Die wachsende Ansteckungsgefahr und die drastischen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zwingen Volkswagen von Donnerstagabend an zur Schließung der Werke in Deutschland. Auch in anderen Ländern Europas wird die Produktion der Kernmarke vorläufig unterbrochen, bei mehreren Töchtern wird dieser Schritt geplant oder ist bereits in Kraft. An den VW-Pkw-Standorten in der Bundesrepublik soll mit dem Ende der Spätschicht um 22.00 Uhr die Fertigung ruhen.
Für die internen Zulieferfabriken gelte dies dann "teilweise" schon ebenfalls, erklärte Kernmarkengeschäftsführer Ralf Brandstätter – wie auch für die leichten Nutzfahrzeuge und den Sitzhersteller Sitech. Örtlich zieht sich das Herunterfahren bis in den Freitagnachmittag, wie aus Braunschweig zu hören war. Zunächst zehn Arbeitstage lang sollen keine Fahrzeuge oder Bauteile mehr hergestellt werden. In einer ersten Phase würden Überstunden abgebaut, wie Beschäftigte berichteten.
Im Zuge der bevorstehenden Fabrikschließungen wird auch für viele Beschäftigte der Volkswagen-Kernmarke übergangsweise Kurzarbeit beantragt. Grund seien die beträchtlichen Arbeitsausfälle in der Produktion sowie in den angrenzenden Bereichen, hieß es. Zunächst will das Unternehmen die Lage durch die Arbeitszeitkonten abfedern - beispielsweise über Abbau von Überstunden oder schon geplante Abwesenheiten. Wo nötig, müsse man dann darüber hinaus Kurzarbeit bei den örtlich zuständigen Niederlassungen der Bundesagentur für Arbeit beantragen.
Verunsicherte Mitarbeiter
Im wichtigsten Markt China, wo die Pandemie ausgebrochen war, hatte VW schon zahlreiche Werke vom Netz nehmen müssen. Während sich die Lage dort wieder langsam stabilisiert, schlagen die Probleme jetzt voll auf die Heimatregion des weltgrößten Autokonzerns durch. Vorgaben zum Gesundheitsschutz waren zuletzt nicht mehr vollständig einzuhalten, es gab auch positive Virus-Testergebnisse. "Die Verunsicherung in den Büros und an der Linie hatte in den letzten Tagen immer mehr zugenommen", sagte Brandstätter. "Das Gefühl der Unsicherheit wollten wir niemanden mehr zumuten." Zudem sackt die Auto-Nachfrage stark ab, VW droht eine teure Unterauslastung der Produktion. "Der europäische Automobilmarkt liegt derzeit am Boden."
Abbrechende Lieferketten führen ebenso zu Problemen, wenn Mitarbeiter von Lieferanten zu Hause bleiben müssen oder es in der Logistik hakt. "Natürlich hat uns auch die Teileversorgung Sorge bereitet", meinte Brandstätter. "Transitrouten sind teilweise geschlossen, bei einigen Zulieferern stehen die Betriebe still."
Der Stopp bei VW gilt für den Stammsitz Wolfsburg, die Standorte Emden, Hannover, Osnabrück, Zwickau, Dresden und die Komponentenwerke Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Chemnitz sowie die Sparte Sitech. In Spanien ist Pamplona, in Portugal Palmela betroffen. Im slowakischen Bratislava wird seit Dienstag nicht mehr gearbeitet. Schließungen gibt es bis zum Wochenende auch bei Audi in Ingolstadt und Neckarsulm sowie in Belgien, Ungarn und Mexiko. Bei Porsche bleiben das Stammwerk in Stuttgart-Zuffenhausen und das Werk in Leipzig von Samstag an für zunächst zwei Wochen dicht. Skoda hatte in Tschechien bereits am Mittwochabend die Fertigung heruntergefahren.
In Volkswagens US-Werk in Chattanooga, Tennessee, werden die Bänder von diesem Samstag an für zunächst eine Woche angehalten. Der Schritt erfolge, um die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten sicherzustellen, in der Fabrik würden zusätzliche sanitäre und Reinigungsmaßnahmen vorgenommen. Alle Mitarbeiter sollen vorerst weiter voll bezahlt werden, hieß es in einem Statement von Werksleiter Tom du Plessis.
VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh sagte: "In Zeiten, in denen die Menschen nicht mehr auf Spielplätze, zu Konzerten, in die Kirche oder abends ins Restaurant dürfen – und auch keine Autos mehr kaufen und Volkswagen Zuliefererprobleme hat –, da kann die Produktion nicht einfach weiterlaufen, als wäre nichts passiert." Die finanziellen Risiken der Krise sind laut Vorstandschef Herbert Diess noch nicht abzuschätzen. Eine Prognose fürs restlichen Jahr ist kaum möglich.
ID.3-Start "ganz oben auf der Liste"
Das wichtigste Projekt 2020 ist der Start des E-Autos ID.3. Dort gibt es bereits Verzögerungen mit der Software-Ausstattung. Der Anlauf habe Priorität, so Brandstätter – er stehe "ganz oben auf der Liste".
Auch die schweren Nutzfahrzeuge spüren die Corona-Folgen. Die Tochter MAN setzt ihre Produktion in München ebenfalls am Donnerstag aus, für die Zeit ab Montag soll für die meisten Beschäftigten Kurzarbeit beantragt werden. Scania unterbricht die Fertigung ab dem 25. März. (dpa)