Dealer Management Systeme: Vielfältige und bunte Aftersales-Welt

Seit der Jahrtausendwende war es erklärtes Ziel, dem Servicebetrieb aus der "Zentrale" so viel wie möglich an Fahrzeug-, Reparatur-, Serviceund Cross-Selling-Informationen bereitzustellen. Daneben sollte durch eine Vereinheitlichung von Prozessen ein kundenerlebbarer Markenauftritt, eine Brand Experience geschaffen werden. Für das Dealer Management System (DMS) des Händlers wurden Schnittstellen in die Systemwelt des OEM geschaffen sowie Lösungen für Serviceannahme oder Termin- und Kapazitätsplanung integriert. "Retail Integration" oder "Dealer Management System Integration" waren die Überschriften für diese Aktivitäten. Doch ist man dem Ziel näher gekommen? Und - viel wichtiger - muss für künftige Aktivitäten angesichts der Veränderungen in der Branche nicht das Ziel neu definiert werden? Dynamisches Spannungsfeld Das Vorhaben, die komplexen Prozessund Systemwelten von OEM und Servicepartner zu integrieren, erwies sich als aufwändiger und zeitraubender als zunächst gedacht. Mit etwas Abstand betrachtet wurde das Vorgehen durch ein Spannungsfeld erschwert, das im Wesentlichen durch vier Dimensionen erzeugt wird. 1. Dimension Akteure Neben den Hauptakteuren OEM und Servicebetrieb bestimmen auch Marktvertreter wie NSC (National Sales Company) oder Importeure sowie DMS-Hersteller das Geschehen. Dass die Interessenslagen dabei nicht deckungsgleich sind, liegt auf der Hand. Dem OEM ist an einer möglichst homogenen Prozess- und IT-Landschaft bei den Servicebetrieben gelegen, die ihrem Service-Sollprozess entspricht. Der Servicebetrieb hingegen agiert als eigenständiger Unternehmer und hat anhand der Funktionalitäten des eingesetzten DMS seine Abläufe optimiert, die oftmals nicht mit den Service-Soll-Prozessen der OEM übereinstimmen. NSCs und Importeure haben daneben die Marktspezifika im Blick, der DMS-Hersteller muss OEM, Marken, Märkte und den Servicebetrieb als Kunden im Blick behalten und Marktanteile gegenüber Drittanbietern sichern und möglichst ausbauen. 2. Dimension Scope Dadurch, dass ein DMS ein vollwertiges ERP-System für ein Autohaus darstellt und die Facetten Aftersales und Sales lediglich Ausprägungen der darin unterstützten Wertschöpfungsprozesse darstellen, werden Anforderungen aus einzelnen Fachbereichen eines OEM von Märkten, Servicebetrieb und DMS-Hersteller mitunter empfunden, als seien sie nicht in eine Gesamtstrategie eingebunden oder als wären Belange anderer Bereiche nicht berücksichtigt worden. Die Akzeptanz leidet. 3. Dimension Fachlichkeit Mit Blick auf die Fachlichkeit fehlt eine eindeutige Zuordnung, was Aufgabe des DMS und was Aufgabe der herstellereigenen Systeme ist. So ist zwar unstrittig, dass der technische Bedarf (Fahrzeugstammdaten, Arbeitswerte, Teilenummern, Technische Aktionen etc.) prinzipiell herstellerspezifisch ist und die kaufmännische Abwicklung (Auftragserstellung, Rechnungsstellung etc.) grundsätzlich eine Domäne des DMS darstellt, über den genauen Grenzverlauf dieser beiden Felder bestehen jedoch unterschiedliche Auffassungen. Und der Anspruch der Hersteller, die Brand Experience bereits in der Planung (Kontaktaufnahme, Terminvereinbarung etc.) des Serviceaufenthalts kundenerlebbar zu machen, kollidiert oftmals mit den Bestrebungen der DMS-Hersteller, vollumfängliche Lösungen anzubieten. Und nicht zuletzt besteht immer noch der altbekannte Kampf um die Vorherrschaft über die Kundendaten. 