sich erstaunlich erwachsen an. Knapp 190 km/h sind in der Spitze drin. Den Spessart hinunter zeigte der Tacho 224 km/h an. Kein Scherz. Auch die Zwischenspurts zeugen von ausreichend Kraft und der Wunsch nach mehr Leistung und Kraft kommt kaum auf.
Nicht leise
Eher der Wunsch nach Ruhe. Wirklich leise ist der Diesel unter Last nicht und der große Innenraum wirkt als Resonanzkörper. Auch die Abrollgeräusche sind auf der Autobahn deutlich vernehmbar. Hier wird klar, dass auch der neueste Caddy doch ein Kastenwagen ist. Als Alternative zum schnellen Diesel gibt es noch zwei weitere TDI-Leistungsstufen mit 102 und 75 PS. Wer Benzin bevorzugt fährt mit 114 PS und dem 1.5 TSI. Zum Jahreswechsel kommt noch die CNG-Version, die aus Umwelt- und Kostenaspekten die sinnvollste Motorisierung für den Caddy darstellen wird.
Der TDI besitzt einen 50-Liter-Tank, der es bei behutsamer Fahrweise ermöglicht, 1.000 Kilometer am Stück abzurollen. Wer auch fahren möchte, landet eher bei sechs Litern. AdBlue benötigt der 1,7 Tonnen schwere Caddy auch. 15 Liter gehen rein, die könnten bis zum nächsten Ölwechsel ausreichen. Oder man hat einen Fünfliter-Auffüllbeutel an Bord. Das kostet jedoch Platz, der beim Vanlife knapp ist, selbst dann, wenn man im Grunde so viel Platz zur Verfügung hat, wie im neuen Caddy.