Bei Daimler schaukelt sich der Streit um den künftigen Kurs und die Sparpläne der Konzernführung um Vorstandschef Ola Källenius weiter hoch. Nach diversen Angriffen der Betriebsräte in den vergangenen Tagen reagierte der Autobauer am Mittwoch. In einem internen Schreiben an die Mitarbeiter drohte er mit einem Aus für das geplante Kompetenzzentrum Elektromobilität im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim, wenn die Arbeitnehmervertreter weiter auf ihren Forderungen beharrten. Truck-Chef Martin Daum wies derweil, ebenfalls per Schreiben an die Belegschaft, die Warnungen vor einem "Kahlschlag" in den deutschen Lastwagenwerken zurück.
Betriebsräte und IG Metall hatten sich zuletzt immer offener gegen die Umbau- und Sparpläne positioniert und erst am Montag zu einer bundesweiten "Solidaritätsaktion" an sämtlichen Standorten aufgerufen. "In den Werken zittern die Beschäftigten und haben Angst um ihre Zukunft. Die Belegschaft in der Verwaltung fühlt sich verstoßen", hieß es. Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht warf dem Management vor, es agiere "absolut beratungsresistent".
Besonders im Fokus steht, wie schon oft in der Vergangenheit, das Stammwerk in Untertürkheim. Am Sitz der Unternehmenszentrale direkt am Neckar entwickelt und fertigt Mercedes-Benz Motoren, Getriebe und Achsen. Damit ist das Werk deutlich stärker von der Transformation der Branche betroffen als etwa die Fahrzeugfertigung in Sindelfingen, 4.000 der rund 19.000 Stellen sollen nach Angaben der Arbeitnehmerseite bis 2025 wegfallen.
Daimler will in Untertürkheim einen "Campus Mercedes-Benz Drive Systems" errichten und Batterien und elektrische Antriebe entwickeln. Der Betriebsrat will das auch, besteht aber darauf, dass für wegfallende Arbeit im Zuge des Umstiegs eine Kompensation in Form anderer Produktionsaufträge geschaffen wird – so wie es einst mit dem Unternehmen vereinbart worden war. Der E-Campus allein reiche nicht aus, die beim Verbrenner wegfallenden Stellen zu kompensieren.
"Festhalten am Status quo ist keine Option"
"Die Verhandlungsführer der Arbeitnehmerseite beharren darauf, dass alle bestehenden Vereinbarungen unverändert umgesetzt werden", heißt es nun in dem Schreiben des Managements, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zwar seien die aus damaliger Sicht sinnvoll und richtig gewesen, doch die Lage habe sich grundlegend verändert. "Festhalten am Status quo ist daher keine Option", schreiben die Vorstände Markus Schäfer und Jörg Burzer.
Streitpunkt ist unter anderem die Fertigung von Kurbelwellen. "Klar ist: Kommt die neue Kurbelwellenfertigung in vollem Umfang nach Untertürkheim, müssen wir für den Campus Mercedes-Benz Drive Systems alternative Szenarien prüfen. Denn eine Bündelung von Zukunftstechnologien ist dann aus Platzgründen in Untertürkheim nicht mehr möglich."
Eine Daimler-Sprecherin bestätigte, dass derzeit verschiedene Alternativen geprüft würden. Um wie geplant Zukunftstechnologien in Untertürkheim umzusetzen, müssten dort entsprechende Voraussetzungen zum Beispiel bei den Flächen geschaffen werden. Dazu gehöre auch, dass nicht am angestammten Portfolio festgehalten werden könne. Man strebe aber weiterhin eine konstruktive Lösung zusammen mit den Arbeitnehmervertretern an.
In dem Schreiben heißt es, die Vereinbarung zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2029 habe selbstverständlich Bestand. Zugleich bitten Schäfer und Burzer die Beschäftigten darum, flexibel zu sein und im Einzelfall auch einen Wechsel in ein anderes Werk in der Nähe in Erwägung zu ziehen.
Lkw-Sparte: Tausende Jobs auf der Kippe
Auch im Truck-Bereich ist die Stimmung aufgeheizt, auch dort stehen Tausende Stellen zur Disposition. "Kahlschlag droht, wenn wir uns nicht wehren!", hatten die Betriebsräte mehrerer Standorte kürzlich an die Beschäftigten geschrieben. "Das können wir so nicht stehenlassen", heißt es nun in einem Schreiben, das unter anderem von Daimler-Trucks-Vorstandschef Daum und Personalvorstand Jürgen Hartwig unterzeichnet ist und der dpa ebenfalls vorliegt. "'Kahlschlag' unterstellt, dass wir willkürlich Arbeitsplätze abbauen wollen, und das ist schlicht falsch."
Man müsse einerseits die Kosten senken, vor allem in Europa, und andererseits die technologische Transformation schaffen. Man suche den Dialog mit den Arbeitnehmervertretern, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden. "Aber eines wollen wir Ihnen ganz offen sagen: Wir können nur Maßnahmen ergreifen, die wirtschaftlich sind", schreibt das Management. Daher müsse man sich darauf einstellen, dass in einigen Bereichen Beschäftigung wegfallen werde.
Eine Sprecherin bestätigte, dass es "spürbare Veränderungen" in den Werken geben werde. Der damit verbundenen Verantwortung sei man sich bewusst und werde in den kommenden Monaten mit dem Betriebsrat über die zukünftige Ausrichtung der Standorte verhandeln. (dpa)
Bernd Jürgen Ulrich