Nach einem langsamen Start bei der Elektromobilität in China will Volkswagen mit neuen Modellen kräftig aufholen. In zwei bis drei Jahren wolle die Kernmarke auf dem größten Automarkt der Welt bei alternativen Antrieben einen ähnlich hohen Marktanteil haben wie heute bei Benzinern mit knapp 15 Prozent, sagte China-Chef Stephan Wöllenstein am Sonntag vor Eröffnung der internationalen Automesse in Shanghai. "Volkswagen hat die gute Tradition, teilweise etwas später, aber umso heftiger zu kommen."
In einer Weltpremiere stellte Volkswagen die großen elektrischen Stadtgeländewagen ID.6 X und Crozz vor. Die "Flaggschiffe" der ID.6-Familie werden in China hergestellt und sollen die Wende bringen. Derzeit hat VW bei Elektroautos nur einen Marktanteil von drei bis vier Prozent. Wöllenstein sieht aber eine "gute Chance", schon dieses Jahr eine zweistellige Prozentzahl zu erreichen. 2021 wolle der Konzern mehr als 100.000 E-Autos in China verkaufen. Der dortige boomende Markt für E-Autos wird gegenwärtig von chinesischer Konkurrenz und dem US-Hersteller Tesla dominiert.
Volkswagen investiert in den nächsten vier Jahren allein in China 15 Milliarden Euro in E-Mobilität. "Wir werden zwei bis drei Jahre brauchen, um Tesla zu überholen", sagte Wöllenstein. Er bestätigte, dass Volkswagen Schadstoffzertifikate von dem US-Hersteller gekauft hat, um seinen höheren Flottenverbrauch auszugleichen. Den Eindruck, dass damit ein Rivale unterstützt werde, wies er zurück: "Der Handel war ja von vornherein gewollt." Er rechne damit, dass der Konzern in diesem Jahr die Vorgaben von sich aus erfüllen könne.
Fokus auf SUV
Bei der Elektromobilität setzen die Wolfsburger auf Stadtgeländewagen (SUV), die in China einen hohen Marktanteil von 47 Prozent haben. Umweltschützer übten Kritik und sprachen von einem "umweltschädlichen Gestern in einem grünen Mäntelchen". Auch mit Elektromotor passe ein fast fünf Meter langes "SUV-Monster" nicht in eine umweltschonende Mobilität, sagte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann.
Kritik gibt es auch von Menschenrechtlern, die Verfolgung der Minderheit der Uiguren in Xinjiang in Nordwestchina anprangern, wo der Konzern ein Werk hat. Der Automanager verteidigte das Engagement von Volkswagen in der Region. Für das Werk in Ürümqi gelte wie für alle Standorte und auch Lieferanten in China ein Verhaltenskodex. Zwangsarbeit "kann es bei uns nicht geben", sagte der Automanager. Ferner werde "Diversität" umgesetzt, was auch die Beschäftigung von ethnischen Minderheiten "ohne jede Form von Diskriminierung" angehe.
"Wir haben klar gemacht, dass wir zu unserem Engagement in China insgesamt stehen müssen, und wir werden auch zu unserem Engagement in Xinjiang stehen, solange wir glauben, dass es aus wirtschaftlicher Sicht machbar ist", sagte Wöllenstein. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass Hunderttausende in Xinjiang in Umerziehungslager gesteckt worden sind. China weist die Vorwürfe zurück und spricht von Fortbildungszentren. Auch gibt es zunehmend Vorwürfe wegen möglicher Zwangsarbeit. Uiguren sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt.
Rund 40 Prozent seines weltweiten Geschäfts macht Volkswagen in China, das einen Anteil am globalen Automarkt von rund einem Drittel hat. In diesem Jahr will der Konzern in China so schnell wie der Gesamtmarkt oder auch etwas schneller wachsen, sagte Wöllenstein, der eine «starke Erholung» erwartet. Experten rechnen mit mindestens sechs Prozent Wachstum, da China das Coronavirus weitgehend im Griff und sich das Leben seit Sommer schon normalisiert hat. Allerdings bremst der Chipmangel die Produktion und schafft Unsicherheit.
Wöllenstein erwartet auch im zweiten Quartal noch "beträchtliche Auswirkungen" durch den Halbleitermangel. Das Problem werde noch bis 2022 bestehen. Dass die Chip-Produktion nicht in den Händen der Autoindustrie liege, "ist ein fatales Problem, das nicht so leicht gelöst werden kann", sagte der Direktor von Chinas Vereinigung der Autohändler, Jia Xinguang. Dabei hätten Autos immer komplexere Probleme wie autonomes Fahren und Energieverwaltung zu lösen.
Auch der deutsche Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht das Problem "noch lange nicht" gelöst. Bis neue Fabriken aufgebaut seien, werde es noch zwei oder drei Jahre dauern, sagte Direktor vom Center Automotive Research (CAR) in Duisburg. Er rechne damit, dass China auch hier "zur Lokomotive" werde. Das Land plane eine "Chip-Allianz".