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Prof. Stefan Reindl im Interview: "Spekulationen schaden dem Autostandort Deutschland"

24.07.2017 16:40 Uhr
Prof. Stefan Reindl
Prof. Stefan Reindl: "Der Grat zwischen erlaubten und erforderlichen Abstimmungsrunden und kartellrechtlich bedenklicher Verabredung ist schmal."
© Foto: Prof. Stefan Reindl

AUTOHAUS hat mit dem Automobilwirtschaftsexperten Prof. Stefan Reindl von der HfWU über die jüngsten Kartellvorwürfe gegen deutsche Autokonzerne und die möglichen Folgen gesprochen.

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Von Ralf Padrtka und Frank Selzle

Nach dem Vorwurf eines möglichen Auto-Kartells gerät die durch den Dieselskandal bereits gebeutelte deutsche Autoindustrie weiter unter Druck. Die  öffentliche Debatte, die durch den "Spiegel"-Artikel vom Wochenende nochmals angeheizt wurde, schadet dem Image der Branche. AUTOHAUS sprach mit dem Autoexperten Prof. Stefan Reindl, stellvertretender Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU), über die Qualität der Anschuldigungen und die möglichen Folgen.

AUTOHAUS: Einige Experten sehen in dem möglichen Auto-Kartell den größten Skandal in der Geschichte der Autobranche. Ist das auch Ihre Meinung?

Prof. S. Reindl: Wenn ich die Berichterstattung zu diesem Thema derzeit analysiere, dann geht es zunächst um Vermutungen und Vorwürfe. Die kartellrechtlichen Sachverhalte sind bislang nicht aufgeklärt. Und solange keine tragfähigen Beweise vorliegen, sollten sich meines Erachtens die Medienvertreter zurückhaltender zu solchen Spekulationen äußern. Die Aufklärung ist Aufgabe der zuständigen Behörden und der Gerichtsbarkeit. Sollte sich allerdings herausstellen, dass tatsächlich rechtswidriges Verhalten vorliegt, dann wäre von einem Skandal auszugehen, der uns lange beschäftigen würde.

AUTOHAUS: Erst "Dieselgate", nun Kartellvorwürfe: Wie glaubwürdig ist die Autoindustrie aus Ihrer Sicht überhaupt noch? Droht der deutschen Vorzeige-Branche ein Imageverlust?

Prof. S. Reindl: Ja, solche Sachverhalte zehren tatsächlich an der Glaubwürdigkeit der Automobilindustrie. Was mich allerdings ärgert, ist, dass bestimmte Medien tendenziös hinsichtlich rechtlicher Vergehen berichten, obwohl nach meinem Erkenntnisstand bislang weder ausreichend Beweise noch offizielle Anklageschriften vorliegen. Die aktuell veröffentlichten Spekulationen sind insofern nicht zielführend, sie schaden unserer Wirtschaft und dem Automobilstandort Deutschland mehr als sie nutzen.

AUTOHAUS: Den Autobauern drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Können die Konzerne das finanziell verkraften?

Prof. S. Reindl: Ich glaube die Finanzsituation ist derzeit weniger das Problem. Strafzahlungen dürften die Wirtschaftsakteure aktuell nicht allzu sehr in Bedrängnis bringen. Es geht aber darüber hinaus um die Reputation der deutschen Automobilindustrie. Langfristig wären vor allem Auswirkungen auf den Finanzmärkten und Absatzeinbrüche zu befürchten. Es ist also zunächst – sollten sich die Vorwürfe als haltbar herausstellen – ein Glaubwürdigkeitsproblem, das sich auf lange Sicht auf die finanzielle Situation der Unternehmen auswirken könnte.

AUTOHAUS: Können Sie uns einen Überblick darüber geben, wie in der Autoindustrie zusammengearbeitet wird. Sind Abstimmungen und Arbeitskreise zwischen den Herstellern und Zulieferern nicht Usus? Ab welchen Punkt wird es für die Unternehmen kritisch?

