Fahrverbote: Klare Sicht in dicker Luft?

Am 27.02.2018 hatte das Bundesverwaltungsgericht seine Urteile verkündet in den beiden Sprung-Revisionsverfahren betreffend die Luftreinhaltepläne für Düsseldorf und Stuttgart. Drei Monate später veröffentlichte das Gericht nunmehr Ende Mai auch die Urteilsgründe. Vor dem Hintergrund der Politikerversprechen, Fahrverbote in Ballungsräumen auf jeden Fall vermeiden zu wollen, lohnt es sich, diese Urteilsgründe nochmals näher zu betrachten. Ausgangspunkt Ausgangspunkt der Problematik ist die weiterhin in vielen Städten vorliegende dauerhafte Überschreitung der Immissionsgrenzwerte für Stickstoffoxid, welche maßgeblich dem dortigen Verkehrsaufkommen mit Verbrennungsmotor zugeschrieben wird - mit signifikant erhöhtem Stickstoffoxid-Ausstoß durch Dieselfahrzeuge, im Pkw Bereich bis einschließlich der Schadstoffklasse Euro 5. Die von den Ländern für betroffene Bereiche aufzustellenden Luftreinhaltepläne waren in den für Düsseldorf und Stuttgart entschiedenen Fällen von den Verwaltungsgerichten in erster Instanz für unzureichend erachtet worden, um zeitnah zu einer weitgehenden Einhaltung des seit 2010 geltenden Grenzwertes für Stickstoffoxid von 40 µg/m³ im Jahresmittel zu gelangen. Die zuständigen Landesbehörden wurden erstinstanzlich in beiden Fällen verpflichtet, die bestehenden Luftreinhaltepläne zu ändern bzw. zu ergänzen und "die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung" mit aufzunehmen. Dazu gehört es nach Vorgabe der Verwaltungsgerichte, als effektive Maßnahme insbesondere auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge einschließlich der Schadstoffklasse 5 zu berücksichtigen, im Fall von Stuttgart auch Fahrverbote für Benzinfahrzeuge unterhalb der Abgasnorm Euro 3. Revisionsgründe Die Revisionen waren im Wesentlichen darauf gestützt, dass den Ländern außerhalb der bestehenden Plaketten-Regelung und den dort festgelegten Schadstoff-Klassen eine Rechtsgrundlage für die Anordnung von Fahrverboten speziell für Dieselfahrzeuge fehle. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) kenne keine Verbote oder Beschränkungen für Fahrzeuge mit bestimmten Antriebsarten und auch die maßgebliche 35. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterscheide mit der Plakettenregelung ausdrücklich nicht zwischen unterschiedlichen Antriebsarten. Für andere Beschränkungen und weitere Fahrverbote nach der StVO bedürfe es einer konkreten Ermächtigungsgrundlage durch den alleine zuständigen Bundesgesetzgeber, beispielsweise durch die Einführung der geforderten "blauen Plakette". Darüber hinaus könnte die Einhaltung von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge wegen fehlender Kennzeichnung faktisch nicht kontrolliert werden. Tatsächlich gar nicht vollziehbare Maßnahmen seien im Rahmen des Luftreinhalteplanes kein geeignetes Mittel, die Einhaltung der Stickstoffoxid-Grenzwerte zu erreichen. Letztlich bedeute ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge Euro 5 auch einen Eingriff in das Eigentum der betroffenen Fahrzeugbesitzer, der nur verbunden mit einer Entschädigungsregelung möglich wäre. Das Bundesverwaltungsgericht ist den Revisionsbegründungen im Wesentlichen nicht gefolgt, hat aber die verwaltungsgerichtlichen Urteile im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlagen und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit korrigiert. Kompetenz der Länder Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte, dass im Rahmen der erforderlichen Fortschreibung der Luftreinhaltepläne für die betroffenen Bereiche ein ganzjähriges Verkehrsverbot für Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren als effizientes Mittel in Betracht zu ziehen ist. Die erforderliche Ermächtigungsgrundlage ergibt sich allerdings nicht unmittelbar und allein aus dem Bundes-Immissionsschutzrecht, welches keine Differenzierung nach verschiedenen Antriebsarten der Fahrzeuge