Von Nico Esch, dpa
Es begann mit VW, dann kippte ein Steinchen nach dem anderen um. Mittlerweile sind viele deutsche Autohersteller in den Abgas-Skandal verwickelt, es gibt Ermittlungen und unzählige Klagen. Volkswagen-Anleger werfen dem Konzern vor, zu spät über den sich anbahnenden Skandal in den USA informiert zu haben. Zudem verlangen Autobesitzer – nicht nur von VW – Schadenersatz oder Geld zurück, da sie sich getäuscht fühlen. Und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat massenhaft Rückrufe verordnet. Ein Überblick:
VW
Auch wenn sie angesichts der Nachrichten von anderen Herstellern manchmal schon fast in Vergessenheit gerät: Die Abgas-Affäre bleibt für Volkswagen ein juristischer Großkampf. Und sie hat ihren Ursprung in Wolfsburg. VW hatte im September 2015 eingeräumt, bei Millionen Dieselautos Abgastests manipuliert zu haben, und stürzte daraufhin in eine schwere Krise. Etwa 1,5 Millionen Autos der Marke VW mit Manipulations-Software musste der Konzern in Deutschland zurückrufen. Die anderen Konzern-Marken hinzugerechnet, waren es ursprünglich fast 2,5 Millionen in Deutschland und weltweit knapp elf.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen fast 50 mutmaßlich Beteiligte. Anklagen gibt es bisher nicht. Gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn laufen – wie auch gegen den neuen VW-Chef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch – Untersuchungen wegen möglicher Marktmanipulation. Sie sollen Anleger zu spät über die drohenden Konsequenzen des Diesel-Skandals informiert haben. Gegen Winterkorn wird zusätzlich wegen Betrugs ermittelt. Zudem will ihn die US-Justiz wegen Betrugs in der Abgasaffäre zur Rechenschaft ziehen und hat bereits einen Haftbefehl gegen ihn erwirkt. Ferner werfen ihm die Ankläger Verschwörung zum Verstoß gegen Umweltgesetze und zur Täuschung der Behörden vor.
Audi
Die Tochterfirma lieferte am Montag den jüngsten Höhepunkt im Dieselskandal des VW-Konzerns. Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen Chef Rupert Stadler ein und durchsuchte seine Wohnung. Sie legt ihm und einem namentlich nicht genannten Audi-Vorstand "Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zur Last". Die beiden hätten Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung in Europa in den Verkehr gebracht.
Die Zahl der Beschuldigten bei Audi ist damit laut Staatsanwaltschaft auf 20 gestiegen. Als einziger von ihnen sitzt ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wieder freigekommen.
Bei Audi hat das KBA bisher für 216.000 Diesel-Autos quer durch die Modellpalette einen Rückruf angeordnet, zuletzt ging es Anfang Juni um rund 60.000 Exemplare der Oberklasse-Typen A6 und A7.
Porsche
Seit knapp einem Jahr ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch bei der VW-Tochter Porsche. Es geht um den Verdacht des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Manipulation der Abgasnachbehandlung. Richteten sich die Ermittlungen zunächst gegen unbekannte Mitarbeiter, gerieten später ein aktuelles Vorstandsmitglied, ein leitender Mitarbeiter und ein früherer Porsche-Beschäftigter ins Visier. Vor knapp zwei Monaten durchsuchten Ermittler die Konzernzentrale im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen sowie weitere Standorte und nahmen den leitenden Mitarbeiter wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft.
Im Sommer 2017 hatte Porsche zunächst rund 21.500 Geländewagen vom Typ Cayenne mit 3-Liter-Motor wegen einer vom KBA beanstandeten illegalen Abschalteinrichtung zurückrufen müssen. Vor knapp einem Monat folgte ein Zwangsrückruf für weitere gut 6.750 Cayenne mit 4,2-Liter-Motor sowie für gut 52.800 Exemplare des kleineren Geländewagen-Bruders Macan mit 3-Liter-Motor.
Daimler
Konzernchef Dieter Zetsche musste sich am Montag eine bittere Pille bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abholen: 774.000 Mercedes-Benz-Diesel muss Daimler europaweit zurückrufen. Justiz und Behörden haben den Konzern zwar schon länger im Visier. Erst vor zwei Wochen aber erhob das KBA erstmals offiziell den Vorwurf, auch die Stuttgarter hätten eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet. Von nur 5.000 Exemplaren des Kleintransporters Vito war zunächst die Rede – dann aber legte Scheuer nach.
Der Hersteller hat Widersprüche angekündigt und will die Frage, ob es sich bei den vom KBA entdeckten Programmierungen um unzulässige Funktionen handelt, notfalls vor Gericht klären lassen.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt schon seit über einem Jahr wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung gegen Daimler-Mitarbeiter. Im Mai 2017 durchsuchten Ermittler diverse Standorte des Autobauers und stellten Unterlagen sicher.
BMW
BMW wird von der Münchner Staatsanwaltschaft seit März verdächtigt, in rund 11.000 Dieselautos eine falsche Abgas-Software eingebaut zu haben. Betrug mit einer "prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung" lautet der Anfangsverdacht. Vorstandschef Harald Krüger hatte auf der Hauptversammlung erklärt, bei 11.700 Autos der 5er- und 7er-Baureihen sei irrtümlich die Software einer anderen Baureihe aufgespielt worden. Mit gezielter Manipulation von Motorsteuerung und Abgasreinigung habe das nichts zu tun – die Abgaswerte auf dem Prüfstand und auf der Straße seien gleich gewesen. Nach Genehmigung durch das KBA will BMW die richtige Software aufspielen.
Opel
Opel hat bisher weder mit Ermittlungen der Justiz noch mit einem Pflicht-Rückruf zu tun. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte Vorermittlungen vor über einem Jahr eingestellt. Wie die anderen Hersteller lehnt Opel Hardware-Nachrüstungen mit der Begründung ab, dass sie nicht praktikabel seien. Das freiwillige Update der Software an rund 90 000 Diesel-Fahrzeugen der Typen Insignia, Cascada und Zafira mit Harnstoff-Katalysatoren verzögerte sich bis ins Jahr 2017. Inzwischen seien je nach Modell bis zu 80 Prozent der Wagen umgerüstet, erklärte am Dienstag ein Opel-Sprecher. Neue Autos werden seit August 2016 mit der neuen Software ausgerüstet.
Und in den USA?
Dort steckt die deutsche Auto-Industrie schon länger im Abgas-Sumpf. Es begann mit dem Geständnis des Volkswagen-Konzerns 2015. Inzwischen wurden zahlreiche Klagen in Nordamerika mit teuren Vergleichen abgeschlossen – mehr als 25 Milliarden Euro hat VW für die Manipulationen an Rechtskosten verbucht. Weiter bangen müssen der Zulieferer Bosch, dem US-Anwälte eine Schlüsselrolle im "Dieselgate"-Skandal zuschreiben, sowie Daimler und BMW, gegen die ebenfalls Sammelklagen wegen angeblicher Abgas-Manipulationen laufen. Beschuldigt werden aber nicht nur deutsche Unternehmen: Die US-Branchengrößen General Motors, Ford und Fiat Chrysler müssen sich vor US-Gerichten mit ähnlichen Vorwürfen auseinandersetzen.
Fritz Wichmann
hp