Wer in die Höhle der Löwen steigt, sollte gut bewaffnet sein. Genesis öffnet jetzt die Tür zum Raubtierkäfig. Auf dem Goodwood Festival of Speed hat der Premium-Ableger von Hyundai nun erstmals sein neues Flaggschiff G90 offiziell in Europa vorgestellt. Ab Ende des Jahres kommt die Luxuslimousine auch nach Deutschland. Also direkt in die Arena aller Top-End-Limousinen. Ganz schön mutig. Aber den Koreanern geht es nicht ums nackte Überleben. Sie wollen ein Statement setzen: Wir können auch ganz edel.
Große Stückzahlen darf man nicht erwarten. Dafür ist das Segment zu klein und die Konkurrenz rund um das No-Name-Schiff aus Korea zu groß. Mercedes, BMW und Audi teilen sich den kleinen, aber feinen Markt. Dazu ein paar Bentleys, Porsche, Rolls Royce und Jaguars. Doch mit moderner Großserientechnik, attraktivem Design und der finanziellen Power der weltweit agierenden und erfolgreichen Marke Hyundai genießt Genesis reichlich Rückenwind. Bereits im Dezember 2021 debütierte die Luxuslimousine G90 in Korea und verkaufte sich auf dem Heimatmarkt bislang über 25.000-mal. 2022 folgte die Premiere in den USA.
Genesis G90: Luxusliner auf dem deutschen Markt
Markenchef Grame Russell hat schon frühzeitig angekündigt, dass er den Luxusliner auch gerne in Deutschland sehen würde: "Für unser Image wäre der G90 auf dem deutschen Markt schon sehr hilfreich." Jetzt steht also fest, der große Wagen kommt, Kunden aus Deutschland und der Schweiz können sich ab sofort online registrieren. Erste Auslieferungen sind ab Dezember geplant.
Stilprägend für den G90 ist die sogenannte "Athletic Elegance"-Desingsprache. Eher klassisch als effekthaschend, eher distinguiert als diskutabel fährt der G90 vor. Es werden bei uns zwei Karosserievarianten angeboten. Mit kurzem Radstand kommt die Stufenhecklimousine auf selbstbewusste 5,28 Meter. Der Kunde kann zwischen vier und fünf Sitzen wählen. In der Langversion, die bereits der koreanische Botschafter in Berlin fährt, wächst der 90er gar auf 5,47 Meter und erreicht damit exakt das Gardemaß einer Maybach S-Klasse. Im Chefabteil hinten finden Konzernlenker, Promis und Politiker 19 Zentimeter mehr Beinfreiheit als in der bürgerlichen Version.
Genesis G90: Markenzeichen Crest-Kühlergrill
Vorne zeigt der Korea-Cruiser mit seinem Crest-Kühlergrill eindeutig, zu welcher Familie er gehört. Dabei beleuchten die schmalen, übereinander positionierten Scheinwerfer und die doppelstöckigen Blinker schon mal den Weg, den Genesis optisch einschlagen wird. Das "Two-Line-Design" mit zwei parallel verlaufenden Leuchtstreifen rund ums Fahrzeug, werden in Zukunft alle neuen Genesis tragen. Die beiden Linien treffen sich am coupéhaft abfallenden Heck des G90 wieder, unter der Klappe klafft ein riesiges Kofferabteil. Was hier nicht reinpasst, wird mit dem privaten Heli vorausgeschickt.
Zwischen den Achsen streckt sich ein üppiger Radstand von 3,18 Meter, der klar macht, dass wir bei dieser Luxus-Mobilie nicht wirklich über sozialen Autobau sprechen. Schon in der Kurzversion geht es hinten luftig und pompös zu. So wie es Menschen erwarten, die vom Rücksitz aus die Geschicke des Planeten lenken. In der Long Wheel Base-Version mit 3,37 Meter Radstand muss der Boss für seine mittägliche Joggingrunde nicht mal das Fahrzeug verlassen.
Genesis G90
BildergalerieKomfort für Fahrer und Beifahrer
Auf dem Chefsessel Platz genommen, gleitet der Beifahrersitz wie selbstverständlich nach vorne. Die Loungeliege (Standard beim Long Wheel Base) gleicht einer Récamiere mit Massagefunktion, elektrisch verstellbarer Rückenlehne, kuschelweichem Kopfkissen und gleichfalls elektrisch ausfahrbarer Fußstütze. Neben den Sitzen sind auch die Fußschmeichler beheizbar und verfügen über eine Massagefunktion. First Class Korean-Airlines.
Die Türen des G90 öffnen und schließen ein Stück weit elektrisch, über sein eigenes Touchpad befehligt der Herrscher im Fond einen ganzen Hofstaat, der ihm das Leben auf Reisen so angenehm wie möglich macht. Bis hin zum grandiosen Bang & Olufsen-Soundsystem mit der Power von 1.700 Watt aus 23 Lautsprechern.
Auch vorne bleibt Genesis seiner klassischen Linie treu und verzichtet auf einen Overkill. Heißt: Keine Mega-Monitore oder Hyper-Screens sowie viele Knöpfe und Tasten, damit alle wesentlichen Funktionen direkt und schnell anwählbar sind. Die Verarbeitung scheint top, die Materialien sind von hoher Güte.
Als Antrieb für sein prestigeträchtiges Zugpferd wählte Genesis einen 3,5 Liter-Sechszylinder-Turbo aus dem Konzernbaukasten, kombiniert mit einer Achtgangautomatik von ZF. Vollelektrische Antriebe sind nicht geplant. In der Kurzversion leistet der Benziner 280 kW / 380 PS, beim Langen sind es 305 kW / 415 PS. Das Plus verdankt er einem 48 Volt starken Supercharger. Allradantrieb soll – zumindest bei der Langversion – ebenso Standard sein wie ein Luftahrwerk oder die Hinterradlenkung. Für den europäischen Markt wurden Fahrwerk und Lenkung noch einmal nachgeschliffen. Bei ersten Tests auf koreanischen Straßen bemängelten wir ehemals das wenig aktive Fahrverhalten. Vor allem, wenn man die koreanische S-Klasse mal ein wenig engagierter um die Ecken treibt. Beim Komfort hingegen fuhr der G90 bereits auf Augenhöhe. Stress sperrt unter anderem das dicke Akustikglas aus, Windgeräusche kommen kaum durch. Unser Fazit damals: Viel kommoder, entspannter und feudaler lässt es sich auf vier Rädern kaum reisen. Am besten hinten rechts.
Der Kurs dürfte entsprechend sein. Da Genesis noch keine Preise rauslassen will, spekulieren wir: Unter 100.000 Euro sticht das Flaggschiff sicher nicht in See. Die Langversion im vollen Ornat wird bestimmt nach weiteren 20.000 Euro verlangen. Viel Geld. In der Höhle der Löwen allerdings fast noch ein Freundschaftsangebot.