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Die Autos der Ölkrise: Zwischen Stillstand und Wahrheit

29.10.2023 12:00 Uhr | Lesezeit: 4 min
Gab es Ende 1973 keinen deutschen Cityflitzer mehr, revitalisierte der sparsame und schicke Audi 50 diese Klasse ein Jahr später.
© Foto: Audi

In der ersten Ölkrise vor 50 Jahren bestimmten ausverkaufte Tankstellen, Sonntags-Fahrverbote, strenge Tempolimits und Benzin-Gutscheine Politik, Alltag und Wirtschaft. Für die Autohersteller Anlass, neue Spritsparmodelle zu entdecken.

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Dieser Herbst machte alles anders. Im Oktober 1973 erlebte die westliche Welt den ersten Ölpreisschock und eine Energiekrise, in der Werke stillstanden und sich auch die bundesdeutschen Arbeitslosenzahlen verdreifachten. Gerade noch hatte die Automobilindustrie auf der Branchenschau IAA neue furiose Turbo-Sportler, V12-Boliden und Rallyestreifen-Renner präsentiert, da kam es zum Jom-Kippur-Krieg zwischen Ägypten-Syrien und Israel. Die Folge: Die von arabischen Ländern dominierte Vereinigung Erdöl exportierender Länder (OPEC) drosselte ihre Fördermenge, um politischen Druck auf die westlichen Industriestaaten auszuüben. Statt immer schneller mussten Autos plötzlich sparsam sein.

Inflationäre Spritpreise, ausverkaufte Tankstellen, strikte Tempolimits, Fahrverbote und Benzin-Gutscheine für Ferienreisen stürzten die Automobilindustrie in ein tiefes Tal der Krise, aus dem sie erst zwei Jahre später herausfand. Die Krise als Katalysator: Gut 100 neue Modelle sollten Freude am Sparen vermitteln, teils durch Motoren, die mit billigerem Normalbenzin liefen (etwa BMW, Opel und Porsche), mit Downsizing-Konzepten (US-Hersteller) oder als kreative Kleinwagen (Audi, Honda oder Nissan). Allerdings versprach die Werbung meist mehr, als die Real-Verbräuche halten konnten. Wahr ist aber, dass die Ölkrise Kleinwagen und Kompakte klassenlos fein machte und Diesel gesellschaftsfähig wurden. Audi 50, Ford Fiesta, VW Golf und Fünfzylinder-Mercedes führten es vor.


Autos der Ölkrise 1973

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Ölkrise: Industrie brauchte neue Siegertypen

Es waren Monate, die die Menschen in Atem hielten und in der sich die Autowelt nachhaltig veränderte. Während die Sesamstraße das Kinderfernsehen revolutionierte, der Komiker Otto Waalkes erstmals die Album-Charts stürmte, der britische Hollywoodstar Roger Moore als James Bond 007 debütierte, Bayern München auf dem Kaiserslauterer Betzenberg sieben Tore kassierte, aber am Ende der Saison wieder den Bundesligatitel feierte, und die amerikanische Watergate-Affäre Enthüllungen hervorbrachte, bis Präsident Richard Nixon von seinem Amt zurücktrat, in dieser Zeit suchte die Automobilindustrie hektisch nach neuen Siegertypen.

Die Spritpreise kletterten im Herbst 1973 um bis zu 50 Prozent nach oben. Benzinkanister wurden knapp, denn verunsicherte Autofahrer tätigten an den Tanken Hamsterkäufe, bis die Zapfsäulen leer waren. Die Sorge vor einer drastischen Ölverknappung ließ die SPD-FDP-Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt in aller Eile ein „Energiesicherungsgesetz“ durch den Bundesrat bringen: Ab dem 25. November wurde an vier aufeinanderfolgenden Sonntagen ein Fahrverbot verhängt. Auf Landstraßen und Autobahnen galt ein Tempolimit von 80 bzw. 100 km/h, und für Urlaubsländer gab es Benzingutscheine – falls noch jemand Reiselust verspürte. Im Dezember brach der bundesdeutsche Neuwagenmarkt schließlich um fast 50 Prozent ein, und die Halden unverkaufter Autos wuchsen, besonders bei spritfressenden Gebrauchtwagen.


75 Jahre Citroën 2CV

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Ölkrise: Richtgeschwindigkeit 130 km/h

Nicht nur die Autokäufer waren verunsichert, die Industrie wusste anfangs ebenfalls nicht, wohin die Reise führte, zumal viele Staaten und auch das Bundesverkehrsministerium dauerhaft strenge Geschwindigkeitsbegrenzungen fixieren wollten. Hierzulande zeigte ein bis heute einzigartiger Anti-Tempolimit-Proteststurm Wirkung, in der Öffentlichkeit angeführt von Unterschriftenaktionen wie „Freie Fahrt – Faire Fahrt“ (Düsseldorf) und „Freie Fahrt“ (Köln), einer Bürgerinitiative in Hannover, über 150.000 Leser-Protesten eines Stuttgarter Fachblatts, die ans Verkehrsministerium gingen, und millionenfach verteilten Aufklebern eines Münchner Autoclubs.

