Von Benjamin Bessinger/SP-X
Michael Kelz ist ein Mann der leisen Töne. Der Mercedes-Chefingenieur spricht nicht nur ruhig und gesetzt, sondern hört beim Autofahren auch am liebsten klassische Musik. Das ist in seinem Job bisweilen ein bisschen schwierig. Schließlich verantwortet er die Entwicklung von C- und E-Klasse sowie des GLC und bei bis zu acht Zylindern wird es da auf Testfahrten schon mal etwas lauter. Doch in letzter Zeit kommt Kelz wieder öfter zu seinem Hörgenuss. Denn Kelz leitet auch die Entwicklung des EQ C, der binnen Jahresfrist gegen Tesla Model X, Jaguar iPace oder Audi e-tron antreten soll. Und als erstes designiertes Elektroauto aus Stuttgart ist der EQ C deshalb nicht nur sauber und mit seinen beiden E-Maschinen von zusammen 300 kW / 408 PS und 700 Nm ungeheuer schnell und spurtstark, sondern eben auch still.
Egal, wie kräftig Kelz bei der ersten Mitfahrt aufs Pedal tritt und wie weit der EQ C beim Ampelspurt selbst die meisten AMG-Modelle hinter sich lässt, in seinem bunt beklebten Prototyp hört man kein Motorengebrüll, sondern allenfalls das Quietschen der Reifen. Und das darf bei einem Sprint vom 0 auf 100 in kaum mehr als fünf Sekunden schon mal sein. In der Stadt oder auf der Landstraße herrscht absolute Stille und auf der Autobahn, wo das Tempo mit Rücksicht auf die Reichweite wohl auf einen Wert von etwa 200 km/h limitiert wird, rauscht nur der Wind um die Karosse. Vom Lautsprecher, der mit dem streng reglementierten Fiepen die Passanten warnt, bekommt man dagegen genauso wenig mit wie von dem typischen Straßenbahn-Surren der Stromer. Wozu hat Kelz den E-Motor an der Vorderachse schließlich mit in einem Hilfsrahmen zweifach entkoppelt und den hinteren entsprechend gut gekapselt?
Mercedes-Benz EQC (Prototyp)
BildergalerieDas lautlose Fahren ist zwar neu für Mercedes-Kunden und die Dynamik des EQ C kennen bislang allenfalls AMG-Fahrer. Genau wie die satte Straßenlage, die von dem im Wagenboden montierten Akku mit etwas mehr als 70 kWh für gute 400 Kilometer Reichweite rührt. Doch sonst hält der EQ C nur wenige Überraschungen bereit. "Wir wollen unsere Stammkunden schließlich mit auf die Reise nehmen", rechtfertigt Kelz die eher konventionelle Form und das gewöhnliche Format. Beides erinnert verdächtig an den GLC – selbst wenn der EQ C wohl ein paar Zentimeter länger wird, sich etwas flacher in den Wind duckt und ein wenig schräger abschließt. Dazu gibt es neue Scheinwerfer und Rückleuchten sowie einen Black-Panel-Grill, wie man ihn schon bei den diversen EQ-Studien gesehen hat.
Die Nähe zum GLC hat Vor- wie Nachteile
Auch innen bleibt der EQ C ganz im hier und heute. Noch hängen zwar dicke Teppiche zur Tarnung über dem Cockpit. Doch wenn Kelz seine Gäste mal kurz unter die Tücher linsen lässt, dann sieht man das große, freistehende Display aus der A-Klasse, man erkennt neue, sehr technologische Materialien und Lüftergitter, die wie die Kühlrippen von Transformatoren aussehen. Hier und da blitzt jenes Rosé-Gold durch, das Designchef Gordon Wagener zur Erkennungsfarbe der EQ-Modelle gemacht hat. Und jedes Mal, wenn beim Gespräch der Begriff „Mercedes“ fällt, meldet sich die intelligente Sprachsteuerung zu Wort, die man schon aus der A-Klasse kennt.
Mit der Nähe zum GLC verschenkt Kelz zwar auch ein paar Vorzüge eines dezidierten Elektroautos. So gibt es vorn im Bug anders als etwa bei Jaguar oder Audi keinen zweiten Stauraum fürs Ladekabel, zwischen den vorderen Sitzen prangt eine riesige Mittelkonsole, unter der früher mal ein Getriebe war, und den ohnehin nicht gerade üppigen Fußraum im Fond teilt ein eigentlich überflüssiger Kardantunnel, durch den jetzt nur noch ein paar Kabel laufen. Doch dafür verspricht sich der Baureihenchef ein paar handfeste Vorteile bei der Produktion, weil der EQ C in Bremen und in Peking über das gleiche Band laufen kann wie der GLC oder die C-Klasse und nur zur Batteriemontage eine Station mehr braucht. Das ermöglicht den Schwaben zum einen eine hohe Flexibilität, mit der sie leichter auf die schwer kalkulierbare Nachfrage reagieren können, soll aber zum anderen auch einen deutlichen Kostenvorteil bringen. Und spätestens wenn Mercedes den an die Kunden weitergibt, könnte sich der konventionelle Auftritt für die Schwaben als Glücksgriff erweisen. Denn je weniger das Auto am Ende kostet, desto mehr Musik ist im Markt. Und mit Musik kennt sich Baureihenleiter Kelz schließlich fast so gut aus wie mit neuen Modellen.
Rudolf