Nach der überraschenden Flucht des früheren Autobosses Carlos Ghosn aus Japan in den Libanon sind in der Türkei sieben mutmaßliche Helfer festgenommen worden. Darunter seien vier Piloten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Sie würden verdächtigt, Ghosn bei der Flucht mit einem Privatjet von Japan über Istanbul in den Libanon geholfen zu haben. In Tokio durchsuchten Ermittler das Haus Ghosns.
Nach dem früheren Konzernchef von Renault wird zugleich mit einem internationalen Fahndungsaufruf gesucht. Der libanesische Justizminister Albert Sarhan erklärte, die Generalstaatsanwaltschaft in Beirut habe ein entsprechendes Gesuch der internationalen Polizeibehörde Interpol erhalten, wie die staatliche Nachrichtenagentur NNA meldete. Aus libanesischen Justizkreisen hieß es, Ghosn solle in der kommenden Woche befragt werden.
Dass seine Familie in die Planung seiner Flucht verwickelt gewesen sein könnte, wies Ghosn in einem Statement zurück. "Es war ich ganz allein, der meine Ausreise organisiert hat", so Ghosn. Anderslautende Berichte seien unwahr. "Meine Familie hat keine Rolle gespielt."
Sicher fühlen könnte sich der Ex-Manager in Frankreich. "Wenn Herr Ghosn nach Frankreich käme, würden wir Herrn Ghosn nicht ausliefern, denn Frankreich liefert niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus", sagte die Staatssekretärin im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, Agnès Pannier-Runacher, am Donnerstag dem Sender BFMTV. Ghosn besitzt die französische, brasilianische und libanesische Staatsangehörigkeit.
Entlassung erfolgte unter strengen Auflagen
Der frühere Renault-Chef war am 19. November 2018 in Tokio wegen Verstoßes gegen Börsenauflagen festgenommen und angeklagt worden. Im April 2019 wurde er auf Kaution aus der Untersuchungshaft in Japan entlassen - unter strengen Auflagen, um zu verhindern, dass er flieht oder Beweismaterial vertuscht. Unter anderem wurde ihm verboten, das Land zu verlassen.
Wie Ghosn dennoch aus Japan entkam, ist weiter unklar. Der 65-Jährige soll zwei französische Pässe besitzen, von denen er nur einen abgegeben habe. Den zweiten habe er in einer abgeschlossenen Tasche mit sich tragen dürfen, berichtete der japanische Sender NHK ohne Quellenangabe. Die französische Agentur AFP meldete, ihr sei dies bestätigt worden. Aus libanesischen Jusitzkreisen hieß es, Ghosn sei mit einem gültigen neuen französischen Pass eingereist. Dem NHK-Bericht zufolge liegt den japanischen Behörden kein Vermerk über eine Ausreise des Ex-Managers vor.
Ein Sprecher des französischen Außenministeriums wollte die Berichte über einen zweiten Pass am Donnerstag in Paris nicht kommentieren. Er verwies auf die japanischen Behörden, die die Sache untersuchten.
Mit Privatjet in Beirut gelandet
Ghosn will sich erst in der kommenden Woche äußern. Er sei "nicht länger eine Geisel des manipulierten japanischen Justizsystems", hatte er in einer ersten Stellungnahme betont. Ghosn besitzt ein Luxusanwesen in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Für seine Flucht soll der inzwischen für den regulären Betrieb geschlossene Atatürk-Flughafen in Istanbul genutzt worden sein. Ghosn war am Sonntagabend mit einem Privatjet auf dem Internationalen Flughafen in Beirut gelandet.
Die französische Staatssekretärin Pannier-Rumacher betonte, für alle würden die gleichen Spielregeln gelten. Sie erinnerte allerdings erneut daran, dass niemand über dem Gesetz stehe. Die französischen Behörden hatten nach eigenen Angaben von Ghosns überraschender Flucht aus den Medien erfahren.
Aus dem Außenministerium in Tokio hieß es, Japans Regierung sei nun auf Hilfe der libanesischen Behörden angewiesen, da kein Auslieferungsabkommen mit dem Mittelmeerstaat bestehe. Ghosn soll laut Staatsanwaltschaft auch private Investitionsverluste auf Nissan übertragen haben. Er gilt als Architekt des internationalen Autobündnisses zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi. (dpa)
Beobachter
M. Bellinger