Zertifizierte/r Automobilverkäufer/in: Verkäufer 3.0

Der deutsche Automobilhandel wird häufig als Spiegelbild der wirtschaftlichen Entwicklung im Land betrachtet. Somit steht er permanent mit seiner großen Anzahl an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen im Fokus. Bei ca. 10 Millionen Besitzumschreibungen pro Jahr (NW und GW; Quelle: DAT/KBA) gibt es ebenso viele Erfahrungen, die im Verkaufsprozess von den Kunden gemacht werden. Hierbei steht insbesondere der gewerbliche Automobilhandel mit seiner Schnittstelle zum Kunden im Rampenlicht - der/die Automobilverkäufer/in. Der Autokauf ist nach wie vor die zweitgrößte Investition im Leben eines Menschen und mit vielen Emotionen verbunden. Kein Wunder also, dass sich viele Fachzeitschriften und Institutionen mit Testkäufen und Berichten darüber auf die Verkaufsarbeit im Autohaus konzentrieren. So auch in der jüngsten Ausgabe von auto motor und sport (16/2015). Diesmal wurde die Gebrauchtwagenberatung beim Vertragshändler unter die Lupe genommen. Das durchführende Institut (Concertara GmbH) bescheinigt reichlich Nachholbedarf in den Bereichen Bedarfsanalyse, Beratung, Finanzdienstleistungen, Abschlussorientierung und Probefahrt. Viel Raum für Verbesserungen! Diese Analyseergebnisse zeigen auch schon, wie umfangreich die Aufgaben eines/r Automobilverkäufers/in ist. Die Aufgaben eines/r Automobilverkäufers/in In den Hauptrollen ist er/sie Neukundengewinner (Akquisiteur), Ansprechpartner und Kontaktperson, Bedarfsermittler und Bedarfswecker, Produktspezialist, Spezialist für Finanzdienstleistungen und alternative Mobilitätslösungen, Verhandlungspartner, Betreuer, Marktbeobachter und Botschafter für Autohaus und Marke. In den Verantwortungsbereich eines/r Automobilverkäufers/in fallen u. a. der systematische Aufbau von Neukundenpotenzial, die Ausschöpfung des Marktes für Neu-/ und/oder Gebrauchtfahrzeuge, Kundenbindungsaktivitäten zur Sicherung der Loyalität und Markentreue sowie die Vermittlung von Finanzdienstleistungen. Die Vielfalt dieser Aufgaben zeigt, dass es sich um eine anspruchsvolle, sehr abwechslungsreiche und interessante Tätigkeit handelt, die aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen eine hohe Motivation, Frustrationstoleranz und Zeitbugdet benötigt. Der/die geprüfte Automobilverkäufer/in Die seit 1997 praktizierte Weiterbildung zum/zur "Geprüfte/n Automobilverkäufer/in" basiert auf einem Ausbildungsmodell, das von der Gütegemeinschaft "Geprüfter Automobilverkäufer (GAV)" regelmäßig auf Inhalte und Praxisrelevanz überprüft wird. Die Maßnahme ist nach einem dualen System aufgebaut, wobei sich Hersteller/Importeur und Handel die Theorie- und Praxisausbildung teilen. Den mindestens 20 Seminartage dauernden Theorieteil übernehmen dabei die Hersteller/Importeure. Die ursprünglichen Ziele bei der Einführung dieser Maßnahme, nämlich die Verbesserung der Qualifikation des Verkaufspersonal und damit der Qualität der Geschäfte, die Verringerung der Verkäufer-Fluktuation sowie die Verbesserung des Verkäuferimages wurden nur zum Teil erreicht. Trotzdem kann die Maßnahme als wichtiger Schritt in die richtige Richtung und somit als Erfolg bewertet werden. Die Qualifikationssituation hat sich deutlich verbessert und die Verkäufer-Fluktuation hat sich verringert, ist aber immer noch unangemessen hoch. Dies hat aber weniger mit der Weiterbildung zum/zur "Geprüfte/n Automobilverkäufer/in" zu tun, sondern mehr mit der Führung und den Arbeitsbedingungen im Handel. Das Image des Automobilverkäufers ist nach wie vor schlecht. In der Reader's-Digest-Studie "European Trusted Brands 2013" wurden die vertrauenswürdigsten Berufe in zwölf europäischen Ländern ermittelt. In der Auswertung der Ergebnisse für Deutschland schloss der Automobilverkäufer auf dem drittletzten Platz ab. Schlechter bewertet wurden nur noch Finanzberater und Politiker. Dies ist eine Bestätigung der Studienergebnisse "Verkäuferimage 2011" (AUTOHAUS/FFS Group/Puls GmbH), in der Kunden Automobilverkäufer einerseits als freundlich und fachkompetent bezeichnen, andererseits aber als unehrlich und aufdringlich. Von den 1.009 Befragungsteilnehmern hatten übrigens 44 Prozent schon einmal ein besonderes Negativerlebnis mit einem Autoverkäufer. Seit Juli 2013 haben Hersteller und Importeure, die sich dafür qualifiziert haben und zertifiziert sind, die Möglichkeit, die Zertifikate "Geprüfter Automobilverkäufer Neuwagen" und "Geprüfter Automobilverkäufer Gebrauchtwagen" nach einer entsprechenden Ausbildung (in beiden Fällen: mindestens 20 Theorietage) auszugeben. Da es Schwierigkeiten bei der Anerkennung der Zertifikate zwischen verschiedenen Herstellern und Importeuren gab, wird ab Mai 2015 eine Umstellung innerhalb der Ausbildung starten und ein Jahr später abgeschlossen sein. Da Hersteller und Importeure aber nur alle fünf Jahre zertifiziert werden müssen, ist erst in sechs Jahren sichergestellt, dass alle 38 Unternehmen die Neuerungen auch tatsächlich umgesetzt haben. Aktuelle Entwicklungen im Automobilverkauf Die folgenden Entwicklungen im Automobilhandel geben nicht nur den Händlern berechtigten Anlass zum Nachdenken, sondern auch den Verkäufern: Der deutsche Automobilmarkt zeigt einen deutlichen Anstieg an gewerblichen Zulassungen bei einem gleichzeitigen Rückgang von Privatzulassungen. Die Gründe hierzu sind vielfältig. Vermehrte Eigenzulassungen der Hersteller überschwemmen den Markt mit günstigen Angeboten, was den Handel mit Neuwagen für den Automobilhandel immer unattraktiver macht. Ohne dem noch lukrativen Servicegeschäft wären viele Automobilhandelsbetriebe schon lange insolvent. Aber auch der Markt für Servicedienstleistungen wird kleiner. Prognosen zufolge wird der heutige Bestand von knapp 8.000 Automobilhandelsbetrieben in knapp zehn Jahren auf etwas mehr als die Hälfte schrumpfen, bedingt durch Fusionen, Übernahmen und Insolvenzen. Hinzu kommen neue Showroom-Varianten von Herstellern, die dem Kunden das Erlebnis der Marke ermöglichen sollen: City-Shops, Showrooms am Flughafen oder Lounges in Ausgehvierteln. Mit diesen Varianten wollen Hersteller im harten Kampf um die Kunden näher an die Zielgruppe heranrücken und gleichzeitig auf das veränderte Kundenverhalten reagieren. Das geht so weit, dass Tesla und andere Premiumhersteller den Direktvertrieb via Internet praktizieren bzw. erproben. Einige deutsche Händler erkennen diesen Trend und starten auch schon erste Versuche, ihre Fahrzeuge nicht nur über einschlägige Börsen, sondern auch über ihre eigene Homepage direkt zu vermarkten. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little prognostiziert, dass bis 2020 sechs Prozent der Kaufverträge für Autos in Deutschland online abgeschlossen werden. Schon heute benutzen 26 Prozent der Gebrauchtwagenkäufer eine Gebrauchtwagenbörse und neun Prozent der Neuwagenkäufer ein Neuwagenportal als Informationsquelle und Kaufort. (Quelle: DAT-Report 2015). Fakt ist: Der Automobilhandel steht vor einem großen Umbruch. Hersteller/Importeure, Finanzdienstleister und Handel müssen sich an einen Tisch setzen und über neue Geschäftsmodelle verhandeln, die an erster Stelle Struktur, Verantwortlichkeiten, Kostenbelastungen und Vergütungsmodelle im Vertrieb regeln. Auswirkungen auf Anforderungen an die Verkäuferqualifikation Verschiedene Ladenkonzepte werden das klassische Autohaus ergänzen. Dies allein führt aber nicht zu einer Abnahme der Kundenströme, sondern auch die Zunahme an gewerblichen Verkäufen. Das bedeutet, die Zahl klassischer Autohaus-Privatkunden nimmt ab. Gleichzeitig haben diese aber immer höhere Ansprüche an individueller Behandlung im gesamten Verkaufsprozess. Parallel dazu nimmt die Digitalisierung der Verkaufsprozesse immer mehr an Fahrt auf. Kunden sind in der Regel nicht nur gut über technische Details informiert, sondern durch die verschiedenen Kundenforen und Blogs auch über Konditionen und Umgang mit Kunden in Autohäusern. Als "Autokäufer 3.0" sind sie nicht mehr nur passive Konsumenten, sondern sie wollen aktiv "mitgestalten". Daher werden auch in den klassischen Autohäusern die Kontaktaufnahme und die Kontaktpflege zum Kunden zukünftig im Vordergrund stehen, und zwar persönlich und 3.0. Der Kunde von morgen will im Internet abgeholt werden! Hierfür muss der Handel über eine adäquate digitale Strategie verfügen, die technische Infrastruktur bereitstellen und, was noch viel wichtiger ist, in die passende "Manpower" investieren. Je früher, desto besser. Der Einsatz digitaler Marketingstrategien und -Instrumente ermöglicht dem Händler Fach- und Preiskompetenz zu zeigen und somit zumindest ein Stück weit von der andauernden Preisdiskussion abzurücken. Verkäufern wird durch den Einsatz aktivierender Websites ermöglicht, ihre Kunden aus der Anonymität des Internets zu holen und gleichzeitig mit individuellen Ansprachen und Angeboten auf sich aufmerksam zu machen. Weiterhin sind der Einsatz von Chats, Blogs und Videos gute Möglichkeiten, permanent im Kontakt zu seinen Kunden zu bleiben. Für die Zielgruppe Automobilverkäufer tun sich hier vollkommen neue Möglichkeiten auf, permanent mit ihren Kunden in Kontakt zu sein. Aber die sind heute schon häufig mit all ihren Aufgaben am Leistungslimit. