Von Max Friedhoff/SP-X
Der neue Honda Civic Type R ist kein typischer "Liebe auf den ersten Blick"-Kandidat. Schon der Vorgänger, der 2015 auf den Markt kam, war ein extrem auffällig gestaltetes Auto. Doch die 2017er-Generation setzt noch einen drauf: Der Spoiler am Heck wurde größer, die Schürzen wilder und das gesamte Auto breiter. Und dieser Auspuff: Drei Endrohre in zwei unterschiedlichen Größen ragen unter dem etwas unförmigen Heck hervor. Der neue Civic Type R erinnert mehr an die Rallye-Haudegen Mitsubishi Evo oder Subaru Impreza denn an einen Kompaktwagen im Golf-Segment.
Der Honda will auffallen, schließlich hat er die versammelte Konkurrenz im Kampf um die schnellste Rundenzeit eines frontangetriebenen Serienautos auf der Nordschleife des Nürburgrings hinter sich gelassen: 7:43,8 Minuten – rund 3,4 Sekunden schneller als der VW Golf Clubsport S und 6,8 Sekunden unter der Bestzeit des Vorgängers. Doch wo findet der neue Type R die wertvolle Zeit? Es sind viele Komponenten, die sich wie ein Puzzle zusammenfügen. Es gibt ein neues steiferes (plus 37 Prozent) und leichteres (minus 16 Kilogramm) Chassis, eine Doppellenker-Vorder- und eine Mehrlenker-Hinterachse sowie eine neue Doppelritzel-Lenkung. Diese Komponenten ergeben ein schärferes aber gleichzeitig stabileres Fahrgefühl als bei der vorigen Generation. Der Type R lenkt ein wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen und bleibt selbst bei heftigen Lastwechseln sehr stabil auf der Hinterachse. Trotzdem lässt sich das Heck mit leichtem Lupfen oder Linksbremsen in der Kurve zum Mitlenken überreden. Die Lenkung ist extrem direkt und nicht ganz frei von Leistungseinflüssen, baut einen angenehmen Widerstand bei sportlicher Kurvenfahrt auf und lässt sich sehr genau dosieren.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der besseren Gesamtperformance des Civic ist die Aerodynamik. Der Type R ist der einzige Kompaktsportler, der echten Abtrieb produziert – und das merkt man. Die Luft strömt über den großen Frontsplitter, die ausladenden Seitenschweller sowie den feststehenden Heckspoiler und drückt den Japaner bei hohem Tempo fest auf den Asphalt. Besonders in langen schnellen Kurven lässt sich die Magie der Aerodynamik erfahren. Und dort spielt einem sportlichen Fahrstil auch die Kombination aus dem Sperrdifferenzial an der Vorderachse und einem Torque-Vectoring-ähnlichen Stabilitätsprogramm mit Bremseingriff, welches das kurveninnere Rad am Durchdrehen hindert und die Kurvengeschwindigkeiten sehr hoch werden lässt, in die Karten.
Lässt Premiumhersteller zittern
Aus der Kurve heraus und auf der Geraden geht der neue Type R extrem gut vorwärts. Die 235 kW / 320 PS – zehn PS mehr als beim Vorgänger dank einer neuen Abgasanlage – und 400 Newtonmeter Drehmoment, die der Zweiliter-Turbo produziert, sind für ein Auto dieser Größe mehr als ausreichend. Selbst oberhalb von 180 km/h kann man die Beschleunigung noch spüren. Die Höchstgeschwindigkeit von 272 km/h lässt diverse M- oder RS-Modelle deutscher Premiumhersteller zittern. Lediglich der leicht auf 7,7 Liter gestiegene Normverbrauch ist zu bemängeln. Dabei kommt die größte Freude bei der Beschleunigungs-Orgie nicht von der schieren Motorleistung oder dem Sound des Vierzylinders (dieser ist nämlich kaum zu hören), sondern vom genialen Sechsgang-Schaltgetriebe. Der kurze Hebel mit dem knubbeligen Kopf lässt sich so schön durch die engen aber präzise abgesteckten Gassen schieben, dass einem jeder Schaltvorgang ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Dazu kommt die elektronische Zwischengas-Funktion, die selbst Rennstrecken-Anfänger akustisch zum Profi werden lässt: So gut schalten sonst nur die GT-Modelle von Porsche.
Zwar würden eine Doppelkupplung oder eine Automatik den Beschleunigungswert von 5,7 Sekunden auf Tempo 100 wohl verkürzen, dem Fahrspaß wäre das aber nicht sehr zuträglich. Ein weiterer Punkt, der für den neuen Type R spricht, ist die große Festsattelbremse, die sich hinter den gewaltigen 20-Zoll-Rädern (der Vorgänger trug noch 19-Zöller) verbirgt. Vier Kolben beißen sich an der Vorderachse in 35 Zentimeter große Scheiben und zeigen auch nach mehreren flott gefahrenen Rennstrecken-Runden keine Ermüdungserscheinungen.
Der größte Pluspunkt – im Vergleich zum ohnehin schon sehr sportlichen Vorgänger – ist allerdings das adaptive Fahrwerk, das nun erstmals auch einen "Komfort"-Modus bietet. Die breitere Spreizung der Dämpfer lässt einerseits einen noch sportlicheren "+R"-Modus und einen ausgewogenen "Sport"-Modus zu. Doch ein "Komfort"-Modus war Type-R-Fahrern bisher vorenthalten. Verlässt man nach einem anstrengenden Tag auf der Rennstrecke den Kurs und wechselt auf eine unebene Landstraße, macht der Civic dank der weichesten Dämpfereinstellung auch dort seine Sache richtig gut. Das Fahrwerk schluckt selbst derbe Stöße souverän herunter und macht den Type R so zum idealen Begleiter zur, auf und von der Rennstrecke.
Innenraum sehr gelungen
Ideal ist beim neuen Modell nun auch die Sitzposition. Das neue Chassis ermöglicht einen um fünf Zentimeter niedrigeren Hüftpunkt bei Fahrer und Beifahrer. Auf der tiefsten Einstellung fühlen sich selbst groß gewachsene Fahrer wohl. Ein Fakt, den die Konkurrenz von VW und Ford nicht für sich reklamieren kann. Generell ist der Innenraum sehr gelungen. Die roten Schalensitze bieten einen tollen Seitenhalt und sind ein echter Blickfang. Dazu gibt es rote Nähte, einen dunklen Himmel und schwarzen Suede-Stoff, der sich durch das gesamte Cockpit zieht. Das Lenkrad liegt gut in der Hand und ist weder zu klein noch zu groß. Lediglich das Infotainment-System ist nicht auf einem Level mit den aktuellsten Produkten aus dem VW-Konzern.
Am Ende kann der neue Civic Type R getrost als der aktuell beste Kompaktsportler auf dem Markt bezeichnet werden. Zwar lassen Optik (Geschmackssache) und Sound noch kleine Wünsche offen, der Fahrspaß und der Preis von rund 38.000 Euro sprechen für den Japaner.
Monotom