Von Holger Holzer/SP-X
Auf der Suche nach den Einnahmequellen der vernetzten Zukunft ist die Autoindustrie in der Software- und Unterhaltungsbranche fündig geworden. Dort wird seit Jahren erfolgreich nach dem "Crippleware"-Prinzip verkauft: Kunden erwerben ein Produkt mit theoretisch maximalem Leistungsumfang, der jedoch per Software künstlich beschnitten wird. Nur wer nachzahlt, kann bestimmte Optionen anschließend nutzen.
Im Autobereich ist Tesla Vorreiter dieses Modells. Aber auch Audi hat bereits angekündigt, künftig für das Freischalten spezieller Funktionen seines Elektroautos E-Tron nachzukassieren.
Populär gemacht wurde Crippleware oder "Krüppelware" vor allem von den Fotokameraherstellern. Um die Produktionskomplexität gering zu halten, verwendeten sie in allen Modellen beispielsweise den gleichen Bildchip; bei den Einstiegsgeräten wird seine Leistungsfähigkeit jedoch per Software künstlich eingeschränkt. Anspruchsvolle Kunden sollen so dazu gebracht werden, das teurere Gerät zu kaufen, auch wenn die günstigere Variante potenziell die gleiche Leistung bieten könnte. Software-Hersteller haben das Prinzip in den letzten Jahrzehnten verfeinert. Von vielen Apps und Programmen gibt es kostenlose oder günstige Basisversionen, die gegen Geld zu Vollversionen aufgerüstet werden.
Vorreiter Tesla
Tesla hat den Verkrüppelungs-Ansatz schon früh und konsequent übernommen. So boten die Kalifornier ihr E-Auto Model S zwischen 2016 und 2017 in der Basisversion S60 an, die sich vom teureren S75 lediglich durch eine geringere Reichweite unterscheidet. Der Akku ist in beiden Fällen aber der gleiche, nur wird er beim S60 gedrosselt. Wer einen größeren Energievorrat hat, kann die Software-Sperre gegen Nachzahlung des Differenzbetrags zum S75 plus 500 Dollar Zuschlag lösen. Weithin bekannt wurde diese Möglichkeit während des Hurrikans Irma in Florida, als das Unternehmen seinen in Not befindlichen S60-Kunden durch eine Online-Freischaltung kurzfristig den Fluchtweg verlängerte.
Ähnlich sieht es mit der Autopilot-Funktion des Model S aus. Während die Hardware in Form von Sensoren und Kameras immer an Bord ist, muss die Software extra bezahlt werden. Auch hier gilt: Wer die Option direkt bei Bestellung ankreuzt, kommt billiger davon. Entschließt man sich später, zahlt man drauf. Wer ein Auto kauft, kann sich also schon heute nicht mehr darauf verlassen, dass das Fahrzeug auch alles tut, was die Hardware hergibt.
Bei den klassischen Automobilherstellern spielt Crippleware anders als bei dem Newcomer aus dem Silicon Valley bislang noch eine untergeordnete Rolle. Als eine der ersten Marken hat Audi angekündigt, dass Käufer des 2019 startenden Elektro-SUV E-Tron erstmals Funktionen flexibel online hinzubuchen können. Im Angebot sollen unter anderem Upgrades für das Bord-Infotainment oder die Assistenzsysteme sein. Die Freischaltung kann für einen begrenzten Zeitraum, etwa eine Urlaubsreise, oder auch dauerhaft gebucht werden. Insgesamt will die Marke bis 2025 mit digitalen Diensten über das Kundenportal "myAudi" einen jährlichen Beitrag von einer Milliarde Euro zum Operativen Ergebnis erzielen.
Nahezu unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten
Die Anwendungsmöglichkeiten für Online-Features sind nahezu unbegrenzt. Von Navi- oder Reiseführerdaten für die nächste Urlaubsfahrt über neue Grafik-Skins für den Tacho-Bildschirm bis hin zu autonomen Fahrfunktionen für längere Touren reichen die möglichen Angebote. Künstliche Motorsounds für den Innenraum, neue Verwöhnprogramme für die Massagesitze oder Projektionsmotive für künftige leistungsfähige Scheinwerfer heißen die verspielteren Alternativen. Nicht alles davon muss so viel kosten wie der Tesla-Autopilot für 3.000 Dollar.
Akzeptanzprobleme für das neue Bezahlmodell befürchtet Audi nicht. Basisfunktionen des Fahrzeugs bleiben weiterhin Standard betont man, buchbar sollen vor allem neue Technologien und Unterhaltungsangebote sein. In Befragungen und Studien habe die Kundschaft positiv reagiert, betont man in Ingolstadt. Viele Befragte nehmen die Online-Upgrades analog zum klassischen Zubehör-Programm als weitere Individualisierungsmöglichkeiten für ihr Auto wahr. Gerade die technologie-affine und technologisch progressive E-Tron-Zielgruppe könnte tatsächlich so denken. Schließlich ist sie ähnliches von ihrem Smartphone längst gewohnt.