AH: Herr Bebion, wie kam es dazu, dass Sie gleich mehrere Programmiersprachen gelernt haben?
C. Bebion: Interesse am Programmieren hatte ich schon immer, doch es fehlte immer die nötige Zeit. Dann kam der erste Lockdown der Pandemie. In dem Zeitraum haben wir mit der gesamten Geschäftsleitung einen Workshop veranstaltet und eine Digitalstrategie für unser Unternehmen erarbeitet. Dabei kam unter anderem heraus, dass wir bei unserer Unternehmensgröße unbedingt auch inhäusige Kompetenz in Sachen IT haben sollten und deshalb auch Programmierer einstellen sollten. Das Problem war nur: Woran erkenne ich als Laie, ob jemand qualifiziert für diesen Job in unserem Autohaus ist.
AH: Also selbst ist der Chef?
C. Bebion: Gewissermaßen. Deshalb machte ich auf Onlineplattformen verschiedene Workshops und brachte mir unter anderem die Programmiersprachen Java, Javascript und Python bei. Dazu lernte ich noch etwas HTML und CSS, um die Internetwelt besser zu verstehen, und die Datenbanksprache SQL.
AH: Was konnten Sie durch diese neuen Kenntnisse über Ihr Unternehmen lernen?
C. Bebion: Ich habe erst einmal alle Programme im Autohaus und den technischen Aufwand, der für die Softwaredienstleister dahintersteckt, besser verstanden. Jetzt weiß ich, was möglich ist und wie viel Zeit die Umsetzung in Anspruch nimmt. Gleichzeitig habe ich mir die OEM-Daten, die täglich bei uns eintreffen, genauer angeschaut. Ich war verblüfft, wie wenig davon in unseren internen Systemen nutzbringend verarbeitet wird.
AH: Um welche Daten handelt es sich hier vor allem?
C. Bebion: Das sind unter anderem die Fahrzeug- und Rechnungsdaten. Unser DMS liest zwar die Fahrzeugrechnung automatisch ein, doch es treffen auch täglich Kaufvertragsdaten ein, und mir ist kein DMS bekannt, das diese Daten nutzbringend verarbeitet. Da mussten dann wieder unsere Mitarbeiter aktiv eingreifen.
AH: Haben Sie hierfür ein Beispiel?
C. Bebion: Was viel menschliche Ressourcen bindet, sind in dem Zusammenhang die Preiserhöhungen, die seit Corona und dem Ukraine-Krieg fast 14-tägig vom Hersteller festgesetzt werden. Bekommen wir ein Auto nach drei Monaten Lieferzeit, gab es dazwischen möglicherweise zwei Preiserhöhungen. Das bedeutet, dass wir als Autohaus erst einmal darauf aufmerksam werden müssen, dass sich der Listenpreis seit Kaufvertragsschluss erhöht hat. Dann müssen wir die Differenz errechnen und beim Hersteller einen Preisschutz beantragen. Das wäre technisch nicht schwer, wenn die Kaufvertragsdaten in unserem System auch verarbeitet würden. Bisher war dies nur manuell möglich. Ein Mitarbeiter musste jede Fahrzeugeingangsrechnung einzeln mit dem Kaufvertrag abgleichen.
AH: Jetzt konnten Sie dieses Problem ganz allein lösen?
C. Bebion: Wir haben zwar eine externe Firma beauftragt. Aber zum einen konnte ich jetzt den Aufwand viel besser abschätzen und zum anderen im Vorfeld schon Teile des Projekts selber umsetzen. Das Problem ist, dass externe Softwareentwickler die Abläufe im Autohaus nicht kennen. Man muss da erst ein gemeinsames Verständnis von den Aufgaben und Daten schaffen. Deshalb strukturieren wir intern die Daten, die über eine Schnittstelle eintreffen, sammeln sie in Paketen und übergeben diese dann den Entwicklern zusammen mit den entsprechenden Programmieraufgaben.
"Das Gros der Systeme in unserer Branche ist technisch veraltet."
Christian Bebion, Geschäftsführer Auto Bebion
AH: Welchen Ratschlag würden Sie anderen Geschäftsführern geben, die ihr Unternehmen digital modernisieren möchten?