4. Dimension Technologie Aus technischer Sicht bietet die Gesamtheit der bestehenden DMS-Schnittstellen einen umfassenden Überblick der Schnittstellentechnologien der letzten 30 Jahre. Aber auch ein einheitliches Datenverständnis fehlt ebenso wie ein gemeinsames inhaltliches Bild oder gar abgestimmte Schnittstellen-Release-Termine. Das stringente Operieren in diesem Spannungsfeld wird zudem von Dynamiken erschwert, die von Branchentrends, von Geschäftsstrategieanpassungen und - nicht unerheblich - von der Marktmacht der Akteure befeuert werden - von der unglaublichen Vielzahl an DMS auf dem Markt ganz zu schweigen. DMS-Integrationsstrategie Um insbesondere der von den OEM als zu groß empfundenen Marktmacht der DMS-Hersteller entgegenzuwirken und gleichzeitig eine Planungssicherheit für künftige Entwicklungen zu schaffen, verfolgen nahezu alle OEM ihre individuelle Strategie gegenüber den DMS. Über alle Hersteller gesehen lassen sich diese Strategien in drei Stoßrichtungen einteilen: Zwei davon, die lose Kopplung und die Product Ownership, stellen dabei die Extrempositionen, die strategische Bindung eher einen Mittelweg dar. - Lose Kopplung: Die lose Kopplung an die DMS ist die schwächste Form der DMS-Integration. Über offen gelegte Schnittstellen werden OEM-spezifische Informationen für den Bereich des technischen Bedarfs angeboten. Der angestrebte Integrationsgrad wird vom OEM nicht beeinflusst, Medienbrüche und weniger aktuelle Informationen werden in Kauf genommen. Den Servicebetrieben wird bei der Wahl des DMS freie Hand gegeben. Bei der Weiterentwicklung, beispielsweise wie aktuell im Rahmen der Digitalisierung, sind diese aber auch auf die Innovationskraft des DMS-Herstellers angewiesen. - Product Ownership: Mit der Übernahme einer Product Ownership durch den OEM wird dem Servicebetrieb ein DMS bereitgestellt, das dessen Anforderungen an die Unterstützung des klassischen Händlergeschäfts ebenso abdeckt wie die des OEM hinsichtlich Informationsaktualität und Brand Experience. In der Umsetzung muss der OEM in Vorleistung gehen - ganz gleich, ob eine Entwicklung des DMS innerhalb von Konzernstrukturen oder eine OEM-spezifische Adaption einer DMS-Standardlösung verfolgt wird. Akzeptanz findet der Ansatz immer dann, wenn er auf neue Händlerstrukturen trifft. In bestehenden Händlerstrukturen gilt es in erster Linie, Überzeugungsarbeit zu leisten, warum sich für einen Servicebetrieb der Austausch seiner Kern-IT-DMS trotz organisatorischer Änderungen, der Einführung neuer Prozesse, dem Training der Mitarbeiter etc. lohnt. - Strategische Bindung: Mit dem Eingehen einer strategischen Partnerschaft zu einem oder mehreren DMS zielt der OEM auf marken- und marktspezifische Weiterentwicklungen in den strategischen DMS, um so seinen Servicebetrieben ein oder mehrere DMS zu empfehlen. Langfristig wird eine beherrschbare Anzahl von DMS im Markt angestrebt. Als Nebeneffekt wird durch die Weiterentwicklungen in den strategischen DMS der Druck auf die nichtstrategischen DMS-Hersteller erhöht, sich über Innovationen zu differenzieren. Aber auch bei einer strategischen Bindung muss der OEM in Vorleistung gehen und seine Bedarfe bei den DMS-Partnern beauftragen. Und auch hier gilt es, den Händler letztlich zu überzeugen, das empfohlene DMS auch einzuführen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass es gerade wegen des dynamischen Spannungsfelds in der DMS-Integration nahezu unmöglich ist, eine dieser Stoßrichtungen streng dogmatisch zu verfolgen: Vielmehr bilden sich aufgrund von Marktspezifika Sonderlösungen der DMS-Integration. Märkte, Händlergruppen oder auch einzelne Händler schaffen sich selbst innovative Erweiterungen wie zuletzt die mobile Serviceberatung mittels Tablet oder aktuell die Online-Servicetermin-Buchung - entweder direkt über verfügbare DMS-Funktionalitäten oder über die Anbindung von Drittsystemen, weil entsprechende OEM-Lösungen zu lange auf sich warten lassen. Als