Rüsselsheim liegt mitten in Hessen und hier wird noch (ab und an) echtes Hessisch gesprochen. Kein Wunder, dass die Opelaner auf den neuesten Rüsselsheimer Bubb (das Pendant zum Kölsche Jung) so stolz sind – den Opel Astra Sports Tourer Electric. Der Astra, egal ob mit Dieselmotor, als Benziner, Plug-in-Hybrid oder jetzt neu, Elektroantrieb, rollt in Rüsselsheim vom Band. Auch egal, ob es der Kombi ist oder das Kurzheck. Lange Zeit kam der Astra entweder aus UK (Ellesmere Port) oder aus Polen (Gleiwitz), abhängig von der Wahl der Karosserie.
Opel Astra Sports Tourer Electric nur mit zwei Ausstattungslinien
Wir können, Ende November bei starkem Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt, die ersten Runden mit dem Astra Sports Tourer Electric drehen. Das sind zwar keine blendenden Voraussetzungen für den Erstkontakt mit einem Elektroauto. Wir nehmen es aber gelassen und fläzen uns direkt mal in den mit Alcantara bezogenen AGR-zertifizierten Fahrersitz. Der sehr schmeichelnde Stoffbezug kostet in der Ausstattungslinie GS (es gibt nur die Basis und GS) 1.120 Euro extra. Viel Geld, kann man aber machen. Leder gibt es eh nicht mehr, das ist den Verbrennern vorbehalten, die sind ja eh bäh. Auch am Lenkrad findet sich jetzt ein Lederimitat, werbewirksam als „veganes Kunstleder“ bezeichnet. Kunstleder hätte auch gereicht. Immerhin, es fühlt sich gut an. Zack, teilelektrisch wird der Fahrersitz eingestellt – sogar der Abstand der Kopfstütze zum Kopf kann um viele Zentimeter verändert werden (manuell). Die Sitzposition lässt sich allerdings nicht abspeichern. Warum alles bis auf die Längsverstellung elektrisch von der Hand geht, muss man daher nicht verstehen. Eine Massagefunktion gibt es im Astra-e auch nicht, denn diese ist an die Ledersitze gekoppelt. Aber Leder, Sie wissen schon …
So, der Sitz passt (perfekt), Spiegel einstellen und das Head-up-Display einrichten. All das gelingt über den Spiegelverstell-Mechanismus in der Tür, sauber gelöst. Dass das sehr gut ablesbare Head-up-Display nur im Paket "Infotainment-Paket GS" für 2.500 Euro erhältlich ist, trübt den tollen Eindruck. Mit im Paket sind beheizbare Windschutzscheibe und ein weiterentwickelter Fahrassistent, der es ermöglicht, viele Sekunden ohne Hände am Lenkrad fahren zu können – welch ein Unsinn. Also: Das Head-up-Display ist im Endeffekt sehr teuer.
Opel Astra Sports Tourer Electric
BildergalerieWer das Schiebedach bestellt hat, das es ausschließlich für den GS für mindestens 1.300 Euro gibt, kann sich über die manuelle Jalousie freuen. Nichts elektrisiert, keine Verwirrung bei der Bedienung, einfach Hand nach oben und Blende nach hinten. Fertig. Fein gelöst ist auch die Brillenablage direkt unter dem mittleren Luftausströmer. Knöpfchen drücken und die Klappe öffnet nach unten, Brille rein oder raus und Klappe mit einem Klack schließen. Generell kann man im Astra fast jede Ablage mit einem Rollo schließen und der Innenraum wirkt sehr aufgeräumt und ruhig. Schade, dass Opel noch immer den Klavierlack mit vollen Händen vergibt. Kratzer, Staub, Fettfinger sind das Ergebnis. Hübsch ist das nur im mit Mikrofaser geputzten Neuzustand. Aber man fühlt sich im Astra schon irgendwie zuhause, wenngleich er sich nicht mehr opelig anfühlt. So kennt man Schalter und Menüführung beispielsweise von Peugeot, die zeitnah den 308-e als Kombi auf den Markt bringen werden. Und dennoch versprüht der Astra Eigenständigkeit und Charme.
