Von Peter Weißenberg/SP-X
Was für ein Tag: Fünf Uhr aufstehen, drei Espresso, 120 Kilometer fahren, ab ins Meeting. Nichts gegessen. Riesenärger im Büro. Abends schnell zwei Bier und einen Kurzen gekippt, drei Schokoriegel verputzt. Jetzt rasch ins Auto und heim. "Stopp", sagt die sanfte Stimme aus dem Autohimmel. “Du hast zu viel getrunken, bist gestresst, Dein Blutzuckerspiegel ist zu hoch. Nimm ein Taxi.”
So könnte schon in wenigen Jahren der Horrortag zu Ende gehen: Ohne Auto, aber auch ohne Verkehrsgefährdung für sich und andere. Die Technik dafür will Volvo bald ins Auto bringen. Der schwedische Autohersteller hat jetzt seine Vorstellungen zur Sicherheitstechnik der Zukunft im Detail vorgestellt. Und das automatisch Ein- oder gar Ausbremsen unsicherer Fahrer ist dabei ein wesentlicher Punkt.
"Wir glauben, dass Automobilhersteller die Pflicht haben könnten, Technik zu installieren, die das Verhalten der Fahrer positiv verändert", sagt Firmenchef Hakan Samuelsson. Mit dem Einbremsen legt der Hersteller darum jetzt richtig los: Ab Modelljahr 2021 werden alle neuen Fahrzeuge serienmäßig mit einem sogenannten "Care Key" ausgestattet. Der Besitzer kann den signalorangen Schlüssel so programmieren, dass der Fahrer damit nur eine voreingestellte Höchstgeschwindigkeit fahren kann – also etwa maximal 120 hm/h. Samuelsson: "Viele wollen ihr Auto mit Freunden und Familienmitgliedern teilen." Aber wie fahren die Kumpel? Unsicher? Zu schnell? Der Care Key soll für die Kontrolle sorgen – genau wie die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf 180 km/h, die Volvo ab Mitte nächsten Jahres allen Neuwagen-Käufern vorschreibt (wir berichteten).
Das Beispiel vom Anfang zeigt aber, dass die Pläne noch sehr viel weitergehen. Auch Tempo 60 kann ja schließlich viel zu schnell sein – vor dem Kindergarten, bei einem Unwetter, wenn der Fahrer am Handy fummelt oder einen Joint intus hat. In den USA etwa waren 2017 fast ein Drittel aller Verkehrstoten auf das Fahren unter Alkohol- und Drogeneinfluss zurückzuführen. In Deutschland stand bei fast 40.000 von 2,6 Millionen Unfällen mindestens ein Beteiligter unter dem Einfluss berauschender Mittel. Mit Kameras und anderen Sensoren im Fahrzeug will Volvo solchen Problemen begegnen.
Unter ständiger Beobachtung
Am Steuer ist der Fahrer dann künftig nie mehr allein: Die Technik beobachtet permanent seinen Zustand und greift notfalls ein, falls er nicht auf Warnsignale reagiert und Unfälle mit ernsthaften Folgen drohen. Länger fehlende Lenkbewegungen, geschlossene Augen oder dauerhaft von der Straße abschweifende Blicke, Schlangenlinienfahren oder superlahme Reaktionszeiten: Das sind die Signale für das Messsystem. Der Computer reduziert dann von selbst die Geschwindigkeit, die Einsatzzentrale meldet sich per eCall oder "bremst und parkt im letzten Schritt sogar das Fahrzeug ab", so Henrik Green, Forschungschef bei Volvo.
Die Technik ist im Prinzip nicht neu. Auch VW etwa hat schon Systeme präsentiert, die das Fahrzeug zum sicheren Halt am Straßenrand bringen, wenn der Fahrer etwa nach einem Herzinfarkt nicht mehr agieren kann. Und Schlüssel mit eingebautem Alko-Tester oder Geschwindigkeits-Bremse gab es anderswo auch schon. Aber Volvo will noch weiter gehen. Daten aus dem GPS etwa könnten am Kindergarten automatisch verhindern, dass der Fahrer schneller als 30 fährt. Bei unsicherem Verhalten oder Ablenkung wird es langsamer – oder fährt erst gar nicht los, wenn der Alkoholspiegel zu hoch ist. Das können Kameras etwa an den Pupillen erkennen.
Die Einführung solcher Kameras zur Kontrolle der Mimik und Gestik startet bei Volvo schon Anfang der 2020er Jahre mit der nächsten Generation seiner SPA2 Produkt-Plattform. Wie viele Kameras es im Inneren gibt und wo sie sitzen, das wollen die Schweden erst später bekannt geben. Je nach Land und Rechtslage etwa könnte es da unterschiedliche Anordnungen geben.
In China etwa ist bei Neuwagen vieler dort heimischer Hersteller die Innenraumkamera schon ein gewohnter Begleiter – und ein beliebter. Bei Nio oder Byton etwa erkennt das System den Fahrer, begrüßt ihn und stellt Radiosender, Sitze oder Lenkrad auf ihn ein. In Shanghai hat Volvo seine Kamerasysteme auch schon intensiv getestet. Abbremsen oder Aussperren gibt es auch im Reich der Mitte zwar noch nicht. Aber der autoritäre Staat schreitet auch an anderer Stelle schon ein, wenn seine Bürger in den Datensystemen negativ auffallen.
Volvo will auch wegen ethischer oder Datenschutz-Fragen gern mit anderen Herstellern gemeinsam die aktiven Überwachungs- und Sicherheitssysteme vorantreiben. "Wir wollen eine Diskussion in der Branche über diese Technik und ihre Vorteile", sagt Samuelsson. Seine Vision ist dabei klar – die Null muss stehen: Wenn bis zum Jahr 2020 niemand mehr in einem neuen Volvo sein Leben verlieren oder schwer verletzt werden soll, müssen wohl die schlechten Fahrer ausgesiebt oder abgebremst werden.
Pädagogische Bremse
Fragt sich nur, ob der Kunde das auch will. Eine Aussicht dürfte ihm den Big Brother auf dem Beifahrersitz allerdings schmackhaft machen: "Wenn die Technik zu einem besseren Fahrverhalten beiträgt und den Fahrer aus kritischen Situationen heraushält, sind niedrigere Versicherungsprämien nur logisch", so Samuelsson. Volvo redet dazu bereits mit Anbietern über solche Boni. Erste Telematik-Tarife machen das Fahren ja bereits auch in Deutschland für Autobesitzer billiger, wenn sie ihr Fahrverhalten überwachen lassen.
Der Volvo-Vorstoß könnte so im Umkehrschluss auch andere Marken einbremsen, die bisher noch möglichst freie Fahrt für ihre Kunden propagieren. Wenn nämlich die Tarife für künstlich eingebremste Autos a la Volvo sinken, werden im Gegenzug ungeregelte Autos mit höheren Unfallzahlen langfristig immer teurer zu versichern sein – und die Kunden vielleicht nach solchen Systemen rufen. Die pädagogische Bremse über den Versicherungspreis, sie könnte dann den Straßenverkehr entschleunigen.