Von Matthias Brunnert/dpa
Lichthupe, Schimpfen, wildes Gestikulieren: Das sind noch die harmloseren Beispiele für Aggressivität im Straßenverkehr. "Es wird aber auch hemmungslos gerast, gedrängelt und gedroht", sagt Elisabeth Schnell von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Mitunter werde das Auto sogar als Waffe eingesetzt. In einer im September 2019 veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach beklagen inzwischen 90 Prozent der befragten Verkehrsteilnehmer eine zunehmende Aggressivität. Jetzt will sich der 58. Deutsche Verkehrsgerichtstag bis Freitag in Goslar mit dem Thema befassen.
"Nach den Erkenntnissen der Polizei sind aggressive Verhaltensweisen in den letzten Jahren häufiger geworden", sagt Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). "Vor allem Männer und Fahrende höherklassiger Fahrzeuge fallen in diesem Zusammenhang negativ auf." Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat vor allem junge männliche Verkehrsteilnehmer als Aggressoren ausgemacht. "Hier gibt es häufig auch Querverbindungen zur Raser-Szene", sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Mertens.
Hinzu komme die Tendenz hin zu immer höher motorisierten Fahrzeugen, stellt Rechtsanwalt Christian Funk von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) fest. "Geschwindigkeiten von deutlich mehr als 200 Stundenkilometern sind heute mit vielen Fahrzeugen ohne Weiteres zu erreichen."
"Aggression wird subjektiv empfunden"
Objektive Kriterien für eine Zunahme der Aggressivität im Straßenverkehr gibt es nach Darstellung der Bundesanstalt für Straßenwesen allerdings nicht. Und der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann, sagt: "Aggression wird subjektiv empfunden und ist deshalb nicht in Zahlen zu fassen."
Ähnlich sieht man es beim ADAC. Ob die Aggressivität im Straßenverkehr tatsächlich zugenommen habe, sei schwer zu messen, sagt der Vizepräsident Verkehr, Gerhard Hillebrand. Aber: "Die Gefahr eskalierender Konflikte steigt mit der zunehmenden Zahl an Verkehrsteilnehmern. Auch neue Verkehrsformen verschärfen die Konkurrenzsituation auf unseren Straßen. Umso entscheidender ist es, aggressives Verhalten im Straßenverkehr konsequent zu ahnden und auch bereits in der Fahrausbildung zu thematisieren."
Nach Ansicht der DPolG gibt es einen Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten im Straßenverkehr und den sozialen Medien. "Aggressives Verhalten hat es schon früher gegeben", sagt Sprecherin Schnell. "Durch die zahllosen Handyaufnahmen, die durchs Netz gehen, sind die Bilder aber jetzt sichtbarer geworden."
Der Automobilclub von Deutschland (AvD) bezweifelt denn auch eine Zunahme von Aggressionsdelikten. Darauf deute die Flensburger Verkehrssünder-Datei hin, sagt Sprecher Herbert Engelmohr. "Die Anzahl der eingetragenen Personen blieb in den letzten Jahren auf einem einheitlichen Niveau." Auch die Zahl der wegen aggressiven Verhaltens verurteilten Verkehrsteilnehmer sei konstant, ebenso die Unfallzahlen, sagt DAV-Rechtsanwalt Funk.
Zunehmende Verkehrsdichte, übervolle Fahrbahnen
Wenn dennoch über eine Zunahme der Aggressivität gesprochen werde, liege das an der zunehmenden Verkehrsdichte, sagt Unfallforscher Brockmann. Dass übervolle Fahrbahnen eine der Hauptursachen für aggressives Verhalten auf der Straße sind, bezweifelt kaum ein Experte. "Das fällt insbesondere in Städten auf, in denen mittlerweile auch E-Scooter am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, Lieferwagen in zweiter Reihe parken, Radverkehrsanlagen zugeparkt sind und Parkplätze die Fahrbahn weiter verengen", sagt Julia Fohmann vom Verkehrssicherheitsrat. Als weitere Ursachen nennen die Fachleute Zeitdruck und Stress.
Der zunehmende Autoverkehr und immer größere Autos seien dafür verantwortlich, dass es auf den Straßen immer enger werde, sagt Stepanie Krone vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). "Dadurch wächst der Stress. Dieser Druck entlädt sich besonders in Engstellen und zur Rushhour nicht selten in aggressiver Fahrweise", sagt Krone. Ihre Forderung: "Wir brauchen mehr Platz in den Städten für den platzeffizienten Rad- und Fußverkehr, also für breite Rad- und Fußwege."
Gezielte Überwachung, spürbare Sanktionen
Erforderlich sind nach Ansicht des Verkehrssicherheitsrats in jedem Fall eine gezielte Verkehrsüberwachung und eine konsequente und spürbare Sanktionierung aggressiver Fahrer. Zur Eindämmung der Aggressivität sollten zudem die Bußgelder erhöht und der Punktekatalog verschärft werden, verlangt der ACE. Und ein ADAC-Sprecher sagt, man müsse die Gruppe der dauerhaft aggressiven Verkehrsteilnehmer rasch identifizieren, um strafrechtlich und verkehrspsychologisch auf sie einwirken zu können.
Die GdP plädiert ebenfalls für eine bessere und verstärkte Überwachung. "Um zum Beispiel gefährliche Abstands- und Überholverstöße in einer größeren Zahl ahnden zu können, müsste sie aber technisch und personell deutlich besser ausgestattet werden", verlangt Bundesvize Mertens. "Doch anders als früher finden Kontrollen kaum noch statt", klagt der Gewerkschafter. "Die Polizei hat zu viele andere Aufgaben."
Die beste Lösung wäre ohnehin eine andere, meint ACE-Sprecher Sören Heinze: Gegen Aggressivität im Straßenverkehr helfe vor allem mehr Ruhe, Rücksichtnahme, Empathie, Vorsicht und Aufmerksamkeit.
F.C.
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