Volkswagen kämpft weiter mit dem massiven Flurschaden der Abgas-Affäre und muss zugleich den tiefgreifenden Umbruch in der Branche stemmen. Der milliardenteure Skandal um weltweit rund elf Millionen manipulierte Fahrzeuge wird noch länger aufgearbeitet. Doch parallel dazu will Europas größter Autobauer seine Zukunft bei wichtigen Themen wie Elektromobilität, Digitalisierung und neuen Dienstleistungen sichern.
Die VW-Kernmarke hat im Schlussquartal im operativen Geschäft rote Zahlen geschrieben. Auch ohne die milliardenschweren Rückstellungen für die Folgen des Abgas-Skandals verbuchte die Marke mit dem VW-Logo einen Verlust von 127 Millionen Euro vor Zinsen und Steuern. Im Jahr zuvor hatte die Marke operativ noch 780 Millionen Euro verdient. Neben der Marktschwäche in Brasilien und Russland konnte die Marke mit Modellen wie dem Golf und dem Passat negative Einflüsse aus "marktbezogenen Fördermaßnahmen infolge der Abgasthematik" nicht ausgleichen. Der letzte Verlust der Kernmarke liegt Jahre zurück.
Zur Bewältigung der weltweiten Abgas-Krise schließt Konzernchef Matthias Müller Verkäufe einzelner Konzernmarken derzeit aus. "Zwölf Marken sind keine Schwäche, sondern eine Stärke. Wir befassen uns mit dieser Frage gegenwärtig nicht", sagte der VW-Chef am Donnerstag bei der Bilanzvorlage in Wolfsburg auf die Frage eines Journalisten zu Spekulationen über Verkaufsabsichten bei der Truck-Holding mit MAN und Scania. "Ich halte dies für ein Gerücht." Wegen der Abgas-Krise hatte VW schon einen Finanzpuffer von 16,2 Milliarden Euro gebildet, der 2015 unterm Strich einen Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro brachte. "Ob da weitere Beträge dazu kommen, wissen wir nicht."
China bleibt wichtige Stütze
Eine nach wie vor wichtige Stütze für den Konzern ist das China-Geschäft. Im Reich der Mitte strich VW auch 2015 wieder gut fünf Milliarden Euro ein. Auf dem wichtigsten Markt stieg das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) sogar noch einmal minimal und erreichte 5,21 Milliarden Euro (2014: 5,18 Milliarden Euro). "Wir tun alles, um unsere Position in China in einem immer härteren Wettbewerb zu behaupten", sagte Müller.
In naher Zukunft rechnet der VW-Chef nicht mit Problemen in dem wichtigen Absatzmarkt: "Quer durch die Weltwirtschaft grassierte die Sorge vor einer möglicherweise deutlich nachlassenden konjunkturellen Dynamik dort." So gravierend ein solches Szenario für die Automobilindustrie wäre, aus Sicht von Volkswagen sei es "eher unwahrscheinlich".
Den Großaktionär Katar will VW auch über den Aufsichtsrat hinaus stärker in die Arbeit des Konzerns einbinden. "Es wird in Zukunft zu einer engeren Zusammenarbeit kommen, in verschiedenen Bereichen", kündigte Müller an. "Wir sind über Präsidiumsthemen hinaus in sehr konstruktiven Fragestellungen und Themen". Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gibt es konkrete Überlegungen im VW-Aufsichtsrat, das übergeordnete Präsidium von sechs auf acht Mitglieder aufzustocken. In dem dann vergrößerten Spitzengremium der Kontrolleure würde Katar erstmals einen eigenen Sitz erhalten. Den zweiten zusätzlichen Platz in dem paritätisch besetzten Präsidium müsste ein Vertreter der Arbeitnehmerseite übernehmen. "Also, von Aufstocken ist mir jetzt nichts bekannt", sagte Müller. Er begrüße das Engagement von Katar bei VW sehr. Der Wüstenstaat hält über seine Investmentgesellschaft 17 Prozent der VW-Stammaktien.
Weniger Investitionen - neue Mobilitätstochter
Müller erklärte, VW müsse trotz der angespannten Finanzlage bei den Umwälzungen der Autoindustrie vorn mitspielen: "Das Auto der Zukunft ist effizienter, intelligenter, komfortabler und sicherer als jemals zuvor. Es fährt elektrisch und in einigen Jahren auch autonom." Finanzchef Frank Witter räumte ein, dies sei eine herausfordernde Strategie: "Wir sehen steigenden Bedarf in Investitionen in neue Antriebs- und Mobilitätskonzepte, Urbanisierung und Digitalisierung. Gleichzeitig sehen wir aber auch die Notwendigkeit, die Investitionen nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zum Umsatz zu senken." Zur Kompensation müssten mögliche Synergien zwischen den zwölf Marken des Konzerns "noch besser" genutzt werden.
Das Tempo im Zukunftsfeld Mobilitätsdienstleistungen soll allerdings erhöht werden - und dafür "in Kürze ein rechtlich eigenständiges, konzernübergreifendes Tochterunternehmen entstehen. Unter Mobilitätsdienstleistungen verstehen Autokonzerne meist das Geschäft rund ums Auto, zum Beispiel mit speziellen Smartphone-Apps oder Carsharing-Angeboten. Bei VW soll dieser Bereich bis 2025 einen "substanziellen Teil" des Umsatzes ausmachen. VW will sich außerdem mehr für Partnerschaften und strategische Beteiligungen öffnen. "Die Zeiten, in denen unsere Branche sich abgeschottet hat, gehören endgültig der Vergangenheit an", sagte Müller. "Berührungsängste, Alleingänge oder die Illusion, alles besser zu wissen und zu können, werden nicht ans Ziel führen." Eine Zusammenarbeit mit den Internet-Riesen Apple und Google ist indes nicht geplant. "Wir unterhalten uns nicht mit Apple und Google", sagte Müller. Mit welchen Firmen nun im Einzelnen Partnerschaften geplant sind, wollte der VW-Chef nicht sagen.
