Von Michael Specht/SP-X
Der Kunde ist König. Das trifft auf keinen anderen Automobilhersteller besser zu als auf Rolls-Royce. Bei der britischen Nobelmarke, seit fast 20 Jahren im Besitz von BMW, geben sich die Oberen Zehntausend dieser Welt die Klinke in die Hand. Ein ganz besonderer Kunde allerdings, angeblich ein Geschäftsmann aus Singapur, betrat die Rolls-Royce-Räumlichkeiten in Goodwood vor vier Jahren mit dem Anliegen, ihm doch bitteschön einen Phantom mit einer einmaligen Karosserie zu fertigen. Gewöhnlich gibt es bei Rolls-Royce die "Bespoke"-Abteilung. Sie befriedigt individuelle Wünsche des Kunden, sei es das Familienwappen im Lederpolster, ein spezieller Champagner-Kühler oder die passende Farbe zum Nagellack der Gemahlin. Gemacht wird alles, was nicht gegen Sicherheit und gute Sitten verstößt, so das Credo aus der Firmenzentrale.
Ende Mai präsentierte Rolls-Royce im Rahmen des Concorso d'Eleganza Villa d'Este am Comer See das vollendete Werk des britischen Karosseriespezialisten. Aus dem viertürigen Phantom wurde der zweitürige Sweptail – und gleichzeitig der teuerste Neuwagen der Welt. Hinter vorgehaltener Hand heizt eine Summe irgendwo zwischen 15 und 20 Millionen Euro die Gerüchteküche an.
Mit dem Sweptail – der Name ist eine Reminiszenz aus den 20er-Jahren und bezeichnet den speziellen bootsähnlichen Heckschwung einiger Rolls-Royce-Modelle – zeigen die Briten nicht nur ein Einzelstück, sondern geben gleichzeitig auch eine mögliche neue Marschrichtung vor: Die Maßanfertigung von Modellen gezielt nach den Wünschen der Kunden. "Wenn nicht wir, wer dann", sagt Torsten Müller-Ötvos, "wir sind der 'master of bespoke', der 'truly coachbuilder'", so der Vorstandschef von Rolls-Royce Motor Cars.
Rolls-Royce Phantom VIII
BildergalerieNoch in den 50er-Jahren zählte diese individuelle Form des Karosseriebaus zu den Gepflogenheiten vieler Spezialfirmen vor allem in England und Italien, um reichen Kunden und berühmten Filmstars die passenden Gefährte zu dengeln. Ob hieraus wirklich ein neues Geschäftsfeld entsteht, ließ Müller-Ötvos offen. Anfreunden zumindest könne er sich damit. "Es gibt noch reichlich Potenzial im Luxusbereich", sagt der CEO.
"In Asien ist Größe Status"
Daher sieht Müller-Ötvos auch keinerlei Gegenwind für ein SUV oberhalb des schon üppig dimensionierten Bentley Bentayga. Der unter dem Projektnamen "Cullinan" entwickelte Maxi-Geländewagen soll ab 2019 die Garagen der Superreichen weiter füllen, vornehmlich jene in den USA und China. In Europa dürfte das rund 5,50 Meter lange SUV eher zu den Ausnahmeerscheinungen zählen. "In Asien ist Größe Status", so der Rolls-Royce-Chef. Gut möglich, dass auch das Seriengefährt Cullinan heißen wird. Der Name bezeichnet den größten je gefundenen Rohdiamanten.
Die technische Basis, eine Aluminium-Space-Frame-Architektur, teilt sich der Cullinan mit dem nächsten Phantom. Das Symbol für automobilen Luxus fährt dann mittlerweile in der achten Generation – Phantom 7 wurde Ende 2016 eingestellt – und soll Anfang 2018 zu den Händlern gehen. Phantom ist im Hause Rolls-Royce mit 92 Jahren der älteste Modellname.
Beibehalten wurde natürlich der Zwölfzylinder, von dem Rolls-Royce übrigens mehr Einheiten verkauft als die Mutter in München. Auch die Entwicklungshoheit des mächtigen, 6,75-Liter-V12 liegt bei den Briten. Und wo liegt in Goodwood die Zukunft? Klar, selbst eine Luxusmarke mit wenigen tausend Einheiten pro Jahr darf sich den Fragen zu Effizienz und Emissionen nicht verschließen – schon aus Image-Gründen. Dennoch: Es wird für den Phantom weder einen V8-Motor, einen Reihensechszylinder oder irgendeine Art von Diesel geben. Ebenso wenig realistisch ist ein Plug-in-Hybrid. "Wir lassen diesen Zwischenschritt aus und gehen gleich zur reinen Elektromobilität über", sagt Müller-Ötvos. Welchem Auto würde diese Art der leisen und geschmeidigen Fortbewegung besser stehen als dem Phantom? "Denken Sie nur an die vielen Chauffeure allein in London", sagt der Manager, "und längere Reisestrecken zählen eh nicht zum Alltag unserer Kunden."
Mit der Markteinführung des Phantom 8 bleibt es bei der geschlossenen Limousine. Einziges Derivat ist die um 25 Zentimeter gestreckte Langversion, die zeitgleich zu den Händlern geht. Cabrio und Coupé wird es nicht mehr geben. Diese Aufgabe übernehmen Wraith und Dawn auf Basis des Ghost. Mit dem SUV Cullinan erweitert und begrenzt Rolls-Royce gleichzeitig sein Portfolio auf fünf Modelle. Hält global die hohe Nachfrage nach Luxus an, könnte zum Ende des Jahrzehnts der Absatz auf jährlich über 5.000 Einheiten steigen und damit 2014, dem bislang besten Jahr (4.063 Einheiten) in der Geschichte von Rolls-Royce, den Rang ablaufen.