AUTOHAUS: Corona hat das Fahrzeuggeschäft empfindlich gestört. Wie fällt Ihre Rückblende auf das Autojahr 2020 aus?
Holger B. Santel: 2020 war für VW ein besonderes Jahr, nicht nur wegen Corona. Wir sind mit Vollgas in die Elektromobilität eingestiegen und haben mit dem ID.3 das erste auf der MEB-Plattform entwickelte Auto auf den Markt gebracht. Damit konnten wir auf Anhieb einen Anteil von 23,8 Prozent im deutschen BEV-Markt erzielen – ein bemerkenswertes Ergebnis. Wir liegen hier deutlich über unserem Marktanteil im Verbrenner-Geschäft. Ebenfalls positiv war der sehr starke Jahresendspurt, der Dezember 2020 war der stärkste in der Geschichte der deutschen VW-Vertriebsorganisation.
AH: Die Branche steckt aktuell im zweiten Lockdown fest. Wie ist VW ins neue Jahr gestartet?
H. B. Santel: Wir spüren aktuell eine zurückhaltende Nachfrage, ganz besonders im Privatkundengeschäft. Bei den ID-Modellen ist die Entwicklung weiter sehr positiv mit einem Marktanteil im BEV-Bereich von rund 27 Prozent in den ersten beiden Monaten. Kumuliert über alle Antriebsarten liegt die Marke Volkswagen in den ersten beiden Monaten 2021 bei 20,4 Prozent Marktanteil. Den Trend wollen wir fortsetzen. Wir hoffen, dass sich das Fahrzeuggeschäft im zweiten Quartal wieder normalisieren wird. Die jüngsten Lockerungen stimmen mich zuversichtlich. Wir werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass die Händler ihre Showräume wieder öffnen können.
AH: Welche Perspektiven sehen Sie für das Gesamtjahr 2021?
H. B. Santel: Wir erwarten auf jeden Fall eine Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr. Dafür sprechen ein hoher Auftragsbestand und eine deutlich verjüngte Modellpalette. 2021 werden wir nicht nur von der vollen Verfügbarkeit des Golf und seiner Derivate profitieren, sondern auch von den Aufwertungen bei Tiguan und Arteon inklusive des neuen Shooting Brake. Zum ID.3 gesellt sich Ende März der ID.4. Ein deutlicher Fingerzeig im Markt ist auch die jüngst erfolgte Preiserhöhung, bei der CO2-günstige Modelle und Aggregate weniger belastet werden als die höher emittierenden Produkte.
AH: VW hat im Februar erneut ein Corona-Programm für den Handel aufgelegt. Welche Bestandteile hat das Paket?
H. B. Santel: Das neue Programm ist unser Verständnis eines partnerschaftlichen Miteinanders. Es ist in enger Abstimmung mit dem Partnerverband entstanden und unterstützt in nahezu allen Geschäftsbereichen. Dazu gehören beschleunigte Prämienauszahlungen, die Unterstützung beim Abverkauf von Lagerfahrzeugen, die Fortführung des Flat-Bonus, attraktive Konditionen für Neu- und Gebrauchtwagen sowie zusätzliche Werbekostenzuschüsse. Hinzu kommt, dass wir die Überprüfung der Standards vor Ort weiterhin aussetzen und Online-Kanäle im Außendienst und in der Betreuung der Partner stärker nutzen. Das zeigt, dass wir das Leitmotiv "We act as one" in unserer Organisation wirklich leben.
AH: Kann man damit rechnen, dass die Autohäuser das zweite Corona-Jahr ähnlich gut meistern wie 2020?
H. B. Santel: Stand heute gehe ich davon aus. Wir werden diese schwierige Phase gemeinsam durchstehen. Mein Anliegen ist, sich weiterhin deutlich für die Wiedereröffnung der Autohäuser einzusetzen. Hier gilt es auch die Branchenverbände VDA und ZDK tatkräftig zu unterstützen. Ich bin überzeugt: Der Autohandel hat wirklich gute Hygienekonzepte entwickelt.
AH: 2020 konnte der Eindruck entstehen, dass VW weniger den Vertrieb und mehr die Kostensenkung im Blick hatte. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie das Geschäft jetzt beleben?