C. Bebion: Am besten holt man sich die Expertise über eine Beraterfirma und stellt mit dieser eine Digitalstrategie auf. Dabei wird ermittelt, wo sich die eigenen Schmerzpunkte im Unternehmen befinden, welche Technologien es auf dem Markt gibt und welche Probleme man damit lösen kann. Auch die Kosten lassen sich so recht gut abschätzen. Auf keinen Fall sollte man planlos digitale System einführen, weil diese gerade angesagt sind, denn sie sollen das Unternehmen ja weiterbringen. Da kann man auch schnell viel Geld und Zeit verbrennen.
AH: Wo sehen Sie generell im Handel noch Bedarf an digitalen Systemen?
C. Bebion: Eines der Hauptprobleme sind die fehlenden Schnittstellen. Die meisten Systeme sind sehr verschlossen, egal ob sie von den Herstellern oder von Drittanbietern stammen. In der Tech-Branche ist das ganz anders. Die Systeme von Microsoft, Google und Co. sind offen zugänglich. Und das kostet keinen Euro extra! Die OEM sind im Gegensatz dazu sehr restriktiv. Und die Drittanbieter schaffen mit Systemen wie CRM, Werkstattplaner etc. nur Insellösungen. Benötigt man Informationen davon in einem anderen System, geht das oft nur über eine individuelle Programmierung. Und die kann je nach Aufwand bis zu einem Jahr dauern.
AH: Wird es diese extreme Vielfalt an Systemen im Autohandel auch in Zukunft geben?
C. Bebion: Schwer zu sagen. Das Gros der Systeme in unserer Branche ist technisch veraltet. Da befindet sich der Autohandel gefühlt noch in der Steinzeit. Vielleicht haben sich die Händler zu lange nicht damit beschäftigt und haben die Modernisierung der Systeme bei den Anbietern zu spät eigefordert. Aufgrund der vielen Individuallösungen, welche die Anbieter für ihre Kunden geschaffen haben, ist es jetzt besonders aufwändig, diese alle zu modernisieren. Deshalb ist es in meinen Augen am besten, so viel wie möglich selbst umzusetzen.
AH: Wie zum Beispiel Ihre eigene Datenbank?
C. Bebion: Genau! Dadurch haben wir unsere Daten aus sämtlichen Systemen an einem Ort versammelt. Benötigt nun ein Drittanbieter eine Schnittstelle zu unserer Datenbank, bauen wir ihm die innerhalb weniger Wochen selbst. Da spart viel Zeit und ermöglicht gleichzeitig Business Intelligence (BI) Anwendungen, die allen Mitarbeitern und der Geschäftsleitung viele Informationen zur Verfügung stellen. Dadurch haben wir auch ein Plus an Transparenz. Die Informationen laufen in der Datenbank zusammen und werden von den BI-Anwendungen täglich aktualisiert. Die Abteilungsleiter können so jederzeit feststellen, ob ein Prozess in ihrem Geschäftsbereich gut läuft, und im Notfall schnell gegensteuern. Früher wurden erst am Monatsende große Excel-Tabellen ausgewertet, wenn es eigentlich schon zu spät war.
"Man sollte erst das Backend modernisieren. Dann kann man dem Kunden auch Prozesse mit hoher Datenqualität zur Verfügung stellen."
Christian Bebion, Geschäftsführer Auto Bebion
AH: Wie haben die Mitarbeiter auf die Digitalstrategie reagiert?
C. Bebion: Unsere Führungskräfte haben diese Strategie mitentwickelt und waren von Anfang an begeistert. Für die einzelnen Tools wurden dann zusätzlich bestimmte Mitarbeiter ausgewählt, die diese Systeme ausprobierten und dann sogar Verbesserungsvorschläge machen konnten. Diese Key User haben ihre positiven Erfahrungen dann an die restliche Mannschaft weitergetragen. Sobald ein Mitarbeiter den Mehrwert in einer neuen Anwendung erkennt, steht er ihr auch positiv gegenüber.
AH: Ist es wichtiger, digitale Tools für die Kunden oder eher für das Backoffice anzuschaffen?
C. Bebion: Ich glaube, man benötigt beides beziehungsweise das eine baut auf dem anderen auf. Man sollte erst das Backend modernisieren. Dann kann man dem Kunden auch automatisierte und durchgängige Prozesse mit hoher Datenqualität zur Verfügung stellen. Am schlimmsten wäre es, dem Kunden digitale Prozesse nur zu suggerieren und am Ende läuft doch alles analog ab.
AH: Vielen Dank für das Gespräch!