Prof. S. Reindl: Arbeitskreise mit Mitarbeitern der Automobilunternehmen existieren bereits seit Jahren. Solche Abstimmungsrunden sind nicht per se kartellrechtlich bedenklich. Sie sind sogar hinsichtlich der Standardisierung und Normierung notwendig und bringen nachvollziehbare Vorteile für Automobilkunden und -zulieferer gleichermaßen. Man denke beispielsweise an die Notwendigkeit zur Vereinheitlichung von Steckern für die Ladeinfrastruktur von Elektrofahrzeugen. Auch ein institutionalisierter Arbeitskreis zur Abgasreinigung existiert beispielsweise unter der Bezeichnung "Abgaszentrum der Automobilindustrie" (ADA, www.abgaszentrum.de). Freilich ist der Grat zwischen erlaubten und erforderlichen Abstimmungsrunden und kartellrechtlich bedenklicher Verabredung schmal. Dennoch gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung – auch im Hinblick auf die Thematisierung der Größe von "AdBlue"-Tanks. Sollte tatsächlich eine Abstimmung – beispielsweise hinsichtlich der Standardisierung der Betankung – nötig gewesen sein, so ist dies meiner Auffassung nach unbedenklich. Bedenklich wird die Angelegenheit erst dann, wenn Interessen der Kunden oder Zulieferer dadurch ins Hintertreffen geraten.

AUTOHAUS: Fahrzeugentwicklung und -produktion sind bekanntlich hochgradig arbeitsteilig: Skandalisiert man nicht hier Prozesse, die für die Branchenplayer absolut relevant sind?

Prof. S. Reindl: Ja, die Notwendigkeit ist in vielfacher Hinsicht gegeben. Die Standardisierung und Normierung bestimmter Bauteile ist nicht nur notwendig, sie führt in vielen Fällen sogar zu niedrigeren Kosten und damit zu einem Zusatznutzen für Verbraucher. Zudem werden Unsicherheiten für Zulieferer minimiert.

AUTOHAUS: Geheime Absprachen, Tricksereien und Gesetzesbrüche – braucht die deutsche Autoindustrie einen Kulturwandel?

Prof. S. Reindl: Der Abgasskandal ist sicherlich als negativer Einschnitt hinsichtlich der deutschen Automobilwirtschaft zu bewerten. Wir sollten aber nicht so tun, als wäre der bislang erfolgreiche Industriezweig ein reines "Lügengebäude". Allerdings kann auch die Automobilindustrie – wie andere Industriezweige – nicht vor unrechtmäßig handelnden Personen vollkommen geschützt werden. Und selbstverständlich müssen die Unternehmen der Branche ihre unternehmenskulturelle Ausrichtung auf den Prüfstand stellen, um sich in Zukunft von solchen Skandalen zu schützen.

AUTOHAUS: Wie gefährlich sind die jüngsten Entwicklungen für den Automobilstandort Deutschland grundsätzlich?

Prof. S. Reindl: Dies lässt sich aktuell noch nicht abschätzen. Es kommt dabei auf die Offenheit und Zügigkeit der Aufklärung durch die Unternehmen selbst an.

AUTOHAUS: Wird der neue Skandal sich negativ auf die Fahrzeugnachfrage auswirken?

Prof. S. Reindl: Auch dies lässt sich noch nicht vorhersagen. Wenn man aktuell die Entwicklungen seit der Aufdeckung des Abgas-Skandals heranzieht, dann war die Reaktanz der Märkte eher verhalten. Dennoch: Die Unternehmen der Automobilindustrie sind vorgewarnt. Ich gehe deswegen davon aus, dass alle Beteiligten an einer schnellen und transparenten Aufklärung interessiert sind.

AUTOHAUS: Wie sollten die betroffenen Autobauer jetzt reagieren? Sollten Sie in die Offensive gehen?

Prof. S. Reindl: Ja, unbedingt. Eine glaubwürdige und vollumfängliche Aufklärung der Sachverhalte ist nötig, um das Vertrauen in den Industriezweig wieder zu stärken.

AUTOHAUS: Welche Reaktionen erwarten Sie aus der Politik? Werden die politischen Entscheidungsträger künftig noch genauer hinsehen? Wird dies auch die Aufarbeitung des Dieselskandals beeinträchtigen?

Prof. S. Reindl: Die Politik muss das Thema selbstverständlich aufgreifen. Allerdings sind die politischen Vertreter zur Sachlichkeit nicht nur aufgerufen, sondern es besteht hierzu eine Verpflichtung, um einen nachhaltigen Schaden für unsere Volkswirtschaft abzuwenden. Negativ ist derzeit sicherlich, dass ein solches Thema im Wahlkampf thematisiert werden könnte. Dies wäre fatal und würde nicht gerade für eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik sprechen.

AUTOHAUS: Herr Prof. Reindl, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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