H. B. Santel: Die volle Konzentration liegt auf der Einführung des Weltmodells ID.4 am letzten März-Wochenende. Für das erste vollelektrische SUV von VW haben wir eine ganz starke Kampagne entwickelt. Außerdem stellen wir weitere attraktive Produkte in den Fokus. Dazu zählt auch das T-Roc Cabrio, dessen Start 2020 durch den ersten Lockdown gelitten hat. Parallel wollen wir Themen im digitalen Umfeld forcieren, etwa den Kanal YouTube auf dem deutschen Markt besser bespielen. Das Ziel ist, unsere Partner hinsichtlich Branding und Kundeninformation stärker zu unterstützen.
VW ID.4 (2021)
BildergalerieAH: Wie lauten Ihre Erwartungen für den ID.4?
H. B. Santel: Wie bereits angekündigt, wollen wir in diesem Jahr weltweit rund 150.000 Einheiten ausliefern. An dem Volumen wird Deutschland einen ordentlichen Anteil haben. Allein im Februar sind schon 2.000 Aufträge für den ID.4 eingegangen. Das ist überraschend viel für ein Auto, für das es noch keine Kommunikation im Handel gegeben hat und das noch nicht offiziell eingeführt ist. Insofern sind wir sehr optimistisch, dass der ID.4 vom Markt sehr gut aufgenommen werden wird. Im weiteren Jahresverlauf folgen weitere Highlights, darunter die Vierrad-Variante ID.4 GTX, und später der ID.5. Und zum 45. Geburtstag des Golf GTI bringen wir gerade das Jubiläumsmodell Golf GTI Clubsport 45.
AH: Hat VW die Software-Probleme bei Golf 8 und ID.3 mittlerweile im Griff?
H. B. Santel: Mit der völlig neuen Software-Architektur hat VW Neuland betreten. Wir haben auf einem weißen Blatt Papier begonnen und grundlegend Neues entwickelt. Das bedeutete auch eine steile Lernkurve für uns. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der neuen Software-Architektur meistern, entsprechende Lösungen stehen nun zur Verfügung. Derzeit wird der Golf 8 im Handel geflasht, mehr als ein Viertel der Fahrzeuge sind schon abgearbeitet. Auch ID.3 und ID.4 werden seit Anfang März auf den neuesten Software-Stand 2.1 gesetzt. Das Update macht die Software stabiler und bietet zusätzlich Optimierungen bei Fahrerassistenzsystemen, Entertainment sowie Warn- und Komfortanzeigen. Ab Sommer starten wir dann die Over-the-Air-Updates. Das kann kein anderer Volumenhersteller! Damit können wir das Auto über den kompletten Lebenszyklus aktuell halten.
AH: Gestoppte Bänder, zusammengebrochene Logistikketten, fehlende Teile: Die Liefertreue hat im ersten Lockdown stark gelitten. Wie ist der gegenwärtige Stand?
H. B. Santel: Das war definitiv nicht die Liefertreue, die die Händler und Kunden von uns erwarten dürfen - aber es war auch eine absolute Ausnahmesituation. Aber die Situation hat sich deutlich gebessert. Seit November sind wir wieder auf einem ordentlichen Niveau unterwegs.
AH: Die üppigen Fördermittel haben die E-Mobilität in Deutschland kräftig angeschoben. Ist das der endgültige Durchbruch?
H. B. Santel: Ja, der Siegeszug der Elektromobilität wird anhalten. Das Thema sorgt für unglaublich viele Nachfragen im Handel. Die Kunden zeigen großes Interesse, den "Way to zero"-Weg von Volkswagen, bis 2050 bilanziell CO2-neutral zu werden, mitzugehen. Zugleich sind wir darauf angewiesen, dass die Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum weiter ausgebaut wird.
AH: Was kann VW beim Thema Laden bewegen?
H. B. Santel: Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial. Wir sind beispielsweise noch nicht in der Lage, alle Systeme an allen Stationen mit einer einzigen Ladekarte anzubinden. Mit der Marke Elli und der Beteiligung am Schnellladenetz Ionity hat VW aber das Ruder selbst in die Hand genommen. Zudem schaffen wir bei all unseren Händlern in Deutschland und den Werken öffentlich zugängliche Ladepunkte.
