Deutsche Autobauer müssen sich nach Einschätzung von Branchenexperten stärker anstrengen, um bei der schnellen Entwicklung von Elektroautos in China mitzuhalten. Auf der internationalen Automesse in Peking sagte der deutsche Unternehmensberater Peter Hage von der Districom Group am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur: "Was Elektromobilität angeht, muss man sagen, fahren sie fast gar nicht mit." Insgesamt hätten deutsche Hersteller auf dem weltgrößten Markt für E-Mobilität "bisher sehr wenige Modelle wirklich im Vertrieb".
Die "Auto China 2020" in Chinas Hauptstadt ist die erste große internationale Autoausstellung seit Beginn der Pandemie. China, wo das Coronavirus im Dezember zuerst entdeckt worden war, hat den Ausbruch mit strengen Maßnahmen weitgehend unter Kontrolle gebracht und zählt schon länger kaum noch lokale Infektionen. So kann die im Frühjahr zunächst verschobene Ausstellung, die zu den größten der Autowelt gehört, jetzt nachgeholt werden.
"Leitmarkt der Elektromobilität ist China"
"Der Leitmarkt der Elektromobilität ist China - und zwar mit deutlichem Abstand", sagte der Experte Stefan Bratzel, vom Center of Automotive Management (CAM). "Man muss sehr aufpassen, da nicht abgehängt zu werden, wenn man nicht investiert." Die Regierung tue viel für die Förderung. Es gebe Subventionen und Anreize für Käufer.
Viele Metropolen beschränkten Benziner. Ladestationen würden ausgebaut. Chinesen seien offener für technische Innovationen, führen meist in der Stadt und weniger weite Strecken über Land. "Schon allein wegen China mussten deutsche Autobauer die E-Mobilität viel höher auf ihre Agenda setzen, weil der Druck enorm stark ist."
Bislang fahren schon mehr als vier Millionen elektrisch betriebene Fahrzeuge auf Chinas Straßen. Dieses Jahr sollen allein eine Million E-Autos verkauft werden. Der Absatz wächst deutlich schneller als bei Benzinern. "Der Anteil am Passagierwagenmarkt ist mit fünf bis sechs Prozent zwar noch vergleichsweise niedrig, aber bis 2025 sollen es 20 bis 25 Prozent E-Autos werden", sagte der Generalsekretär der Personenwagenvereinigung (CPCA), Cui Dongshu. Dann dürften nach Schätzungen vier Millionen E-Autos pro Jahr verkauft werden.
Auto China 2020
BildergalerieBMW-China-Chef Jochen Goller ging auf dpa-Nachfrage auf die Warnungen ein, dass deutsche Autobauer nicht die richtigen Produkte für E-Mobilität hätten. "Bis heute mögen sie vielleicht recht gehabt haben", sagte Goller. Doch habe sich die Nachfrage erst entwickelt. "Zum ersten Mal sehen wir, dass es einen Markt gibt", sagte Goller, der von einem "großen Marktplatz" sprach. BMW biete deswegen jetzt auch jedes seiner neuen Modelle nicht nur als Benziner, sondern auch elektrisch an. In dieser Woche startet in China auch die Produktion des elektrischen Stadtgeländewagens iX3.
Insgesamt kommen deutsche Hersteller aus Sicht von Districom-Chef Hage aber zu langsam auf den Markt. Dabei genössen sie in China hohes Ansehen. "Sie könnten mit ihrer Marke viel stärker ins Geschäft kommen, haben bisher aber nicht die Produkte", sagte der Berater, der seit 16 Jahren in der Autoindustrie in China tätig ist. "Je länger diese Situation vorhält, umso stärker ist es möglich für andere Anbieter, besonders Tesla, dieses Feld zu besetzen." Andere könnten sich als attraktive Innovationsführer präsentieren und argumentieren: "Wir haben vielleicht keine hundertjährige Markengeschichte, vielleicht auch keine Holzinnenausstattung und drei Ledersorten - aber niemand ist besser als wir, was die Zukunft angeht. Und die Zukunft ist jetzt." Deutsche Autobauer müssten auch stärker hinhören, was der Kunde wirklich wolle, und in der Entwicklung neuer Fahrzeuge und Dienstleistungen pragmatischer sein.
Am Anfang sei der US-Hersteller Tesla weltweiter Innovationsvorreiter gewesen, sagte Hage. In der Breite habe aber dann der weltgrößte Automarkt in China die deutsche Autoindustrie gezwungen, "sich schneller der E-Mobilität und Innovation hinzuwenden". Es gebe aber immer mehr Konkurrenz, verwies der Experte unter anderem auf chinesische Start-Ups wie Nio, Xpeng, die Geely-Tochter Lynk@Co oder WM (Weltmeister), von denen einige gerade Milliarden an Investorengeldern einsammeln. "Das Fenster wird immer kleiner", sagte Hage. "Und es gibt immer mehr Spieler gerade im chinesischen Markt." (dpa)
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