Entschuldigung bei Obama - Milliardenkosten in USA
Bereits am vergangenen Wochenende hatte sich Müller persönlich bei US-Präsident Barack Obama in Hannover für den Diesel-Skandal entschuldigt. "Ich hatte knapp zwei Minuten für das Gespräch und habe mich für den Vorfall als solches entschuldigt." In dem Gespräch habe er Obama zudem darauf hingewiesen, dass er auch im Interesse der Mitarbeiter und ihrer Familien alles für eine Lösung tun werde. "Ich habe darum gebeten, dass Amerika uns eine Brücke baut. Konkreter wurde es nicht."
Generell seien die Gespräche am Rande des Deutschlandbesuches von Obama am vergangenen Wochenende "ähnlich" konstruktiv verlaufen wie bereits bei Müllers USA-Reise Anfang des Jahres. Dies gelte auch für die Gespräche mit der amerikanischen Handelsministerin Penny Pritzker. "Wir können mit Zuversicht in die weiteren Gespräche gehen."
Im Ringen um eine Einigung mit den US-Behörden rechnet VW mit Milliardenkosten für "grüne" Projekte in den Vereinigten Staaten. Dafür veranschlagt der Konzern rund 1,8 Milliarden Euro. Bei dem Budget gehe es um "mögliche Investitionen in Umweltprojekte und die Elektromobilität", heißt es im Geschäftsbericht. "Inhalt sowie zeitliche Verteilung der Investitionen sind derzeit noch unbestimmt." Zuletzt hatte es Spekulationen gegeben, dass VW in den USA Geld in ein Stromtankstellennetz für die E-Mobilität stecken könnte. Die Wolfsburger kämpfen derzeit für einen Kompromiss mit Klägern und Aufsehern in den USA, wo der Abgas-Skandal begann und Milliardenkosten für mögliche Strafen und Schadenersatz drohen.
In Deutschland und Europa soll es Entschädigungen im gleichen Umfang wie in den USA nicht geben. Es werde keine eins zu eins Übertragung der Lösung geben, die in den USA diskutiert werde, sagte Müller. Unbestätigten Berichten zufolge ist in den Vereinigten Staaten eine Zahlung von bis zu 5.000 Euro für jeden Besitzer eines betroffenen Diesel im Gespräch. Bereits in der vergangenen Woche hatte VW mitgeteilt, "die sich nun abzeichnenden Regelungen in den USA werden in Verfahren außerhalb der USA keine rechtlichen Wirkungen entfalten."
Abgaskrise kostet Winterkorn Millionen
Die üppigen Gehälter der VW-Vorstände sind infolge von "Dieselgate" für 2015 deutlich geringer ausgefallen als zuvor. Im Geschäftsbericht stehen Gesamtbezüge von mehr als 60 Millionen Euro - die aktuellen Vorstände hatten sich bereiterklärt, einen Teil des Anspruchs auf die umstrittenen Bonuszahlungen diesmal zurückzustellen. Etwa 30 Prozent der variablen Vergütung werden in Aktien umgewandelt und geparkt.
Ex-Chef Martin Winterkorn muss finanziell deutlich Federn lassen. Der Ende September 2015 zurückgetretene Manager, dessen Vertrag aber noch bis Ende 2016 weiterläuft, erhält für das vorige Jahr 7,3 Millionen Euro. 2014 hatte Winterkorn noch fast 16 Millionen Euro kassiert und war mit Abstand höchstbezahlter Manager aller Dax-Konzerne gewesen.
Das Gehaltsminus liegt vor allem an der gesunkenen mehrjährigen variablen Vergütung, die ein Teil des Vorstands-Salärs ist. Neuer Spitzenverdiener im Volkswagen-Vorstand ist nun der Chef der schweren Nutzfahrzeuge, Andreas Renschler, mit fast 15 Millionen Euro. Er war im Winter 2015 von Daimler in den VW-Konzern gewechselt.
Müller kritisierte die Debatte über die Vorstands-Boni: "Ich verstehe die öffentliche Diskussion - ich verstehe nicht, dass die Diskussion in die Öffentlichkeit getragen wurde." Der niedersächsische Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) etwa hatte den Vorstand mehrfach zu einem Bonusverzicht aufgefordert. Müller sagte aber, es gebe keine Kluft zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. (dpa)
Die VW-Bilanz 2015 im Überblick:
- Umsatz: 213,292 Milliarden Euro (plus 5,4 Prozent zum Vorjahr)
- Absatz: 10.009.605 Fahrzeuge (minus 2,0 Prozent)
- Verlust/Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit): minus 4,069 Milliarden Euro (Vorjahr: plus 12,697 Milliarden Euro)
- Verlust/Gewinn unterm Strich (Ergebnisanteil, der auf die Aktionäre der Volkswagen AG entfällt): minus 1,582 Milliarden Euro (Vorjahr: plus 10,847 Milliarden Euro)
- Mitarbeiter (zum Stichtag 31. Dezember): 610.076 (plus 3,0 Prozent)
Hubert
D.Buschhorn
Uwe
ahelm
Rudi S.