Von Thomas Strünkelnberg und Jan Petermann/dpa
In der Autoindustrie könnte sich der nächste Skandal anbahnen. Laut "Spiegel" haben Konzerne über Jahre hinweg Absprachen im Geheimen getroffen und Kunden geschädigt. Die Firmen hüllen sich in Schweigen. Was bedeutet das nun für die Bewältigung der Dieselkrise?
Der Verdacht geheimer Absprachen deutscher Autobauer zum Schaden von Verbrauchern und Zulieferern überschattet die Debatte über die Zukunft des Diesels. Politiker und Branchenbeobachter reagierten am Wochenende alarmiert auf einen "Spiegel"-Bericht, demzufolge Vertreter von Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sich schon seit den 90er Jahren gemeinsam über Technik, Kosten und Zulieferer verständigt haben sollen.
Trifft dies zu, steht illegales Kartellverhalten im Raum. So könnten etwa Preise künstlich hoch gehalten werden. Die Unternehmen wollten sich zu den Vorwürfen bisher nicht näher äußern, Daimler und BMW sprachen von "Spekulationen". Der "Spiegel" stützte seine Darstellung auf einen Schriftsatz, den Volkswagen auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbshütern eingereicht haben soll. Daimler habe ebenfalls eine "Art Selbstanzeige" hinterlegt.
Das Bundeskartellamt erklärte mit Blick auf den Bericht: "Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren." Die EU-Kommission in Brüssel sagte der Deutschen Presse-Agentur zu dem angeblichen VW-Schriftsatz: "Zu diesem Thema geben wir keine Stellungnahme ab."
Absprache bei AdBlue-Tanks?
Der Vorwurf wiegt schwer. Mehr als 200 Mitarbeiter der Autobauer sollen sich seit den 90er Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt und auf diese Weise den Wettbewerb behindert haben. Auch für die weitere Aufarbeitung des Abgas-Skandals bei VW und die Debatte um die Zukunft des Diesels allgemein drohen die Recherchen zu einer Belastung zu werden. Denn bei den angeblichen Absprachen soll es unter anderem um die Technik zur Reinigung von Diesel-Abgasen gegangen sein –und um die Festlegung auf kleinere, aber billigere Tanks für das Mittel AdBlue. Dies ist eine Substanz, mit deren Hilfe gefährliche Stickoxide in Wasser und Stickstoff aufgespalten werden.
Unabhängig von der noch fehlenden Bestätigung für den genauen Inhalt der Ermittlungen gab es bereits heftige Kritik an den Autobauern. Der Linken-Politiker und Ex-Leiter des Abgas-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Herbert Behrens, sagte: "Sollten sich die Meldungen zu Absprachen bestätigen, hätten die betreffenden Konzerne damit nicht nur die Zulieferer geschädigt, sondern auch ihre Kunden und vor allem die Gesundheit der in Innenstädten lebenden Menschen." Er bekräftigte seine Kritik an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), dem auch die Grünen einen zu laschen Umgang mit der Industrie vorwerfen.
Dobrindt meinte zu dem Verdacht: "Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen." Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) forderte schnellstmögliche Aufklärung. "Was schiefgelaufen ist, muss aufgeklärt werden", sagte er am Samstag. Das Thema erschwere die Gespräche mit der Autoindustrie zur Reduzierung von Dieselabgasen.
"Das wäre der Super-GAU"
Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält den Kartellverdacht für eine bedrohliche Entwicklung. "Es ist so, dass sich Autobauer und Ingenieure natürlich immer austauschen über Technologien", sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen der dpa. Wenn aber etwa vereinbart werde, das Verhalten bei Grenzwerten zu Umweltauflagen abzustimmen, wäre das für die deutsche Autoindustrie, "aber auch für die Politik in Berlin und in Brüssel der Super-GAU, ein Erdrutsch".
Laut "Handelsblatt" findet sich unter den von der Staatsanwaltschaft München II bei Durchsuchungen im VW-Konzern, in Wohnungen und bei der US-Kanzlei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen eine Präsentation von Audi namens "Clean Diesel Strategie". Darin sei 2010 von einem "Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene" die Rede. Es betreffe den Einbau kleinerer AdBlue-Tanks.
Konkreter Hintergrund der neuen Vorwürfe sind dem "Spiegel" zufolge Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen. Das Kartellamt hatte im Sommer 2016 Büros von Autobauern und Zulieferern durchsucht.
Kartellverfahren haben zu Millionenstrafen in verschiedenen Branchen geführt. Zementhersteller, Brauereien oder Wurstfabrikanten wurden zur Kasse gebeten. Auch die Autobranche stand schon im Fokus. Der Ex-Chef der Monopolkomission, Justus Haucap, erwartet für den Fall eines großen Autokartells hohe Bußen. Der "Welt" sagte er, damit sei "auch wegen des sehr langen Zeitraums von rund 20 Jahren" zu rechnen.
ThomF
SK
Jens Nietzschmann