AH: Im deutschen Elektroauto-Markt wird VW dem Anspruch des Marktführers bereits gerecht. Wie hoch wird der Anteil der BEV-und PHEV-Modelle am Gesamtvolumen der Marke 2021?
H. B. Santel: Ich gehe davon aus, dass die Autos mit Stecker die 20 Prozent erreichen werden.
AH: Mit dem ID.3 hat VW die unechte Agentur eingeführt. Wie sind die Reaktionen des Handels auf das neue Vertriebsmodell? Und wie geht es weiter?
H. B. Santel: Im Handel kommt die Agentur gut an. Auch wir sind sehr zufrieden mit der Einführung. Nun gilt es die IT-Architektur im Hintergrund weiter zu verbessern und zu vereinfachen, Schlagwort Verkäuferarbeitsplatz. Wir wollen die Online-Kanäle weiter ausbauen. Das machen wir in enger Abstimmung mit dem Partnerverband.
AH: Welchen Vorteil hat Volkswagen vom Agenturmodell?
H. B. Santel: Nutzungs- und Kaufverhalten unser Kunden haben sich in den letzten Jahren – und speziell seit Corona – sehr stark verändert. Die Agentur gibt uns die Möglichkeit, den Online-Vertrieb auf- und auszubauen. Nur in diesem System haben wir die Chance, die Preishoheit im Markt zu behalten. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn man Offline- und Online-Vertrieb parallel miteinander laufen lassen möchte. Wir sind zu allen Themen in enger Abstimmung mit Händlerverband und werden die starke Rolle des Handels gemeinsam gestalten und weiterentwickeln.
AH: Sie sind der oberste VW-Verkäufer in Deutschland. Wie gelingt es Ihnen, in der Agentur Druck in die Pipeline bringen?
H. B. Santel: Es ist eine andere Art des Verkaufens. Wir haben in der Agentur nicht das klassische Push-Prinzip, sondern eher einen Pull-Effekt. Wir müssen die Nachfrage also generieren. Das ist in der derzeitigen Situation mit immer digital-affineren Kunden aber der richtige Weg, um unsere neuen E-Modelle zu vertreiben.
AH: Braucht es im VW-Vertrieb nicht grundsätzlich ein neues System für alle Fahrzeuge – Stichwort "one face to the customer?
H. B. Santel: Das mag in Zukunft so sein. Aktuell fahren wir mit der Zweiteilung gut. Dadurch, dass wir die "Neue Mobilität" in der Privatkundenagentur vermarkten, können wir die digitalen Themen stärker und schneller spielen. Richtig ist, dass wir mit der steigenden Digitalisierung des Verkaufsprozesses auch das Verbrenner-Geschäft einbringen müssen. Mittlerweile sieht auch der Handel einen Mehrwert darin, gemeinsam vor Kunde aufzutreten – off- wie online. Damit können wir noch erfolgreicher sein. Wir müssen uns in die Lage versetzen, dass sowohl die Hersteller- als auch die Händler- bzw. Verkäufer-Seite die gleichen Informationen teilen.
AH: Das Restwertrisiko bei den E-Mobilen liegt komplett bei VW. Wie sehen Sie die Entwicklung?
H. B. Santel: Zusammen mit unserem Partner, der FSAG, sind wir sehr nah am Markt und beobachten die Entwicklung genau. Die Nachfrage nach Autos mit Stecker ist nach wie vor hoch. Wir sehen deshalb noch keine Notwendigkeit, Anpassungen vorzunehmen.
AH: Wegen Corona fehlen Fahrzeuge im Markt. Könnten junge Gebrauchte perspektivisch knapp werden?
H. B. Santel: VW hat wegen eines starken Werksangehörigen-Leasings einen recht hohen Zulauf an jungen Gebrauchtwagen. Die sogenannte VDV3-Ware lief auch im vergangenen Jahr hervorragend. Dieses Geschäft ist ein wichtiges Steuerungsinstrument.
AH: Die Nachfrage nach Serviceleistungen ist in Zeiten von Corona relativ konstant geblieben. Was macht VW, um das Aftersales-Geschäft stabil zu halten?