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen. Man schafft entweder Entlastung der Verkäufer durch Umstrukturierung der Verkaufstätigkeiten und-Prozesse und gibt ihnen auf diese Weise Freiräume, sich um ihre persönliche digitale Strategie zu kümmern. Voraussetzung für diese Vorgehensweise ist, dass die Verkäufer internetaffin und digitalen Medien gegenüber aufgeschlossen sind. Oder man stellt "Online-Verkäufer mit Spezialwissen im Bereich digitaler Vermarktungsmöglichkeiten" ein. Da diese aber nur schwer am Markt zu rekrutieren sind, bleibt in der Regel nur der Weg der eigenen Ausbildung. Unabhängig hiervon ist über die Einstellung eines Digitalverantwortlichen für das Autohaus nachzudenken, der dann nicht nur die digitalen Aktivitäten im Verkauf koordinieren kann, sondern die des gesamten Autohauses. Der erfolgreiche Automobilverkäufer von morgen ist ein Netzwerker, der über digitale Medien gute Kundenbeziehungen aufbaut und pflegt und trotzdem das Einmaleins in allen Phasen des Verkaufsprozesses beherrscht. Daher müssen Anforderungsprofile und Auswahlkriterien für Automobilverkäufer neu definiert werden sowie Aus- und Weiterbildungsangebote der neuen Marktentwicklung schnell(er) angepasst und regelmäßig auf ihre Aktualität überprüft werden. Einhergehend mit diesem Wandel in der Verkaufsarbeit sind die Vergütungssysteme den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Der Automobilhandel tut gut daran, dies nicht nur den Herstellern und Importeuren zu überlassen, sondern proaktiv tätig zu werden. Prof. Dr. Ralf Mertens hat seine gesamte berufliche Laufbahn den Themen Managementlehre, Personal- und Ausbildungswesen gewidmet, die er auch an seinem Lehrstuhl an der Fachhochschule Stralsund vermittelt. Kurzfassung Was ein Verkäufer heute können muss, ist anders als noch vor 50 Jahren und wird sich in den nächsten Jahren nochmals signifikant verändern. Prof. Dr. Ralf Mertens beleuchtet das Berufsbild zertifizierter Automobilverkäufer vor dem Hintergrund einer Automobilbranche, die vor großen Umbrüchen steht. Titelthema Verkauf der Zukunft - Die Digitalisierung verändert das Berufsbild des Verkäufers nachhaltig. Wie der Verkauf in der Zukunft aussehen könnte, wie sich der Arbeitsplatz des Verkäufers verändern wird und welche Herausforderungen auf den Handel zukommen, beleuchten wir in unserem Titelthema.Seite 12: Prof. Dr. Ralf Mertens nimmt in seinem Beitrag den/die zertifizierte/n Automobilverkäufer/in unter die Lupe und zeigt im Kontext der Situation in der Branche auf, wohin die Reise für diesen Beruf gehen wird.Seite 15: Buchvorstellung: Wie kann ein Verkaufsgespräch immer wieder aufs Neue so gestaltet werden, dass es für Kunde und Verkäufer einen positiven Verlauf nimmt? Mit dieser Problematik beschäftigen sich die Autoren Ute Wagner und Daniel Dücker in der Neuerscheinung "Zielführend verhandeln - Ihr Navi durchs Verkaufsgespräch".Seite 16: Die Entwicklung im Automobilverkauf ist rasant und beschleunigt weiter. Digitale und analoge Welt schlagen gerade über dem Automobilverkäufer zusammen und fordern ihn täglich neu. Wohin wird die Reise gehen? Manfred Stiewe von promotor stellt dazu einige Thesen auf.Seite 20: In einem Kommentar stellt Loco-Soft Geschäftsführer Ralf Koke seine Auffassung vom Verkäuferarbeitsplatz der Zukunft vor.Seite 22: Ein anonymer Autoverkäufergibt Einblicke in seinen Verkäuferalltag und erklärt, warum sich der Verkäufer allmählich in einen Mobilitätsberater verwandelt.Seite 26: An einer Umfrage auf dem Blogdes anonymen Automobilverkäufers zu Themen, die den Handel bewegen, nahmen über 100 weitere Verkäufer teil. AUTOHAUS stellt die prägnantesten Statements vor.Seite 30: Die Digitalisierung verändert den Point of Sales. Welche technischen Mittel den Verkäufer unterstützen, stellt AUTO-HAUS-Redakteurin Doris Plate vor.Seite 34: Arno Kalmbach, Leiter IS-Handel bei VW, und Jens Klitzke, CRM-Leiter bei VW über den aktuellen Stand bei der digitalen Händlerstrategie und womit VW den Handel unterstützen will.

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