Schön auch, dass es im Astra noch physische Tasten unterhalb des Touchscreens gibt. Jeder versteht sofort, was er mit diesen auf "Knopfdruck" bezwecken kann: Lautstärke-Regler, Sitz- und Lenkradheizung und diverse andere Funktionen, man muss nicht einmal hinschauen.
Genau hinsehen sollte man indes, wenn es um das Platzangebot geht. Und jetzt sind wir beim ersten Manko des Astra Electric (und aller Astra) angekommen: Für einen mehr als 4,60 Meter langen Kombi ist der Beinraum hinten arg eingeschränkt. Da merkt man vom um sechs Zentimeter verlängerten Radstand im Vergleich zum Kurzheck nichts. Und so bietet die Konkurrenz außerhalb des Stellantis-Konzerns an der Stelle deutlich mehr. Schade, denn Opel kann bekanntlich Kombis bauen – seit 70 Jahren übrigens – und da gehört nicht nur der große Kofferraum dazu. Der kann mit 516 Litern Gepäck viel wegpacken und all das lässt sich auch noch gut verzurren. Wer umklappt, erhält nicht nur 1.553 Liter Volumen, er kann auch Gegenstände bis zu einer Länge von 1,85 Metern reinpacken. In Normalstellung passen quadratische Gegenstände mit einer Kantenlänge von etwas mehr als einem Meter hinein. Laut Opel-Prognose greifen 60 Prozent der Electric-Kunden zum Kombi.
Was Opel seit jeher auch gut beherrscht, betrifft die Fahrwerksabstimmung. So spricht auch das Set-up im Astra Electric vorzüglich an, wenn die Straße bereits die besten Jahre hinter sich hat. Fein nimmt das Feder-Dämpfer-Konglomerat die Stöße entgegen, balanciert sie aus und reicht sie nicht an die Insassen weiter. Umso erstaunlicher, dass das auch mit den beim E-Astra stets 18 Zoll großen Rädern klappt. In Kombination mit der feinfühligen Lenkung (und einem Wendekreis von deutlich unter elf Metern) lässt sich der Opel-Kombi behände durch den Großstadt-Dschungel zirkeln und liegt satt und ruhig auf der Autobahn. Und zwar auch dann, wenn man meint, man müsse die Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h antesten um zu erleben, wie leise die Windgeräusche dann noch sind. Zudem ist die Isolierung von unten ziemlich gut, denn Wasserspitzer im Radhaus und Starkregen verstummen im Astra.
Astra Electric mit 100 kW Ladeleistung
156 PS Leistung liest sich nicht nach viel. Und der Tritt in den Rücken bleibt beim Astra auch in Sportstellung aus. Dafür beschenkt der Rüsselsheimer den Fahrer mit hervorragender Traktion und echter Fahrsicherheit, die sich nicht am zu früh regelnden ESP entlanghangelt. Flott ist man mit dem BEV-Astra jederzeit. Vor allem in der City und auf Landstraßen. Wer sich dort oft bewegt, wird wohl mit einem Verbrauch von unter 16 kWh rechnen können. Das liegt im Bereich des WLTP-Wertes und soll rund 400 Kilometer Reichweite ermöglichen. Ein Test bei wärmerer Witterung muss zeigen, was davon in der Realität übrigbleibt.
Manko Nummer zwei ist die maximale Ladegeschwindigkeit. 100 kW gibt Opel beim Astra Electric trotz neu entwickeltem Elektromotor, neuen Akkus und dort implementierter neuer Zellchemie an. Das ist wenig. Das schaffte der Corsa-e im Jahr 2019 und markiert 2024 die Untergrenze des ertragbaren. Inwieweit sich der 100er-Wert lange Zeit konstant halten lässt, muss ebenfalls ein Test zeigen, über eine flache Ladekurve ließe sich Sympathie gewinnen. An der Wallbox macht der Astra Electric elf kW – Standard. Eine optional erhältliche 22-kW-Ladeleistung wäre schön gewesen und würde viele Kunden begeistern – gerade im Flotteneinsatz.
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