vorsieht. Unter Berücksichtigung des Vorrangs der europarechtlichen Vorgaben seien diese bundesrechtlichen Vorschriften aber entweder konform mit dem Unionsrecht als nicht abschließend auszulegen oder aber schlicht nicht anzuwenden. In beiden Fällen ergibt sich nach dem Bundesverwaltungsgericht eine unmittelbar eigene Kompetenz der Bundesländer, mit den Luftreinhalteplänen alle tauglichen Maßnahmen zu verfügen und durchzusetzen, um der unionsrechtlichen Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte nachzukommen. Einer speziellen Ermächtigungsgrundlage durch den an sich zuständigen Bundesgesetzgeber beispielsweise durch Einführung der "blauen Plakette" bedarf es nicht. Hat der Bundesgesetzgeber - wie vorliegend mit der Plakettenregelung - von seiner Regelungsbefugnis nur zum Teil Gebrauch gemacht, schließt dies weitere Fahrverbote differenziert beispielsweise nach Antriebsarten nicht aus. Geboten ist ein Vorgehen entsprechend dem Verursacheranteil. Nachdem der Anteil der Dieselfahrzeuge am Stickstoffoxid-Ausstoß besonders hoch ist, rechtfertigt dies Fahrverbote vorrangig für solche Fahrzeuge. Verhältnismäßigkeit Mit den Urteilen der Verwaltungsgerichte nicht ausreichend gewahrt sah das Bundesverwaltungsgericht jedoch den nach der Verfassung vorgegebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem Nutzen von Diesel-Fahrverboten einerseits und den sich für die betroffenen Fahrzeugbesitzer ergebenden Belastungen differenziert das Bundesverwaltungsgericht zwischen lediglich streckenbezogenen Fahrverboten für einzelne Straßen oder Straßenabschnitte einerseits und großflächigen zonalen Fahrverboten für ganze Stadtbereiche andererseits. Straßenbezogene Durchfahrtsverbote sind hinzunehmen. Sie gehen jedenfalls dann nicht über die üblichen Verkehrseinschränkungen hinaus, wenn ein Ausweichen und Umfahren möglich ist. Solche Sperrungen sind von Diesel-Fahrzeugbesitzern selbst dann hinzunehmen, wenn sie Anwohner der betroffenen Bereiche sind. Ein genereller Anspruch auf "Anfahrt bis unmittelbar vor die Haustür" besteht nicht. Anders verhält es sich bei den wesentlich intensiveren großräumig zonalen Fahrverboten für ganze Teile eines Stadtgebiets. Dort führt die Abwägung der Interessen für die Behörden zu Beschränkungen in der Ausgestaltung von Fahrverboten. Zwar besteht auch hier kein Anspruch, mit einem einmal zugelassenen Fahrzeug weiterhin überallhin fahren zu können. Die erheblichen Beschränkungen eines räumlich umfassenden Fahrverbotes gebieten nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts jedoch eine Abstufung, um beispielsweise Eigentümern von Euro-5-Dieselfahrzeugen eine uneingeschränkte Mindestnutzdauer von 4 Jahren über die Einführung der Euro-6-Norm hinaus bis 1. September 2019 zu gewährleisten. Anwohner könnten sonst gezwungen sein, ihr Fahrzeug unmittelbar zu verkaufen, wobei der Wertverlust in den ersten drei Jahren erfahrungsgemäß besonders hoch und damit auch besonders nachteilig wäre. Auch für Nicht-Anlieger ergibt sich sonst faktisch ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es deshalb, die Folgen für die betroffenen Fahrzeugbesitzer zu berücksichtigen. Dies kann nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dadurch geschehen, dass in einer 1. Stufe ohne Übergangsfristen nur ältere Fahrzeuge - beispielsweise bis zur Abgasnorm Euro 4 bei Diesel und unterhalb Euro 3 bei Benzinmotoren - von Verkehrsverboten erfasst werden. Sollten die Stickstoffoxid-Grenzwerte durch eine solche Maßnahme bereits deutlich stärker als prognostiziert abnehmen, wäre auch über einen Verzicht auf die spätere Einführung von Verkehrsverboten für Dieselfahrzeuge Euro 5 zu entscheiden. Entschädigungsregelungen lehnt das Bundesverwaltungsgericht mangels unzumutbarer Nachteile ab. Unangetastet bleiben nach den Revisionsurteilen notwendige Ausnahmen von Fahrverboten beispielsweise für Handwerker, Lieferanten etc. Auch hier können jedoch