Von Günter Weigel/SP-X
Sie sind seit über zehn Jahren Präsident des VDA. Für die Automobilindustrie war dies, angefangen von der Finanzkrise 2008 über den Start der E-Mobilität bis zuletzt zum Dieselgate, eine extrem spannende Zeit. Wie fällt Ihr Resümee aus?
Matthias Wissmann: Die Bilanz ist durchaus positiv. Mit 16,4 Millionen Pkw produzierte die deutsche Automobilindustrie 2017 über 50 Prozent mehr Autos als vor zehn Jahren. Gut ein Drittel lief in Deutschland von den Bändern. Gegenüber 2007 haben wir die Inlandsproduktion stabil gehalten und die Auslandsproduktion mehr als verdoppelt. Zudem sind wir sehr exportstark. Dadurch konnte am Standort Deutschland weiterhin ein hoher Beschäftigungsstand gesichert werden.
Unsere Hersteller und Zulieferer beschäftigen in Deutschland 818.000 Mitarbeiter – ein Plus von 11.000 Arbeitsplätzen gegenüber dem Vorjahr und der höchste Stand seit 26 Jahren. In Frankreich oder Italien hingegen gab es seit 2007 deutliche Produktionsrückgänge. Das zeigt: Nur wer weltweit gut aufgestellt ist, ist auch im Inland stabil. Ein weiterer Pfeiler unseres Erfolges ist die hohe Innovationsgeschwindigkeit.
Glauben Sie, dass die derzeitigen Probleme des Diesels mittelfristig für dessen "Aus" sorgen werden, oder wird der Selbstzünder in Europa noch einmal zu alter Bedeutung zurückfinden?
M. Wissmann: Bosch-Chef Denner hat es kürzlich so ausgedrückt: "Die Diskussion um den Diesel wird zu sehr emotional und zu wenig mit Fakten geführt." Diese Auffassung teilt die gesamte deutsche Automobilindustrie, wir brauchen eine Versachlichung. Denn der moderne Diesel hat auch auf der Straße sehr geringe NOx-Emissionen, zudem ist er sehr sparsam im Verbrauch. Der Diesel ist notwendig, um die ambitionierten CO2-Ziele der EU im Jahr 2021 zu erreichen. Wenn die Menschen nicht mehr durch die Fahrverbotsdebatte verunsichert werden, könnte der Dieselanteil durchaus wieder steigen.
Was müssen die Hersteller Ihrer Meinung nach tun, um verloren gegangenes Vertrauen bei den Kunden zurückzugewinnen?
M. Wissmann: Wir sollten nicht verallgemeinern. Dort, wo Fehler gemacht wurden, haben die Unternehmen konsequent umgesteuert und gehandelt. Jetzt geht es darum, eine Generalkritik am Diesel abzuwehren. Industrie, Bund, Länder und Kommunen arbeiten intensiv daran, gemeinsam die Luftqualität in Städten weiter zu verbessern. Die Maßnahmen des Dieselgipfels – Software-Updates, Umstiegsprämie, Fonds – werden ihre Wirkung entfalten.
Zum Faktencheck gehört auch der Hinweis, dass die Luft in unseren Städten heute besser ist denn je. Die verkehrsbedingten Stickoxidemissionen sind im Zeitraum 1990 bis 2015 laut Umweltbundesamt um 70 Prozent zurückgegangen – trotz gestiegener Verkehrsleistung. Es geht also nicht um ein flächendeckendes Problem, sondern um Hotspots in mehreren Städten. Diese Aufgaben packen wir gemeinsam mit den Kommunen an.
Wie sehen Sie die deutsche Automobilindustrie insgesamt aufgestellt, insbesondere in Bezug auf E-Mobilität und autonomes Fahren?
M. Wissmann: Wir sind in beiden Zukunftsbereichen sehr gut unterwegs. Bis 2020 investieren wir 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe, das Modellangebot verdreifacht sich auf über 100 E-Modelle. Rund ein Drittel aller weltweiten Patente im Bereich der Elektromobilität und des Hybridantriebs kommt aus Deutschland. Und wir haben unsere Marktanteile bei der Elektromobilität deutlich gesteigert: In Europa sind es 53 Prozent, in Deutschland 65 Prozent, auf dem Leitmarkt Norwegen 58 Prozent.
Ähnliche Dynamik sehe ich bei der Digitalisierung. Hierfür investieren wir in den kommenden Jahren 18 Milliarden Euro. Schon heute ist die deutsche Automobilindustrie mit einem Anteil von 52 Prozent Patentweltmeister beim vernetzten und automatisierten Fahren:
Wenn wir den Kalender um weitere zehn Jahre vorwärtsdrehen, was glauben Sie, wie sich die Autowelt in dieser Zeit verändern wird? Und welche Rolle kann die deutsche Autoindustrie dabei spielen?
M. Wissmann: Wir werden viel mehr Elektroautos auf unseren Straßen haben, die Digitalisierung wird sich durchsetzen. Im Stau werden die Menschen nicht mehr selbst fahren müssen, sie können das Steuer dem Fahrzeug übergeben. Die Unfallzahlen werden massiv sinken. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir bei Forschung und Entwicklung weiter dran bleiben, wird die deutsche Automobilindustrie auch in zehn Jahren führend auf den Weltmärkten sein.
Wie sehen Sie die deutschen Zulieferer für die künftigen Herausforderungen aufgestellt? Täuscht der Eindruck, dass diese die Herausforderungen zum Teil früher und intensiver angegangen sind als die Hersteller?
M. Wissmann: Heute entfällt ein Drittel der automobilen Forschungs- und Entwicklungs-Investitionen auf Zulieferer, 40 Prozent der FuE-Beschäftigten in der Automobilindustrie sind bei Zulieferern tätig. Gerade bei E-Mobilität und Digitalisierung gehen deutsche Zulieferer mit großer Geschwindigkeit voran. Ähnliches gilt aber auch für unsere Hersteller. Denn beide wissen: Nur gemeinsam werden sie die Herausforderungen, die mit der Transformation der gesamten Branche verbunden sind, meistern.