Fazit kann festgehalten werden: Die Integration wurde qualitativ sicherlich verbessert, eine Systematisierung bei der Anbindung der DMS an die Herstellersysteme oder gar eine Reduktion der Komplexität wurde nicht erreicht. Neue Fragestellung Mittlerweile wird der Wandel in der Automobilindustrie (be-)greifbar: alternative Antriebe, neue Player, der Shift vom Produkt Auto zur Dienstleistung Mobilität. Zusammen mit den geänderten Grundbedürfnissen der Kunden und den unter dem aktuellsten Schlagwort Digitalisierung verbundenen Innovationen wird sich der Aftersales deutlich verändern. Man wird sehen, .ob die immer vernetzten, gut informierten Kunden den Gang zum Servicepartner noch als erstrebenswert erachten oder künftig ihren Serviceauftrag nicht eher über die neuen Kanäle, die der OEM jenseits der Servicebetriebe bereitstellt, abschließen, - ob es nicht eher die Mobilitätsdienstleister sein werden, die als Flottenbetreiber Standardservicekontingente in großen Mengen beanspruchen, - ob sich Händlerbetriebe nicht auf bestimmte Fahrzeugtechnologien spezialisieren müssen, sodass die Erbringung von Aftersales-Service-Leistungen wesentlich arbeitsteiliger wird, - oder ob sich große Mehrmarken-Servicebetriebe durchsetzen, die selbst als Full-Service-Provider auf dem Markt auftreten. Sicher ist eines: Die Aftersales-Welt wird vielfältiger. Und irgendwo in dieser Welt wird auch der Servicebetrieb von morgen seine Position finden. Sicher ist auch, dass in dieser Position ein DMS ein verteilteres Arbeiten unterstützen muss: Informationen zu einem Servicevorgang aufgreifen, über Teilprozesse hindurch weiter bearbeiten, mit Informationen Dritter ergänzen und an andere Prozesspartner wieder übergeben. DMS-Strategie von morgen Für den OEM bedeutet dies, dass er seine DMS-Strategie überdenken muss. Er muss für sein künftiges Geschäftsmodell festlegen, welche Aufgaben darin ein - wie auch immer ausgerichteter - Servicebetrieb übernimmt. Er muss festlegen, welche Aufgaben davon im Sinne der Kundenbindung und der Brand Experience differenzierend sind, sodass er bei deren Abwicklung mitgestalten muss. Er muss festlegen, bei welchen Aufgaben - auch wenn diese nicht differenzierend sind - der Servicebetrieb zu unterstützen ist, damit dieser der ihm zugedachten Rolle auch gerecht werden kann. Dazu zählen flexible Schnittstellen zu künftig dynamisch wechselnden Prozesspartnern wie Versicherern, Flottenbetreibern und weiteren Dienste-Providern. Damit wird Klarheit in den Dimensionen Akteure, Scope und Fachlichkeit geschaffen. Der Dimension Technologie würde eine ernstgemeinte Standardisierung durch die OEM helfen. Ob durch ein gemeinsames Board oder durch Offenlegung: Um Arbeitsteiligkeit, Flexibilität und Individualität gerecht zu werden, bedarf es unter anderem eines einheitlichen Datenverständnisses, einer inhaltlichen Abstimmung von Schnittstellen oder gemeinsamer Schnittstellen-Releases. Damit würden auch neu auf den Markt drängenden Akteuren belastbare Spielregeln vorgegeben werden. Ein deutlicher Schritt in diese Richtung ist bislang nicht zu beobachten. Es könnte also ein Wunschdenken bleiben, oder? Markus Klamet ist bei NTT DATA als Senior Managing Consultant Experte für Automotive Aftersales, Service und Gewährleistung. NTT DATA ist einer der führenden Anbieter im Business- und IT-Consulting. Kurzfassung Das aufwändige und zeitraubende Vorhaben, die komplexen Prozess- und Systemwelten von Automobilhersteller und Servicepartner zu integrieren, wurde in der Vergangenheit durch ein Spannungsfeld erschwert. Vier Dimensionen erzeugen dies im Wesentlichen: Akteure, Scope, Fachlichkeit und Technologie.

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