Übergangsfristen für Nachrüstungen gesetzt werden. Umsetzung Für die Umsetzung möglicher Dieselfahrverbote stehen den Kommunen die Beschilderungen nach der Straßenverkehrsordnung zur Verfügung, wobei jeweils neue Zusatzzeichen erforderlich sind. Die Genehmigung solcher bislang nicht existenten Zusatzzeichen könnte durch das Land selbst erfolgen. Bei Durchfahrtsverboten auf bestimmten Straßen sieht das Bundesverwaltungsgericht das Durchfahrtsverbotsschild für Kraftfahrzeuge (Zeichen 251) beispielsweise mit einem Zusatzschild "nur Dieselfahrzeuge, nicht Euro 6" für zulässig, bei zonalen Fahrverboten die Kennzeichnung der Verkehrsverbotszone Umwelt (Zeichen 270.1) mit einem entsprechenden Zusatzschild "Diesel" und Bezeichnung der betroffenen Schadstoffklassen. Eine vorhersehbar defizitäre Vollzugspraxis aufgrund der nicht oder nur erschwert vorhandenen Möglichkeit, Einfahrtsverbote für nicht gekennzeichnete Dieselfahrzeuge zu kontrollieren, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Verbotsregelung. Kontrollen seien jedenfalls sowohl im fließenden als auch im ruhenden Verkehr möglich, beispielsweise auch durch Halteranfragen der Polizei. Unabhängig davon würde das Bundesverwaltungsgericht aber eine Einführung der "blauen Plakette" für praktikabler und damit für glücklicher halten. Kurzfassung 1. Mit den Gründen der Revisionsurteile bestätigt das BVerwG die Verpflichtung und die Kompetenz der Länder, bei dauerhafter Überschreitung der Stickstoffoxid-Grenzwerte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge als effiziente Maßnahme im Luftreinhalteplan zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine unionskonforme Auslegung des Bundesrechts als nicht abschließende Regelung, hilfsweise die direkte Anwendung des Europarechts.2. Diesel-Fahrverbote haben den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Bei zonalen Fahrverboten für ganze Stadtgebiete erfordert dies eine Abstufung der Fahrverbote mit Übergangsfristen für Euro-5-Dieselfahrzeuge bis 01.09.2019. Ausnahmeregelungen zur Gewährleistung der Versorgung sind einzubeziehen.3. Für die Umsetzung von Diesel-Fahrverboten müssen neue Zusatzschilder außerhalb des Katalogs der StVO geschaffen und von den Ländern genehmigt werden. Die unzureichende Kontrollmöglichkeit für nicht gekennzeichnete Dieselfahrzeuge steht einer Verhängung der Fahrverbote nicht entgegen. Kommentar Die Gründe der Revisionsurteile des Bundesverwaltungsgerichts haben lange auf sich warten lassen. Gleichwohl ist der Donner erwarteter Diesel-Fahrverbote für Ballungsräume noch nicht verhallt. Deutlich wird der Luftreinhaltung Vorrang gegeben vor verwaltungsrechtlichen Bedenken. Das Versprechen vieler Politiker, Fahrverbote in Innenstadtgebieten auf jeden Fall verhindern zu wollen, wird vor große Aufgaben gestellt. Bislang ist es in den betroffenen Städten nicht gelungen, durchgreifende Erfolge in Bezug auf die Einhaltung maßgeblicher Grenzwerte herbeizuführen. Diese Grenzwerte werden insbesondere bei Stickstoffoxid weiterhin satt überschritten, so dass alternative Maßnahmen zum Dieselfahrverbot bislang nur unzulänglich zum Tragen gekommen sind. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Anlegung von Radwegen, eine Umstellung des öffentlichen Fuhrparks, Geschwindigkeitsbegrenzungen, restriktive Ausweisung von Parkraum und vieles mehr haben bislang keine durchschlagenden Verbesserungen ergeben. Es müssen deshalb die Ärmel weit hochgekrempelt werden, um diese Fahrverbote wenigstens in der zweiten Stufe zu verhindern. Die Städte sind hierzu alleine nicht in der Lage. Es bedarf insbesondere der konkret tauglichen Unterstützung auf Bundesebene, um das Übel an der Wurzel zu packen und den Schadstoffausstoß insbesondere älterer Fahrzeuge zu reduzieren. Wie bei der Plaketten-Regelung ist hier jedoch wenig an Unterstützung in Sicht.Rechtsanwalt Robert Glocker

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