Statt Tempo 100 galt ab März 1974 auf Autobahnen Richtgeschwindigkeit 130 km/h, damals mehr Tempo als viele frisch kreierte Mager-Motorisierungen jener Ära schafften, die als Billigangebote Absatzzahlen beschleunigen sollten. Etwa der nun auf 29 kW/40 PS abgemagerte Fiat 127 (Spitze 126 km/h), der gleich schwache Opel Kadett 1.0 (122 km/h) oder der größte Käfer aller Zeiten, den es als VW 1303 A mit 25 kW/34 PS-Boxermotor für beschauliche 115 km/h gab. Hinzu kamen bekannte Kleinwagen à la Citroen 2 CV & Dyane, Renault R4, R5, der neue R6 L oder Fiat 500 und 126 sowie der frische Fiat 133, als erste Seat-Entwicklung für Exportmärkte, die plötzlich besonders gefragt waren. „Spar-Gebot Normalbenzin“, dieser Werbeslogan war eingängig, tatsächlich sorgte die motorische Umstellung auf die billigste Benzinsorte auch beim Porsche 911 für Furore.


125 Jahre Opel Automobile

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Ölkrise: Porsche mit Normalbenzin

„Anlässlich eines neutralen Vergleichstests zwischen vier Mittelklassewagen und dem Porsche ging der 911 bei allen gemessenen Geschwindigkeiten als Sieger hervor“, kommunizierte das Porsche-Marketing. Ob dieser Sieg der Umstellung auf 91-Oktan-Normalbenzin zu verdanken war, blieb offen. Allerdings ermittelte die Fachpresse in Vergleichsfahrten, dass etwa der Opel Kadett mit Super-Benzinmotor 30 Prozent weniger Sprit konsumierte als ein niedrig verdichteter Normal-Benzin-Kadett. Wichtig waren Normalbenziner für Exporte auf den US-Markt, auf dem strikte Emissionsgrenzen bald die ersten Abgas-Katalysatoren hervorbrachten, etwa bei Volvo- und Saab-Modellen.

Apropos USA: Ins Reich der Legenden gehört die Geschichte, dass US-Ikonen wie der Ford Mustang erst ab der Ölkrise schrumpften. In Wahrheit debütierte der Downsizing-Mustang II schon im Sommer 1973, und auch andere Compacts waren längst in Entwicklung.


30 Jahre Kia Deutschland

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Ölkrise: Die Japaner kommen

Schließlich bedrohten effiziente Japaner wie Toyota (Corolla), Datsun/Nissan (Cherry, Sunny), Mazda (1000/616) oder Honda Civic (Slogan „Ein Schritt in eine bessere Zukunft“) in den USA die Vormacht der Detroiter Giganten, und auch in Deutschland warnten Marktauguren vor der „Gelben Gefahr“.

Was tun gegen die Verunsicherung der Autokäufer? Luxusliner wie Mercedes 450 SEL 6.9 oder ein BMW V12 wurden um Jahre verschoben, stattdessen neue sparsame Vierzylinder lanciert wie die Einsteigertypen BMW 1502 und BMW 518; aber auch der erste Fünfzylinder-Diesel für den Mercedes 240 D 3.0, der in den USA später die S-Klasse W 116 zum König der Luxus-Knauserer machte. Effiziente Fünfzylinder-Benziner ersetzten in der Audi-Produktplanung (Typ 100) trinkfreudige Wankelmotoren (zuletzt NSU Ro 80), und die Entwicklung von Einspritz- und Turbomotoren wurde forciert.


Alfa Romeo Giulia Sprint GT 60 Jahre

Alfa Romeo Giulia Sprint GT 60 Jahre Bildergalerie

Wie es mit neuen Minis in Richtung Zukunft ging, zeigte zuerst Audi. Gab es Ende 1973 keinen deutschen Cityflitzer mehr, revitalisierte der sparsame und schicke Audi 50 diese Klasse ein Jahr später. Nebenbei schoss der Ingolstädter 1975 ein Zwillingsmodell auf dauerhaften Höhenflug: den VW Polo. Derweil finalisierte Ford den Fiesta für 1976, bei Opel gab es einen Kadett City, und sogar Volvo ergänzte seine großen 200er-Modelle 1976 um Kleinwagen (Typ 66).

Und der Käfer? Der Produktions-Weltmeister verabschiedete sich 1974 aus dem Stammwerk Wolfsburg, machte Platz für die Generation Golf. Alles beste Beispiele dafür, wie eine Krise Kreativität fördert und Entwicklungen beschleunigt, dies zeigte vor 50 Jahren auch der boomende Fahrradabsatz: Schicke Zweiräder machten Spaß, am autofreien Sonntag sogar auf Autobahnen.

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