Von Jan-Henrik Petermann und Hannes Breustedt, dpa
Nach dem mühsam errungenen Kompromiss über Milliarden-Entschädigungen in den USA steht Volkswagen in der Abgas-Affäre die nächste finanzielle Zitterpartie ins Haus. Durch ein Bußgeldverfahren der Braunschweiger Staatsanwaltschaft könnten noch höhere Folgekosten auf den Konzern zukommen als bisher kalkuliert. Ziel der Ermittler ist es, möglicherweise unrechtmäßige Gewinne aus dem Verkauf der weltweit rund elf Millionen manipulierten Dieselwagen zurückzufordern. "Wir haben ein Bußgeldverfahren gegen VW eingeleitet", sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), dem NDR und dem WDR. Dabei gehe es um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten - in ähnlichen Fällen bei Unternehmen war dies etwa die Verletzung von Aufsichtspflichten - sowie die "Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils".
Volkswagen hatte in Tests Emissionsdaten gefälscht. Dies stürzte den Konzern in eine tiefe Krise und verursachte 2015 einen Rekordverlust. Mit einer den Vorschriften entsprechenden Diesel-Abgasreinigung hätte der Autobauer an den betroffenen Fahrzeugen wohl nicht so viel verdienen können, berichtete die "SZ". Den Differenzbetrag könnte die Ermittlungsbehörde nun nachträglich einkassieren.
Ziehe sagte der Deutschen Presse-Agentur, VW sei in dem Fall schon rechtliches Gehör gewährt worden. Ein Konzernsprecher erklärte, man könne sich zum Verfahren derzeit nicht äußern, Unterlagen lägen noch nicht vor. In Braunschweig laufen bereits Ermittlungen gegen VW-Verantwortliche wegen möglichen Betrugs und Marktmanipulation.
Der Staatsanwalt sagte, die Forderungen drehten sich ausdrücklich um die weltweiten Gewinne aus den Dieselverkäufen - nicht etwa nur um die in Deutschland vertriebenen Modelle. "Wir haben dies eingeleitet gegen VW als Unternehmen", sagte Ziehe der dpa. Anders als bei den Betrugsermittlungen gehe es nicht um Verschulden einzelner Personen.
In früheren Fällen hatte die Rückforderung von Gewinnen Erfolg. Die "SZ" nannte die Bestechungsaffären bei Siemens und MAN als Beispiele. Der zugrundeliegende Paragraf 17 im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten lautet: «Die Geldbuße soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen.»
44 klagende Bundesstaaten in den USA
Von den US-Strafen soll Kalifornien, wo der Abgas-Skandal mit aufgedeckt worden war, einen beträchtlichen Teil bekommen: 86 Millionen Dollar (78 Millionen Euro). Damit dürfte Kalifornien unter den 44 klagenden Bundesstaaten die größte Summe erhalten. In Vergleichen mit den Staaten räumt VW bestehende und künftige Verbraucherschutzklagen mit einem Betrag über insgesamt 603 Millionen US-Dollar aus der Welt. Doch das ist nur die bundesstaatliche Ebene. Außerdem muss Volkswagen voraussichtlich bis zu 14,7 Milliarden Dollar in den USA hinblättern.
In vielen weiteren Ländern hat der Konzern mit dem Unmut enttäuschter VW-Fahrer zu kämpfen. Ein finanzielles Risiko sind zudem Klagen von Anlegern wegen Marktmanipulation. VW informierte die Finanzwelt aus deren Sicht zu spät über die Folgen der Diesel-Manipulationen.
Die spanische Justiz leitete ebenfalls Ermittlungen ein. Volkswagen stehe im Verdacht des Betrugs, Subventionsbetrugs und Verstoßes gegen die Umweltgesetze, hieß es am Freitag in einer Verfügung des Richters Ismael Moreno vom Nationalen Gerichtshof in Madrid. Der Jurist trug Europas größtem Autobauer auf, einen Rechtsvertreter zu benennen.
Unregelmäßigkeiten auch bei anderen Autobauern
Die Affäre hat längst die Bundespolitik erreicht. Am Donnerstag kamen die Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu Manipulationen bei Auto-Abgasen erstmals zusammen. Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts hatten Hinweise auf Unregelmäßigkeiten auch bei anderen Autobauern ergeben. "Das Ergebnis muss sein, dass Grenzwerte zum Schutz der Gesundheit der Menschen endlich durchgesetzt werden und dass sich Verbraucher auf Herstellerangaben beim Autokauf verlassen können", sagte Ausschusschef Herbert Behrens (Linke).
In Belgien verlangen die Behörden von mehreren deutschen Herstellern Informationen über Software-Anwendungen - darunter Volkswagen, Opel, BMW, Mercedes und Audi. Die Hersteller sollten erklären, wer genau im Unternehmen entscheide, ob eine Software angewendet werde und inwiefern Kunden darüber informiert würden.
Der VW-Konzern sieht die Abgaskrise neben allen Schwierigkeiten aber auch als Chance zur Neuausrichtung. Chef Matthias Müller hatte im Juni die "Strategie 2025" vorgestellt, damit sollen E-Mobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren stärker vorankommen. Die Oberklasse-Tochter Audi will noch im Juli eine eigene "Strategie 2025" beschließen. Porsche plant, seine Position im Konzern mit einem neuen Motorenwerk zu stärken. Achtzylinder-Aggregate werden künftig nicht nur für die eigene Limousine Panamera gebaut, sondern möglicherweise auch für den Audi A8 oder Bentley-Modelle, sagte Firmenchef Oliver Blume. (dpa)