Auch VW-Kunden in Europa sind von manipulierten Messungen bei Diesel-Abgaswerten ihrer Fahrzeuge betroffen. Das sei der von ihm eingesetzten Untersuchungskommission am Mittwoch bei ersten Gesprächen in Wolfsburg mitgeteilt worden, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Donnerstag in Berlin. Um wie viele Autos es genau gehe, stehe noch nicht fest. "Das wird sich in den nächsten Tagen klären." Dobrindt sagte: "Wir werden deswegen auch weiterhin intensiv daran arbeiten, gemeinsam mit Volkswagen genau herauszufinden, um welche Fahrzeuge es sich im Detail handelt, um auch die Öffentlichkeit weiter darüber zu informieren." Seinen Angaben zufolge geht es um Fahrzeuge mit 1,6- und 2,0-Liter-Dieselmotoren.
Nach dem Bekanntwerden des Skandals in den USA hatte Volkswagen bereits mitgeteilt, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen seien. VW hat die Autos mit einer Software so manipuliert, dass sie bei Tests deutlich weniger gesundheitsschädliche Stickoxide ausstießen als tatsächlich auf der Straße. Konzernchef Martin Winterkorn trat wegen der Affäre zurück.
Dobrindt sagte, die Aufgabe sei jetzt, herauszufinden: "Was ist in wie vielen Fällen geschehen?" Man müsse also klären, in wie viele Autos die Software eingebaut wurde und wo sie auch aktiv sei. Auf die Frage, ob die manipulierten Autos nicht umgehend aus dem Verkehr gezogen werden müssten, sagte der Minister, bevor man zu Entscheidungen komme, müsse der Schaden weiter untersucht werden. Die Möglichkeiten der Reaktion seien vielfältig. "Aber es gilt jetzt erst mal, noch die nächsten Tage abzuwarten, bis wir vollumfänglich mit VW auch den Schadensumfang identifizieren können."
Nachuntersuchung durch das KBA
Experten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) seien bereits dabei, Fahrzeuge einer strengen Nachuntersuchung zu unterziehen. "Die VW-Modelle, die da zurzeit in Rede stehen, werden sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße untersucht", sagte Dobrindt. Autos anderer deutscher und ausländischer Hersteller würden stichprobenartig untersucht.
Scharfe Kritik kam von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Die Zeit für Stichproben ist längst abgelaufen", sagte er und forderte eine "Prüfoffensive": Alle Dieselfahrzeuge sämtlicher Modelle, die in Deutschland unterwegs seien, müssten getestet werden - und zwar auf dem Prüfstand und auf der Straße. Hofreiter forderte außerdem "eine Selbsterklärung der deutschen Hersteller, wie handhaben sie das, um weiteren Imageschaden von dieser für unser Land sehr wichtigen Industrie abzuwenden".
Liste betroffener Diesel-Pkw
Volkswagen bereitet unter Hochdruck eine Liste der von der Abgas-Affäre betroffenen Dieselwagen vor. "Wir arbeiten dran, können aber noch nicht sagen, wann sie veröffentlicht wird", sagte ein VW-Sprecher der Deutschen-Presse-Agentur. Möglicherweise werde die Liste noch in dieser Woche vorliegen, erklärte er. Erst danach könne über eine mögliche Rückrufaktion entschieden werden.
Bei der Premiumtochter Audi müssen vier Modellreihen unter die Lupe genommen werden. Der Motor vom Typ EA 189 sei auch in Fahrzeuge der Modellreihen A1, A3, A4 und A6 verbaut worden, sagte ein Audi-Sprecher am Donnerstag in Ingolstadt. Zuvor hatte es entsprechende Medienberichte gegeben. Die genauen Baujahre und die Anzahl der Fahrzeuge könnten aber noch nicht genannt werden. Ob die Autos von den Software-Manipulationen betroffen seien, könne er ebenfalls noch nicht sagen.
Skandal weitet sich auf Skoda und Seat aus
Von den Problemen mit manipulierten Abgaswerten sind neben Audi weitere Konzerntöchter betroffen. Innerhalb des Konzerns teilen sich die Unternehmen etliche Bauteile, darunter auch Motoren und Getriebe. Ein Sprecher von Skoda bestätigte am Donnerstag, Modelle der Reihen Fabia, Roomster, Octavia und Superb aus den Jahren 2009 bis 2013 seien teilweise mit den betroffenen Dieselmotoren ausgerüstet worden. Bei aktuellen Modellen gebe es keine Probleme.
Skoda hat nach eigenen Angaben in Deutschland einen Marktanteil von knapp sechs Prozent. Das Verkehrsministerium in Prag hat eine Untersuchung eingeleitet und will bei einer eventuellen Rückrufaktion behilflich sein, wie ein Sprecher mitteilte. Skoda-Chef Winfried Vahland wird neben anderen als möglicher Nachfolger des zurückgetretenen VW-Chefs Martin Winterkorn gehandelt. Der 58-Jährige steht seit 2010 an der Spitze des Autobauers aus Mlada Boleslav und war zuvor fünf Jahre lang für Volkswagen in China tätig.
Auch Seat bestätigte, dass in dem Werk der spanischen VW-Tochter Fahrzeuge mit der manipulierten Diesel-Technologie montiert worden seien. Die genaue Zahl sei nicht bekannt, verlautete aus Unternehmenskreisen. Eine Untersuchung solle nähere Aufschlüsse bringen. Die spanische Zeitung "El País" (Donnerstag) berichtet, dass seit 2009 bei Seat eine halbe Million Autos mit der manipulierten Abgas-Technologie montiert worden seien. Als Quelle wurden inoffizielle Kreise genannt, die mit dem Unternehmen in Verbindung stünden.
Weitere personelle Konsequenzen
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) rechnet in der VW-Abgas-Affäre mit "weiteren personellen Konsequenzen" in den nächsten Tagen. "Wir verlangen auch die Konsequenzen", sagte Lies, der Mitglied im VW-Aufsichtsrat ist, am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk. "Es geht um die gesamte Struktur bei Volkswagen." Am Mittwoch hatte Konzernchef Martin Winterkorn angesichts des enormen Ausmaßes der Affäre seinen Posten geräumt. "Jetzt muss es darum gehen, für 600.000 Mitarbeiter, 280.000 allein in Deutschland, die Sicherheit zu schaffen, dass wir die Lage im Griff haben", sagte Lies.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kündigte rückhaltlose Aufklärung an. Im ARD-Morgenmagazin sagte das VW-Präsidiumsmitglied: "So etwas darf sich bei Volkswagen nicht wiederholen." Es werde lange dauern, bis das Unternehmen das verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen könne. "Der erste Schritt dazu ist, klipp und klar die Dinge auf den Tisch zu legen. Und dazu sind wir entschlossen."
Betriebsratschef Bernd Osterloh forderte eine grundlegende Überholung der Unternehmenskultur. "Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden. Wir brauchen eine Kultur, in der man mit seinem Vorgesetzten um den besten Weg streiten kann und darf", fordert er in einem Schreiben an die VW-Mitarbeiter, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Als VW-Chef komme nur "eine Persönlichkeit mit großem technischen und unternehmerischen Sachverstand und gleichzeitig großer sozialer Kompetenz" infrage. Am Freitag will der Aufsichtsrat über einen Nachfolger beraten. (dpa)
Rainer Nimtz
Insider
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