Von Michael Specht/SP-X
Viele wollen, wenige tun es. Neue Elektroautos gelten gemeinhin als zu teuer. Sie übertreffen, besonders im Kompaktsegment, ihre Verbrenner-Pendants oft um mehr als 10.000 Euro. Beklagt werden zudem die ungenügende Reichweite sowie die mehr oder weniger lückenhafte Infrastruktur an Ladesäulen. Umweltboni vom Staat und Zuschüsse vom Händler sollen zwar gewisse Kaufreize bieten, auf wirklich fruchtbaren Boden fallen sie nicht. Es wundert wenig, dass er Anteil an Elektroautos bei uns noch immer unter zwei Prozent liegt.
Beschäftigt man sich allerdings mit der Anschaffung eines gebrauchten E-Autos, sieht die Sache in vielen Punkten schon attraktiver aus. Der Wertverlust – laut Marktbeobachter Schwacke liegt dieser nach drei Jahren bei durchschnittlich 46,3 Prozent des Neuwerts – bringt für Normalverdiener die Second-Hand-Stromer finanziell in erreichbare Regionen. Schließlich gibt es Modelle, die schon knapp zehn Jahre am Kabel hängen, beispielsweise der Nissan Leaf. Auch die ersten BMW i3, Renault Zoe und Model S von Tesla haben über sechs Jahre auf dem Buckel.
Wer beispielsweise den Leaf, immerhin das meistgebaute Elektroauto der Welt, in den gängigen Gebrauchtwagen-Portalen anklickt, bekommt für ein dreijähriges Exemplar mit etwa 35.000 Kilometer Laufleistung rund 18.000 Euro genannt. Ein e-Golf rangiert dort bei etwa 20.000 Euro, für einen BMW i3 werden noch rund 22.000 Euro verlangt. Das Entscheidende aber ist: Der gebrauchte Stromer steht technisch so gut wie immer besser da als ein gleichalter und gleich viel gefahrener Diesel oder Benziner und ist damit im Prinzip der risikolosere Kauf.
E-Autos verschleißen weniger
Der Grund ist einfach erklärt: Elektroautos verschleißen deutlich weniger. Frei nach dem Motto: Was nicht da ist, kann auch nicht kaputtgehen. Keine Kolben, keine Zylinder, kein Auspuff, keine Kupplung, kein Getriebe, kein Anlasser, keine Kühlwasserpumpe, keine Einspritzanlage, kein Zahn- und Keilriemen. Und da die Bremsen selten beansprucht werden, nutzen sie nur äußerst wenig ab, können somit locker länger als 100.000 Kilometer halten.
Die meisten Elektroautos lassen sich im sogenannten "One-Pedal-Driving-Modus" bewegen, also nur mit dem Fahrpedal beschleunigen und abbremsen. Lupft man den "Gasfuß", verzögert der Elektromotor das Auto und gewinnt dabei Strom. Dieser wird in die Batterie eingespeist. Der Fachmann spricht von Rekuperation. Auf diese Weise lässt sich ein E-Auto entspannt selbst durch eine Großstadt wie Hamburg oder Berlin bewegen, ohne auch nur einmal auf das Bremspedal treten zu müssen, zumindest so lange nicht, bis eine brenzlige Verkehrssituation einen dazu zwingt.
Hinzu kommt, dass herkömmliche Gebrauchtwagen stets einem gewissen Risiko unterliegen, wer sie gefahren hat und wie sie gefahren wurden. Hat der Vorbesitzer die Kupplung oft schleifen lassen oder den Motor im kalten Zustand hochgedreht? So etwas hinterlässt seine Spuren, wissen Experten. "Ein Langstreckenfahrzeug, das häufig auf der Autobahn unterwegs ist und seine volle Betriebstemperatur erreicht hat, verschleißt trotz höherer Kilometerleistung weniger als eines, das nur für kurze Wege ins Büro oder zum Einkaufen genutzt wird", sagt Dr. Karl Obermair, Director Future Mobility TÜV Rheinland.
Umsichtiger Umgang mit Elektroautos
Einem Elektromotor dagegen ist es vollkommen egal, ob sie zwei, 20 oder 200 Kilometer bewegt werden. Ihre Lebensdauer übertrifft jene der Verbrenner um ein Vielfaches. Hinzu kommt, Fahrer von Elektroautos gehen meist umsichtiger mit ihrem Wagen um, fahren eher im Spar- als im Spaßmodus. Und die Höchstgeschwindigkeit ist häufig auf 150 bis 160 km/h begrenzt.
Kritiker werfen in Sachen Verschleiß daher gerne das Thema Batterie ein, unterstellen dem Akku einen Kapazitätsverlust bereits nach einigen Jahren. Die Realität sieht indes anders aus. So gut wie alle Hersteller geben auf die Batteriezellen acht Jahre Garantie – und dies nicht aus Marketinggründen. Sollte die Leistungsfähigkeit des Akkus bis dahin auf unter 80 Prozent der ursprünglichen fallen, würde der Kunde einen neuen Energiespeicher eingebaut bekommen. Wie langlebig die Batterie ist, weiß auch der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung. Seit fast sechs Jahren fährt er privat einen i3. Die Zellen (Samsung) des BMW liefern nicht die geringsten Hinweise auf Müdigkeit, auch nicht nach den rund 1.000 bisher bereits getätigten Ladezyklen.
Richtig ist, Batteriezellen mögen keinen Ladestress. Den hätten sie, wenn beispielsweise bei Minusgraden am CCS-Schnelllader mit hoher Leistung geladen wird. Oder auch, wenn die Zellen ständig sehr schnell entladen werden, wie das bei einer Hatz mit Höchsttempo über die Autobahn der Fall wäre. Doch erstens kommt dies äußerst selten vor und zweitens haben Hersteller hier vorgebeugt und die Software der Ladeelektronik so programmiert, dass die Zellen immer nur so viel an Strom aufnehmen, wie sie schadlos verkraften können. Ohnehin laden rund 90 Prozent der Besitzer ihre Elektroautos zu Hause, entweder über die gewöhnliche Steckdose oder über eine Wallbox. Mehr "Wellness" kann man den Batteriezellen nicht gönnen.
Wie viel Dauerstress ein Lithium-Ionen-Akku schadlos verkraftet, zeigte kürzlich der Tesla von Hansjörg-Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg. Der Mann hat mit seinem Model S bereits eine Million Kilometer abgespult und zeitbedingt fast nur an Super-Charger-Säulen geladen. Zwar musste die Batterie nach 290.000 Kilometer (Garantiefall) ausgetauscht werden, die zweite aber quittiert ihren Dienst selbst bei über 710.000 Kilometern bisher noch nicht.