H. B. Santel: Zunächst gehe ich davon aus, dass nach dem Ende der Pandemie die Fahrleistungen wieder ansteigen werden. Die Reparaturen und Werkstattaufenthalte, die während des Lockdowns aufgeschoben wurden, werden nachgeholt. Ich sehe auch einen Trend zu Urlaubsreisen in Deutschland, wir haben dazu 2020 eine erfolgreiche Kampagne für das Zubehörgeschäft gefahren. Durch das veränderte Mobilitätsverhalten ergeben sich also auch neue Chancen. Mittel- und langfristig wird es wichtig sein, den Markt gemeinsam mit dem Handel noch besser auszuschöpfen. Das Segment 2 und 3 bietet aus meiner Sicht weiterhin großes Wachstumspotenzial. Die Partner, die an unserem Economy Service-Programm teilnehmen, erzielen sehr große Erfolge. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, die die Kunden loyalisieren und über die Garantiephase hinaus in den Werkstätten halten.
AH: Wie kommt VW beim Trend Auto-Abo voran?
H. B. Santel: Das Auto-Abo ist eigentlich ein Full-Service-Leasing mit sehr kurzer Laufzeit. Wie groß dieser Markt letztendlich werden wird, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Wir evaluieren das Thema mit der FSAG und bereiten uns darauf vor, das Angebot im Markt zu testen.
AH: Ab Sommer sollen VW-Kunden die Möglichkeit haben, den kompletten Kaufprozess der ID.-Familie, von der Konfiguration bis zum Abschluss eines Leasingvertrages, online zu durchlaufen. Wo bleibt da der Handel?
H. B. Santel: Der Handel ist und bleibt unser Gesicht zum Kunden und wird weiterhin die zentrale Rolle in unseren Verkaufsprozessen spielen. Wir brauchen unbedingt die Kundennähe und die lokale Präsenz. Der Online-Kauf soll es den Kunden einfach und komfortabel machen und dem sich stark veränderten Kaufverhalten Rechnung tragen. So hoffen wir auch, neue, online-affine Kundengruppen zu erreichen. Der Online-Kauf soll und kann aber nicht den Handel ersetzen. Dieses Geschäft wird zudem vertragsrechtlich auch von der Agentur abgewickelt. Das bedeutet: Der Händler bleibt integraler Bestandteil des Prozesses und erhält für jeden Online-Verkauf eine Vermittlungsprovision. Je mehr Kunden ein Fahrzeug bestellen - egal ob online oder vor Ort - desto besser auch für den Händler.
AH: Für den gleichen Zeitraum ist ein gemeinsamer Marktplatz von Hersteller und Händlern für Neu- und Gebrauchtwagen geplant. Welche Vorteile hat der Handel davon und wie sieht das Vergütungsmodell dafür aus?
H. B. Santel: Das ist ein großer Vorteil für die Händler und unserer Meinung nach eine sehr wichtige Unterstützung beim Thema E-Commerce. Wir bieten auf volkwagen.de ab Sommer einen Marktplatz für Händler, um ihre Neu- und Gebrauchtwagen online auch überregional vermarkten zu können - inklusive Online-Leasing & Finanzierungsantrag mit Bonitätsprüfung. Kunden können dort aus einem breiten Angebot auswählen und ihr Fahrzeug vom Handel online kaufen. Auch hier wollen wir zügig weitere Finanzdienstleistungen und Zahlungsmöglichkeiten online anbieten.
AH: Gibt es schon eine Lösung beim Streitthema Compliance-Regeln im Handel?
H. B. Santel: Ein Unternehmen kann nur erfolgreich sein, wenn es sich integer verhält, Recht und Gesetz einhält. Wie man die Vorgaben konkret umsetzt, darüber tauschen wir uns intensiv mit dem Partnerverband aus. Klar ist: Auch als selbstständige Unternehmer müssen sich unsere Vertriebs- und Servicepartner an Recht und Gesetz halten. Und VW erwartet, dass die Compliance-Anforderungen auch in den Betrieben umgesetzt werden. Deshalb unterstützen wir die Autohäuser unter anderem mit Basisschulungen dabei, Compliance-Strukturen zu etablieren.
Herr Santel, herzlichen Dank für das Gespräch!
Andreas V.